Kommunales

Das Bezirkskrankenhaus Bayreuth will ausdrücklich kein Gefängnis sein, wird aber ebenso gut bewacht und sieht auch nicht viel anders aus. (Foto: dpa)

26.09.2014

Ziemlich verschlossen

Über kaum eine öffentliche Einrichtung wissen die Bürger weniger als über forensische Kliniken: Erste Anläufe zu mehr Transparenz bleiben aber zögerlich

Durch den inzwischen frei gekommenen früheren Patienten Gustl Mollath rückte die Bayreuther Forensik ins Blickfeld der Öffentlichkeit – und vieles war unschön, was man über die dort praktizierten Behandlungsmethoden hörte. Mit dem jetzt erstmals organisierten "Tag der Öffentlichkeit" versucht die Bayreuther Einrichtung, dem entgegenzuwirken. Kritiker sprechen von einer Alibi-Veranstaltung.

Das Gelände des Bezirkskrankenhauses (BKH) Bayreuth liegt idyllisch in der Spätsommersonne auf grünen Hügeln und hinter alten Laubbäumen. Vergitterte Fenster gibt es wenige. Doch mancher lässt sich von dem freundlichen Anblick nicht täuschen. „Das da drin hat mit Menschlichkeit nichts zu tun“, sagt Gudrun Rödel. Sie ist amtlich bestellte Betreuerin von Ulvi K., seit 13 Jahren Patient im Bayreuther Maßregelvollzug, und an diesem Tag mit ihrem Schützling auf dem Gelände unterwegs. Die Klinikleitung hat zum „Tag der Öffentlichkeit“ in die Forensische Psychiatrie geladen.
In dieser von den bayerischen Bezirken getragenen Einrichtung leben Menschen, angeordnet von Gerichten, im so genannten Maßregelvollzug. Wenn die Gefahr besteht, dass jemand wegen seiner Suchterkrankung „erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird“ (Paragraph 64StGB), dann kann eine Unterbringung im Maßregelvollzug samt Entzugstherapie angeordnet werden. Und wer bei der Tat unter einer psychischen Störung litt – also als schuldunfähig und gefährlich für die Allgemeinheit gilt – der kann nach Paragraph 63 StGB ebenfalls so untergebracht werden. In Bayern gibt es 14 Maßregelvollzugseinrichtungen – und sie werden immer voller: Ende 2013 lebten dort 2541 Menschen, erklärt das Sozialministerium, das sind 27 Prozent mehr als noch vor zehn Jahren. Und sie bleiben nach Auskunft des Justizministeriums auch immer länger. Warum das so ist, das konnten beide Ressorts allerdings nicht erklären. Nur die Kosten stehen fest: 270 Millionen Euro ware es 2013. Details aus dem Maßregelvollzug erfährt die Öffentlichkeit normalerweise nur, wenn es Skandale gibt. Die Kliniken agieren dann oft ungeschickt, wobei sie wegen Persönlichkeitsrechten der Patienten ohnehin nicht viel sagen dürfen.
Therapie für die Täter und Sicherheit für die Allgemeinheit – das sind die Maßgaben der forensischen Psychiatrie. Deshalb wird der Innenhof der Station 11 in Bayreuth nach oben hin von „Übersteiggittern“ begrenzt, die jeden, der aus dem Fenster über das Dach steigen wollte, wirksam daran hindern. Und überall befinden sich Videokameras.
Station 11 ist die Vorzeigestation an diesem „Tag der Öffentlichkeit“. Wer sich dort umsehen will, muss erst einmal Pass und Handy abgeben. Dann wird er durch etliche gesicherte Türen geführt – nur die Krankenpfleger haben Schlüssel. Die Wände der Station sind in Gelb-Grün gehalten, wie es wohl vor Jahren einmal üblich war in öffentlichen Gebäuden. Die Möbel in den Einzel- oder Doppelzimmern sind blau gestrichen. Der Rest ist Sache des Patienten. Poster, in der Kunsttherapie gemalte Bilder, Fotos von der Familie, eine Obstschale, eine Yucca-Palme.
„Wir sind kein Knast“, betont Günther Crass-Legath, der Gesamtstationsleiter der forensischen Psychiatrie in Bayreuth. Aber eine ganz normale psychiatrische Klinik ist die Forensik ebeno auch nicht: Abwehrtechniken und Deeskalationstrainings gehören zur jährlichen Fortbildung der Pfleger.

