Kommunales

Sein Blick spricht Bände: Nicht immer ist Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) von den Vorstößen seiner grünen Stellvertreterin Katrin Habenschaden begeistert. (Foto: dpa/Sven Hoppe)

27.09.2021

Wer das Sagen hat

Was es für die SPD heißt, in immer mehr Kommunen auf die Grünen angewiesen oder gar politisch abhängig zu sein

Ohne die Grünen wird es keine Koalition im Bund geben. Ampel, Jamaika oder RRG: Als Mehrheitsbeschaffer sind sie unverzichtbar. Und die SPD wird 16 Jahre nach dem Aus der ersten gemeinsamen Bundesregierung lernen müssen, die seither deutlich selbstbewusster gewordene Ökopartei im Griff zu haben. Lernen können sie dabei vom Münchner Rathaus. Dort sagen die Grünen in der Stadtkoalition, wo es langgeht – und nicht länger der kleinere Partner SPD.

Die bayerischen Rathäuser mögen so manchem als Beispiel dienen: Ob München, Regensburg, Ingolstadt oder Passau – in vielen großen Städten des Freistaats geht mittlerweile im Stadtrat nichts mehr ohne die Grünen. Auch in Nürnberg hätten sie nach dem Willen des neuen Oberbürgermeisters Marcus König (CSU) mitregieren sollen – machten im letzten Moment aber einen Rückzieher.
Vielerorts ist es letztjährig auf eine Stichwahl um den Posten des Oberbürgermeisters zwischen SPD und CSU herausgelaufen, die Führung der örtlichen Geschicke wollten die Wähler*innen in bewährten Händen wissen. In München aber machten Genossen und Grüne das Rennen unter sich aus.

 

Koalitionärer Streit fast im Vierteljahresrhythmus


Andererseits reflektiert das Abschneiden der Ökopartei – die wie keine andere die Zahl ihrer kommunalen Mandate im Freistaat steigern konnte – den Wunsch der Wählerinnen und Wähler nach Veränderung. Ein sozialdemokratischer OB – aber die Grünen als stärkste Fraktion im Stadtrat: Das schienen die Münchner*innen bewusst so gewollt zu haben.

Mit der Zweiten Bürgermeisterin Katrin Habenschaden und den Münchner Grünen verbinden viele Menschen in der Landeshauptstadt die Hoffnung auf einen frischen Wind. Dieser mag vielleicht doch nur eine Brise sein. Mit „Mut, Visionen und Zuversicht“ – so überschrieben der letztjährige Münchner Koalitionsvertrag – war die neue rot-lila-rosa-grüne Rathaus-Beziehungsgemeinschaft in die Legislaturperiode gegangen. Aber mittlerweile schieben die Partner eine immer größer werdende „Stress-Liste“ (Bild) vor sich her. Selbst die den Grünen äußerst gewogene Süddeutsche musste konstatieren: „Die Rathauskoalition ist aus der Balance geraten“.

Der Streit der Koalitionäre eskaliert fast im Vierteljahrestakt. Welche Bedeutung sollen künftig Auto und Fahrrad in der Landeshauptstadt haben? Und wie wird dies umgesetzt? Fraktionschef Christian Müller (SPD) positionierte sich dahingehend „man unterstütze keine Anti-Auto-Ideologie.“ Müller merkt man an, dass er von den Grünen mitunter mächtig genervt ist; OB Reiter macht da eher noch böse Miene zum guten Spiel.


Unabgesprochene Vorstöße – immer wieder

Immer wieder kommt es zu unabgesprochenen Vorstößen der Grünen. So sollte durch eine Bewerbung als Modellkommune für ein flächendeckendes Tempo 30 „mit entsprechender infrastruktureller Umgestaltung die Stadt von der aufs Auto fixierten Verkehrspolitik befreit werden“. Das war eigenwillig, ohne vorherige Abrede, ein Dolchstoß unter Partnern.

Auch bei der Abstimmung der Fraktion hinsichtlich des weiteren Umgangs mit den eingerichteten Pop-up-Radwegen ließ sich der Ball nicht flachhalten. Und schon vor der Wahl sorgte der Vorstoß der Rathaus-Grünen, zusätzlich zu den miteinander abgestimmten 1020 weitere Parkplätze – insgesamt 1560 – wegfallen zu lassen, für viel Verärgerung bei den Genossen. Jeder 50. Parkplatz in der Stadt sollte umgewidmet und mit einem oder mehreren Bäumen bepflanzt werden.

Dort, wo die einen versuchen, die „Verkehrswende mit der Brechstange durchzusetzen“, beanstanden die anderen: mangelnde Evaluierung, fehlende valide Entwürfe, unausgereifte Konzepte. Die entschlossene und hitzige Umsetzung der parteipolitischen Agenda in Fragen von Natur- und Klimaschutz geht dabei weit über die Besetzung von Räten und Rathäusern hinaus. Die gesellschaftliche Veränderung wird hektisch vorangetrieben.

