Kommunales

Hygienekontrolleur Ulrich Thomas ist in Messi-Wohnungen meist mit Mundschutz im Einsatz. (Foto: Christ)

15.02.2013

Zu Besuch beim Messi

Die Gesundheitsämter der Landkreise melden eine rasant wachsende Zahl von Bürgern in vermüllten Wohnungen

Der Tisch ist übersät mit leeren Flaschen. Überall liegen Essensreste, Verpackungsmüll und zerknülltes Papier herum. In der Küche stapelt sich der schmutzige Abwasch, der Abfalleimer quillt über. Auch in Bayern leben Menschen in solch verwahrlosten Wohnungen inmitten von angesammeltem Abfall – mit steigender Tendenz. Und die Hygieneaufseher der kommunalen Gesundheitsämter schreiten immer häufiger ein, ordnen von Amts wegen eine komplette Säuberung an. Schließlich lockt eine solche Umgebung auch Ungeziefer, zum Beispiel Ratten, an und gefährdet damit auch Mitbürger. Dadurch werden auch die Sozialetats der Kommunen stärker belastet.
Das Vermüllungs-Phänomen ist hierzulande immer häufiger anzutreffen. „Im Jahr 2008 hatten wir neun Fälle im Landkreis Bayreuth, 2010 waren es schon 15 und im Jahr darauf 17“, so Bernhard Grüner, stellvertretender Leiter des Bayreuther Gesundheitsamtes. Besonders bedenklich wird es, wenn auch die Kindern zwischen dem Müll hausen müssen.
Doch wie kann es überhaupt dazu kommen? „Oft stecken Suchterkrankungen oder schwere Depressionen hinter dem Vermüllungssyndrom“, sagt Grüner. Behandelt werden die Betroffenen nicht, denn sie gehen meist nicht zum Arzt und haben auch sonst kaum soziale Kontakte. Aufstehen, ankleiden, Wäsche waschen oder die Wohnung putzen – all dies sind schier unüberwindbare Hindernisse. Strafbar ist ihr Verhalten allerdings nicht. Dass man selbst in ländlichen Regionen des Freistaats inzwischen immer anonymer lebt, ist für Grüner ein wichtiger Grund für die Zunahme von derartigen Fällen.
Welch fatale Folgen es haben kann, wenn diese Menschen Kinder erziehen, erlebte Paul Justice, stellvertretender Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Zweckverbände für Rettungsdienst und Feuerwehralarmierung in Bayern, regelmäßig. „Einmal kamen wir in eine Wohnung voller Gerümpel, um einen Mann zu reanimieren“, erzählt der Würzburger Rettungssanitäter. „Plötzlich hörten wir in einem Zimmer, von dem wir dachten, da sei ebenfalls nur Müll gelagert, ein leises Jammern.“ Er und seine Kollegen entdeckten zwei kleine Kinder: „Wir waren absolut schockiert, denn die beiden saßen inmitten einer Müllhalde und waren total verdreckt.“
Dabei sind die Betroffenen oft gar nicht, wie viele Menschen glauben, phlegmatisch, faul oder abgestumpft, betont Wibke Schmidt vom Sozialpsychiatrischen Fachdienst des Würzburger Gesundheitsamtes. Sie seien vielmehr psychisch schwer krank. Nach ihren Angaben hatte es der Fachdienst 2012 mit rund 300 so genannten Erstkontakten von „Vermüllung“ in der Stadt und im Landkreis Würzburg zu tun. Viele Schicksale berühren, etwa das einer jungen Frau, die nichts mehr wegwerfen konnte, aus Angst, dass dann etwas Schlimmes passieren würde.
Manchmal reagieren die Kranken auch aggressiv auf den Versuch der Behörden, in ihre Lebensumstände einzugreifen. Die meisten seien jedoch dankbar, aus ihrer Lage befreit zu werden, so der Würzburger Hygienekontrolleur Ulrich Thomas. Nie vergessen wird er einen Einsatz aufgrund einer Meldung von Nachbarn, eine ältere Frau seit mehr als 14 Tagen nicht mehr gesehen zu haben. Völlig apathisch fand man sie inmitten von Abfallbergen.
Menschen, die es nicht mehr schaffen, ihr Leben allein zu bewältigen, werden seit 22 Jahren von den Sozialarbeitern des Münchner Vereins „H-Team“ unterstützt. Die Ambulante Wohnungshilfe der Organisation kümmert sich jährlich um rund 100 Patienten. Manchmal dauert es mehr als einen Tag, bis deren Wohnung entmüllt, sauber und wieder behaglich ist. Obdachlosigkeit, Heimunterbringung und stationäre Pflege aufgrund einer solchen Erkrankung zu verhindern, ist ein wichtiges Ziel des Vereins. Gelingt dies nicht durch die Ambulante Wohnungshilfe, offerieren die Mitglieder den Betroffenen ein so genanntes Wohn-Training.
„Der Umgang mit diesen Menschen erfordert viel Takt, betont Sozialpädagogin Schmitt: „Man muss wissen, dass sich die Betroffenen sehr stark mit dem, was sie sammeln, identifizieren.“ Aus diesem Grund sollte eine Sozialarbeiterin im direkten Kontakt tunlichst das Wort „Müll“ vermeiden: „Wenn jemand die Gegenstände um sie herum als Müll benennt, empfinden die Betroffenen das so, als würden sie selbst als Müll bezeichnet.“ (Pat Christ)

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