Der Gesetzgeber plant eine umfassende Reform

Was genau in der Psychiatrie vorgeht, das dringt nur selten nach außen. Kritiker prangern Zwangsmaßnahmen an: Fixierung, Zwangsmedikation, Isolation. Nach Angaben des Sozialministeriums erfolgten zwischen April 2013 und März 2014 im bayerischen Maßregelvollzug 792 Fixierungen, 3858 Beschränkungen auf das eigene Zimmer beziehungsweise zeitweilige Unterbringungen in einem Isolierzimmer, 31 einzelne Medikamentengaben, 16 Dauermedikationen und 60 sonstige Maßnahmen wie etwa „Kommunikationsbeschränkungen“. Betroffen seien 674 Personen gewesen. Das ist gut ein Viertel aller Patienten.
Auch am „Tag der Öffentlichkeit“ in Bayreuth wird Kritik laut – allerdings nur draußen, wo Gudrun Rödel und Martin Heidingsfelder, ein Mollath-Unterstützer, sitzen. „Da wird eine Show abgeliefert“, sagt Heidingsfelder abfällig, „die machen Euch was vor.“ Gudrun Rödel kritisiert, „dass es Menschen gibt, die 20 Jahre lang hier sitzen, dass man jemanden unbefristet wegsperren kann“. Die Entscheidung über eine Fortdauer der Unterbringung – wie sie jetzt wieder bei dem des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen beschuldigten Ulvi K. ansteht – wird nicht nur von Rödel als willkürlich erachtet.
Der Gesetzgeber hat das Dilemma immerhin erkannt: Das Strafgesetzbuch sieht bisher keine Maximal-dauer der Unterbringung vor. Bayerns Justizminister Winfried Bausback (CSU) will erreichen, dass die Unterbringung nur noch bei besonders schweren Taten länger als fünf Jahre dauern darf. Außerdem sollen früher als bisher externe Gutachter bei der Entscheidung über die Fortdauer gehört werden. Sozialministerin Emilia Müller (CSU) will darüber hinaus ein bayerisches Maßregelvollzugsgesetz vorlegen. Das beinhaltet eine Aufsichtsstelle und Maßregelvollzugsbeiräte. Geregelt werden sollen auch „die Unterbringungsbedingungen, Rechte und Pflichten der Untergebrachten“. Noch vor Jahresende soll sich der Landtag mit dem Gesetzentwurf beschäftigen.
Das sind politische Ankündigungen. Die Realität aber sieht so aus: „Jeder Patient – derzeit etwa 180 im Maßregelvollzug im BKH Bayreuth, 150 in Wohngruppen außerhalb des Geländes – hat einen Pfleger als feste Bezugsperson“, berichtet Günther Crass-Legath. Der Pfleger und der behandelnde Arzt entscheiden über Therapiepläne – auch über die Prognose, also auch über Lockerungen des Vollzugs. „Zu Beginn ist jeder Patient in Isolation“, sagt Crass-Legath: kein Ausgang, nur eine Stunde am Tag unter Bewachung auf den Hof. Später kann der Patient innerhalb der geschlossenen Abteilungen einer Arbeit nachgehen, zu Therapien die Abteilung unter Aufsicht verlassen, dann ohne Aufsicht, später darf er begleitet Ausflüge in die Stadt unternehmen, schließlich alleine. Das letzte Wort hat der Chefarzt.
Wer noch nicht aus der geschlossenen Abteilung raus darf, für den ist Sport im Hof mental überlebenswichtig. Im Hof der Station 11 gibt es zwei Basketballkörbe auf einem Hartgummiplatz, eine Steinsitzgruppe und ein etwa fünf mal sieben Meter großes Stück Rasen. Es ist der Hof, über den Gustl Mollath sieben Jahre täglich lief.
Ulvi K. und Gustl Mollath: Das Gesicht von Chefarzt Klaus Leipziger wird ernst, wenn er auf die beiden angesprochen wird. „Da wurden massive Fehlinformationen und Verzerrungen über ein mögliches Klima in unserem Haus in die Öffentlichkeit transportiert, die nicht hinnehmbar waren“, klagt er. Doch der „Tag der Öffentlichkeit“ sei keine direkte Reaktion darauf. „Das begann schon vor zwei Jahren, als wir eine Wohngruppe einrichten wollten und es große Widerstände in der Bevölkerung gab.“ Leipziger berichtet, dass man damals die Öffentlichkeit gesucht habe, aufklären wollte. „Aber wir mussten feststellen, dass Vorträge nichts bringen. Das hat nicht den gleichen Effekt wie ein Blick hinter die Türen.“