Die neue grüne Welt wird zu einer Ad-hoc-Belastung der Mitte der Gesellschaft. Die soll gefälligst zustimmen, zahlen – und ansonsten schweigen. Freie Fahrt für Radler und Lastenfahrräder. Dazu jede Menge City-Miniwälder gegen den Klimawandel. Pendler, Gewerbetreibende, Selbstständige und die Inhaber*innen vieler kleiner Geschäfte bleiben wegen der bisher ausgeführten grünen Maßnahmen erbost zurück. Sie tragen die Last durch ausbleibende Aufträge und zurückgehende Umsätze. Der SPD, die sich immer auch als Partei der urbanen Berufstätigen in der freien Wirtschaft verstanden hat, kann das nicht egal sein. Den Grünen, die ihre Stimmen zu einem großen Teil bei den Beschäftigten des gut abgesicherten Öffentlichen Dienstes holen, schon eher.

München ist kein Einzelfall unter Bayerns Kommunen. In der letzten Ingolstädter Stadtratswahl erlebten CSU und SPD ein Debakel. Im Mai 2020 schließlich wurde der Sozialdemokrat Christian Scharpf – nicht ohne Hilfe aus dem Grünen-Lager, er braucht ja auch Mehrheiten – als Oberbürgermeister der Audi-Stadt vereidigt. Seitdem ist die Politik deutlich ökologischer geworden. Scharpf setzt auf umweltnahe Vielfalt, denn „vor allem der großflächige Einzelhandel ist nicht mehr die Zukunft.“ Das lokal brisantere Thema der Belebung der Ingolstädter Innenstadt – Händler nehmen reißaus – wird wohl noch länger auf politische Willenskraft warten müssen.


Alleebäume fällen für den Hochwasserschutz? Nein!


Und nach der Posse um die Auflösung des effektiv arbeitenden Umweltreferats ging die neue grüne Stadtpolitik gestärkt in die nächste Legislatur. Durch die Übertragung sämtlicher Kompetenzen auf die Dritte Bürgermeisterin Petra Kleine (Grüne) avanciert Umwelt- und Klimaschutz nun zur politisch-ideologischen Führungsangelegenheit – und nicht länger als normales Fachgebiet mit fachlicher Kompetenzverantwortung. Grüne Themen lassen sich so mit deutlich mehr Nachdruck bewerben und erzwingen – wenngleich aber nicht unbedingt professionell lösen.

In Regensburg haben Grüne, ÖDP und Linke für die OB-Stichwahl im März letzten Jahres unisono eine Wahlempfehlung für Gertrud Maltz-Schwarzfischer von der SPD abgegeben. Begründung: Man habe sie immer als kooperativ und kompromissbereit erlebt. Äußerst knapp setzte sich die Sozialdemokratin im zweiten Wahlgang durch. Dass sie eher dem linken Parteiflügel zugerechnet wird, dürfte ihr dabei nicht geschadet haben.

Schon im Vorfeld war die Vorsitzende der Regensburger Grünen, Theresa Eberlein, bewusst, die Mehrheitsbildung im neuen Stadtrat werde zwar „schwierig“ werden – aber sie sei „davon überzeugt, dass wir unsere Ziele von Klimaschutz, sozialer Gerechtigkeit und Teilhabe am besten mit Gertrud Maltz-Schwarzfischer erreichen können.“ Noch ist ja auch viel Geld da aus den Jahren, in denen der frühere Oberbürgermeister Hans Schaidinger (CSU) die eher ärmliche Oberpfälzer Hauptstadt in die erste Liga der bayerischen Wirtschaftsstandorte boxte. Seit die Grünen mitregieren rücken Wirtschaftsthemen wie der Fachkräftemangel zugunsten grüner Schwerpunkte wie Klimaresilienz der städtischen Infrastruktur immer weiter in den Hintergrund.

Auch in Passau mussten CSU und SPD nach der Kommunalwahl vom März 2020 Federn lassen. Oberbürgermeister Jürgen Dupper (SPD), der die Wiederwahl nur knapp schaffte, flüchtete aus der Koalition mit den Christsozialen in eine mit den Grünen. Seitdem erlebt die beschauliche Drei-Flüsse-Touristenstadt Aktionen wie sogenannte Baumbesetzungen – mit wohlwollender Begleitung aus dem Rathaus. Besagte Tourist*innen werden als ökologische Belastung verunglimpft – ungeachtet der Tatsache, dass diese Passau einen Großteil seiner Einnahmen bescheren, besonders dem Gaststättengewerbe. Drängende Projekte wie ein besserer Hochwasserschutz werden von den Grünen – assistiert von der Linkspartei – im Stadtrat blockiert und zerredet; zu teuer sei das alles. Außerdem müssten für die Flutmauer zehn Alleebäume gefällt werden. Das geht natürlich schon mal gar nicht aus grüner Sicht. Pech für OB Dupper. (Rebecca Koenig)

 

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