Kommunales

Noch ist es in Bayern nicht so schlimm: Die Polizei stürmt durchs Fenster eines von Mieter*innen besetztes Haus in Berlin. (Foto: dpa/Christophe Gateau)

20.08.2021

Wenn wütende Mieter auf die Barrikaden gehen

Nur „bauen, bauen, bauen“ zu predigen wird das Problem nicht lösen – doch auch Enteignen und ein Mietenstopp bergen hohe Risiken

Es braut sich etwas zusammen in Deutschland – und später wird man wohl sagen, dass es in Berlin seinen Anfang genommen hat. In der Bundeshauptstadt werden derzeit die letzten Stimmen ausgezählt, aber am Endergebnis wird das wohl kaum noch etwas ändern. Es haben ausreichend Menschen ihre Unterschrift unter die Initiative ’Deutsche Wohnen & Co. enteignen‘ gesetzt, sodass es im September im Stadtstaat wohl einen Volksentscheid über die Vergesellschaftung größerer Wohnungsbestände privater Unternehmen geben wird.

Abgestimmt werden soll über einen Appell an den Senat, die Landesregierung von Berlin. Er solle die rechtlichen Grundlagen für eine Enteignung und Entschädigung von Unternehmen schaffen, die in der Stadt mehr als 3000 Wohnungen in ihrem Besitz haben. Und es ist kein Geheimnis, dass die Initiatoren bei dem von der SPD geführten Rot-Rot-Grünen Senat damit offene Türen einrennen.

Die Situation hatte sich über Jahre zugespitzt. Die Mietpreise gehen seit Jahren kontinuierlich nach oben, bezahlbare Wohnungen werden immer mehr zur Mangelware. Alteingesessene Familien, die dem Preisdruck in den luxussanierten Vierteln nicht mehr standhalten können, werden an den Stadtrand oder ins Umland abgedrängt. Gut Betuchte aus aller Welt ziehen in ihr ehemaliges Zuhause.

Gegner offen für rechtliche Hürden

Nun könnte man einwenden, dass die Mieten in Berlin zwar hoch sind, aber noch weit unter dem Niveau der bayerischen Großstädte liegen. Das stimmt. Aber dafür sind die Einkommen dort auch deutlich niedriger als im Freistaat. In Relation sind die Verhältnisse zwischen den beiden Bundesländern absolut vergleichbar. Der Berliner Altenpflegerin, dem Busfahrer, der Verkäuferin und auch dem Polizisten geht es genauso wie den Menschen hierzulande. Das Wohnen in ihrer Heimat ist für sie nicht mehr bezahlbar.

Natürlich liegen zwischen dem Volksentscheid und seiner tatsächlichen Umsetzung noch einige juristische Hürden. Auf diese hoffen auch die Gegner der Initiative: CDU, FDP und natürlich die großen Vermieterkonzerne wie beispielsweise die genannte Deutsche Wohnen. Zum einen muss die Hälfte aller Wahlberechtigten – nicht nur der Abstimmenden – beim Volksentscheid zustimmen. Und selbst bei einem entsprechenden Quorum könnte die Opposition im Abgeordnetenhaus den Senat mit entsprechenden Anträgen dazu zwingen, die Zustimmung aus städtebaulichen und verwaltungsrechtlichen Gründen zu versagen.
Obendrein wäre – den Erfolgsfall der Initiative vorausgesetzt – noch die Frage zu klären, wie die Enteigneten entschädigt werden sollen. Der Staat mit seinen ohnehin durch Corona leer gespülten Kassen müsste dafür Milliardensummen aufbringen. Und dass die Unternehmen klagen werden, ist ohnehin erwartbar.

Doch sich nur darauf zu verlassen, hieße die Dynamik im Vorgang an sich auszublenden. Bereits mehr als 350.000 Menschen haben dem Vorhaben zugestimmt – ein Zehntel der Berliner Bevölkerung. Und die Unterschriften wurden weitgehend noch unter den Bedingungen des Lockdown gesammelt. Es sind beileibe nicht nur Autonome, Chaoten und Linksradikale, die die Initiative tragen – sondern sie wurzelt in der Mitte der Stadtgesellschaft. Es handelt sich bei den Befürwortern mehrheitlich um ganz normale Berufstätige, die sicher nicht mit der Einführung des Kommunismus liebäugeln.