Manche Patienten sitzen zehn Jahre und länger


Also hat das das BKH seine Türen geöffnet, für drei Stunden. Auf dem Programm stehen Vorträge von Medizinern und Pflegern, Berichte von Patienten und Angehörigen, Musik von Mitarbeitern und Patienten. Etwa 400 Leute nutzten die Gelegenheit. Aber über allem liegt Befangenheit: Ist man Voyeur, wenn man sich nicht nur Räume anschaut, sondern auch Menschen, die wegen einer schweren Straftat oder einer oft nicht minder schweren Erkrankung hier sind?
Und so reagieren die Besucher wie ertappt, wenn sie gefragt werden, warum sie hier sind, viele wollen nicht über ihre Motive reden. Erwin Lindner aus dem benachbarten Heinersreuth kennt privat Klinikmitarbeiter und ist deshalb neugierig, wie es im BKH aussieht. „Ich wäre auch ohne den Mollath gekommen“, betont er. Heide Beninde aus Coburg dagegen hat einen Sohn, der lebte bis vor kurzem im BKH, jetzt im Probewohnen außerhalb des Geländes. „Ich wollte mir das heute trotzdem ansehen, weil ich die Idee toll finde. Schade, dass erst so etwas stattfinden muss, um das Thema in der Bevölkerung zu verankern.“
Der 34-jährige Alexander (Nachnamen dürfen nicht genannt werden) sitzt seit 1,5 Jahren in Bayreuth, davor 4,5 Jahre im Strafvollzug. „Drogen, Dealen, Geiselnahme“, sagt er kurz. Gesprächig wird er erst, als es um seinen achtjährigen Sohn geht. „Der war zwei als ich reinkam, jetzt geht er schon in die dritte Klasse. Die Familie hat am meisten abgekriegt davon.“ Seine Familie besucht ihn regelmäßig, dann kocht er in der Küche der Station 11 für seinen Sohn. „Leben, so normal es geht“, sagt einer der Mitarbeiter des BKH. Unter der Woche besucht Alexander Motivations-, Sucht- und Deliktgruppen – Therapiesitzungen, in denen bearbeitet wird, wieso er hier gelandet ist, wie alles angefangen hat und wie es weitergehen kann.
„Wir haben viele Patienten, die wenig Zugang zu ihren Gefühlen haben“, sagt Chefarzt Leipziger. Deshalb werden mittlerweile viele „nonverbale Therapieelemente“ eingebaut. Kreatives Gestalten, Theater, Malen, Musik. 17 Patienten habe man im vergangenen Jahr entlassen, berichtet der Mediziner. Fünf von ihnen saßen sogar mehr als zehn Jahre in Bayreuth. „Auch wenn sich lange nichts tut“, sagt der Arzt, „muss man dem Patienten eine Chance geben. Da geben wir nicht auf.“ (Anja-Maria Meister)

Kommentare (1)

  1. gauni2002 am 28.09.2014
    Solche forensischen Kliniken sind schon eine gute Idee, aber diese verleiten aber auch zum Mißbrauch durch die Lakaien des Gesetzgebers, um unliebsamen Personen den Psychostempel aufzudrücken. Und bei Gutachtern ist es genauso wie bei untergeordneten Parlamentariern, sie beissen nicht in die Hand, die sie füttern.
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