Sie alle eint die Wut darüber, dass der Wohnungsmarkt nicht mehr so funktioniert, dass möglichst alle arbeitenden Menschen davon partizipieren. Und sie alle verbindet der Wunsch, dass weniger kommerzielle Anbieter den Wohnungsmarkt bestimmen, sondern die öffentliche Hand. Überzeugte Marktwirtschaftler mögen das zurückweisen – aber es ist ein Stimmungsbild von immer mehr Menschen in Deutschland. Das lässt sich nicht einfach ignorieren.

Und wie gesagt: Berlin ist erst der Anfang. Auch in München, Hamburg, Köln und Frankfurt treten vergleichbare Initiativen auf den Plan. Sie sind nicht länger bereit, die Hälfte ihres Nettoeinkommens – oder gar mehr – nur dafür ausgeben zu müssen, dass sie ein Dach über dem Kopf haben. Denn das ist auch Geld, welches ihnen bei der Kaufkraft fehlt und bei der privaten Altersvorsorge. Durch diese Zustände schneidet sich der Staat also gleich doppelt ins eigene Fleisch.

Als würde Mercedes BMW aufkaufen

Und der Markt zentralisiert sich immer mehr. Bereits zum dritten Mal unternimmt Vonovia, der größte private Vermietungskonzern Deutschlands, einen Anlauf, die Nummer 2, Deutsche Wohnen, zu schlucken. Zusammen kämen beide auf mehr als 510 000 Wohnungen in Deutschland. Vonovia kommt nach eigenen Angaben in ganz Bayern auf rund 17 600 Wohnungen, der Großteil davon steht in München mit 5343 Einheiten. Weitere größere Standorte sind Nürnberg mit 2213 Wohnungen und Augsburg mit 2023. Die Deutsche Wohnen brächte ungefähr 27 000 Wohnungen in der Landeshauptstadt in die Fusion ein.

Und diese Konzentration läuft weitgehend im Stillen ab. Man stelle sich die öffentliche Aufmerksamkeit vor, wenn in der Automobilbranche – von der Marktmacht absolut vergleichbar – Mercedes ankündigen würde, BMW zu schlucken. Nur können Menschen zur Not auf ein Auto verzichten – aber nicht auf eine Wohnung.
Wenn die Politik den sozialen Sprengstoff entschärfen will, muss sie schnell und umfassend reagieren. Doch dabei bringt es nichts, wie beispielsweise Bayerns Bauministerin Kerstin Schreyer (CSU) immer nur zu verkünden, man müsse „bauen, bauen, bauen“. Denn der Wohnungsmarkt funktioniert nicht wie der für Schuhe. Die Steigerung der Stückzahlen allein lässt den Preis nicht sinken. Entscheidend ist die Lage der Wohnungen. Sie sind unbeweglich, der Ort bestimmt den Preis. Das klammern überzeugte Marktwirtschaftler gern aus, es passt nicht in ihr schlichtes Schema von Angebot und Nachfrage.

Natürlich bekommt man in Naila in Oberfranken unter Umständen noch eine günstige Wohnung. Dort aber ziehen die Menschen weg. In München dagegen, wo die Menschen wegen der Jobs hinströmen, ist der Baugrund knapp. Obendrein haben die sinkenden Zinsen am Kapitalmarkt den Markt angefacht. Wer konnte, investierte in Betongold. Noch nie war so viel Bewegung am Immobilienmarkt wie in den vergangenen Jahren.
Mal angenommen, eine Rentnerin im Allgäu vermietete seit Jahren eine Wohnung in München, um ihre Rente aufzubessern. Dann trat ein Investor auf sie zu und wollte kaufen. Die zu erzielende Summe überstieg sehr wahrscheinlich alles, was die alte Dame für den Rest ihres Lebens noch an Mieteinnahmen hätte erwarten können. Der neue Besitzer luxussanierte, was der alten Dame nicht wichtig war – und kann nun, zack, eine deutlich höhere Miete verlangen. Dagegen kommt auch Ministerin Schreyer nicht an.

Daran wird sich auch erst mal nichts ändern. Die Mehrheit von Union, SPD und Grünen hat signalisiert, dass sie der Europäischen Zentralbank ihre seit Jahren die Sparer schädigende Niedrigzinspolitik weiter durchgehen lassen wollen. Das Übrige erledigt dann der 750 Milliarden Euro schwere Inflationstreiber namens Europäischer Wiederaufbaufonds. Also boomt Betongold immer weiter.

Und es wird ja auch viel gebaut. Nur lässt sich die Intensität eben kaum noch steigern. Alle Baufirmen berichten, dass sie mit den Aufträgen nicht mehr hinterherkommen. Auch Architekt*innen und Bauingenieure sind auf Monate ausgebucht. Corona hat obendrein zuletzt noch für einen Lieferengpass an dringend benötigten Materialien gesorgt. Und es fehlen, seit Jahren, Maurer, Zimmerleute, Dachdecker, Maler, Elektriker und Fliesenleger.

Dieser Zustand wird noch viele Jahre andauern, wenn man die Berichte der Handwerkskammern über die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge anschaut. Dafür strömen immer mehr junge Menschen in geisteswissenschaftliche Studiengänge, mit denen sie später immer unwahrscheinlicher einen anständigen Job und noch unwahrscheinlicher eine bezahlbare Wohnung finden werden.

Vor allem vom linken politischen Lager aus möchte man auf den Notstand mit besagten Enteignungen, aber auch mit einem Einfrieren der Mieten reagieren. Letzteres wird nur eine Weile gut gehen. Denn wenn in einem Marktsegment nichts mehr zu verdienen ist, dann werden sich Investoren daraus zurückziehen. Und es wird noch weniger gebaut. Ein Teufelskreis.

Eine Entlastung könnte eine Öffnungsklausel des Mietrechts im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) bringen. Bisher gilt jede Mietrechtsänderung in Naila wie in München, um die Extreme noch mal zu nennen. Doch das ist nicht mehr zeitgemäß, die lokalen Unterschiede sind zu groß. Damit könnten die Bürgermeister*innen – wenigstens zeitlich befristet – auf besondere Marktlagen reagieren. Damit ließe sich der Geltungsbereich von Bestandsmieten ausweiten.

Von Union und FDP kommt dann immer der Hinweis, man müsse eben mehr Menschen in Wohneigentum bringen. Da ist was dran. Die Deutschen sind eine Mieternation, nur 45 Prozent von ihnen leben in der eigenen Immobilie. In Österreich sind es 55 Prozent, in Frankreich 65 Prozent und in Italien und Spanien sogar 75 Prozent, die eine Wohnung oder ein Häuschen ihr Eigen nennen.

Enteignen und Mietenstopp funktioniert nur kurzfristig

Doch die Hürden für eine Immobilie bei Otto Normalverbraucher senken, das möchte der Staat dann auch nicht. Wer als Privatmann ein Reihenhaus kauft, muss prozentual ebenso hohe Grunderwerbsteuer zahlen wie ein Investor, der ein Mehrparteienhaus erwirbt. Für eine Drei-Zimmer-Wohnung zum Preis von 300 000 Euro kassiert Bayerns Finanzminister Albert Füracker (CSU) bereits 19 500 Euro. Das ist der Preis eines neuen Mittelklasseautos. In Dänemark wären es nur 2500 Euro.

Auch immer schärfere Vorgaben beim ökologischen Bauen – Dämmung, Isolierung und zuletzt der Plan, auch noch verpflichtend Solarpanels auf dem Dach eines jeden Neubaus installieren zu müssen –, werden die eigene Immobilie für immer mehr Menschen zum unerfüllbaren Traum machen.

Alternativ könnte man als Politik die steigenden Mieten fatalistisch hinnehmen und die betroffenen Mieter mit einem immer höheren Wohngeld unterstützen, auch das eine beliebte linke Forderung. Doch das wird auf Dauer zu einer Subvention von Deutsche Wohnen & Co., obendrein könnten sich die Menschen in preisgünstigeren, aber weniger reizvollen Regionen des Landes fragen, warum sie mit ihren Steuern anderen das angenehmere Dasein in einer sanierten Altbauwohnung zwischen Isar, Bergen und Englischem Garten finanzieren sollen.
(André Paul)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.