Kommunales

Dass Salzburger zum Bergwandern ins Berchtesgadener Land fahren, ist heute so selbstverständlich, wie wenn Menschen aus dem Münchner Umland zum Shoppen in die City fahren. Foto: dpa/Wolfgang Kumm

17.05.2019

Zwischen Watzmann und Weihnachtsmarkt

Beim Zusammenwachsen des Berchtesgadener Lands und Salzburg zeigt sich die segensreiche Wirkung der EU ganz besonders

Es gibt in Europa nur wenige Regionen, in denen die Nachbarschaft so innig gepflegt wird wie im Berchtesgadener Land und in Salzburg. Neben der Historie beider Regionen spielt für dieses Zusammenwachsen die EU die entscheidende Rolle – seit dem Beitritt Österreichs hat Brüssel dort eine enorme Zahl grenzüberschreitender Projekte unterstützt. Für Ärger sorgten zuletzt jedoch die wieder eingeführten Grenzkontrollen.

Es ist schon ein ziemlich ungewöhnlicher Zustand, dass die Menschen in einer österreichischen Stadt ihre Hausberge in Bayern haben. An sonnigen Wochenenden sind für viele sportliche Salzburger die Berge rund um Berchtesgaden eine zweite Heimat. Bei den Skipisten am Rossfeld und am Jenner, den Langlaufloipen am Aschauerweiher bei Bischofswiesen, vor den Wanderrouten beim Königssee sind Autos mit dem Salzburger Kennzeichen fast so normal wie die bayerischen Pendants mit BGL für Berchtesgadener Land. „Wenn die Salzburger tagsüber zu uns kommen zum Biken oder Bergsteigen, dann fahren wir umgekehrt abends hinüber nach Salzburg, weil die dort das eindeutig bessere Nachtleben haben“, sagt ein Mountainbiker aus Schönau am Königssee ohne den geringsten Anflug von Reue oder schlechtem Gewissen.

Einst gehörte der Rupertiwinkel zu Salzburg

Das Verhältnis zwischen den Salzburgern und den Menschen im benachbarten Berchtesgadener Land ist ziemlich ungezwungen und auf den ersten Blick auch nicht getrübt von größeren Vorurteilen, wie es etwa zwischen den Oberbayern und den Tirolern oft der Fall ist. Das hat nicht nur mit einem pragmatischen Umgang mit den Freizeitangeboten zu tun – die Berchtesgadener haben eindeutig größere Gipfel als die Salzburger vor der Haustür –, es hat auch geschichtliche Hintergründe. Schließlich haben sie zusammen etliche Besitzwechsel und gemeinsame Zeiten erlebt. Viele Jahre gehörte der Rupertiwinkel zu Salzburg, war Salzburg nach den Napoleonischen Kriegen von 1810 bis 1816 zusammen mit Berchtesgaden Teil von Bayern.

Mag sein, dass die Historie auch heute noch verbindet. Offiziell wurde die enge Nachbarschaft 1995, als das Land Salzburg und die Landkreise Berchtesgadener Land und Traunstein den EuRegio-Vertrag unterzeichneten und damit den Startschuss für eine enge grenzüberschreitende Zusammenarbeit setzten. „Das hat sich über die Jahre stetig und positiv entwickelt. Es sind viele grenzüberschreitende Projekte realisiert worden, die von der EU über Interreg gefördert wurden“, beschreibt etwa Steffen Rubach die Entwicklung. Als Geschäftsführer der EuRegio Salzburg-Berchtesgadener Land-Traunstein mit Sitz in Freilassing weiß er wie kaum ein zweiter, wovon er spricht.


Zu den Projekten gehören zahlreiche touristische Einrichtungen wie etwa die diversen Radwege vom Bajuwaren-Radweg bis zum Mozart-Radweg. Und seit Kurzem gibt es eine Slow-Bike-Tour für nicht ganz so eilige E-Biker. Im besten Sinne grenzüberschreitend sind auch zwei Maßnahmen, die sich derzeit in der Planungsphase befinden: zwei Rad- und Fußgängerbrücken über die Saalach bei Freilassing und über die Salzach bei Anthering.


Grenzüberschreitende Kooperationen gibt es in fast allen Lebenslagen. Dazu gehört auch das gemeinsame Sportzentrum der Grenzgemeinden Großgmain auf der Salzburger und Bayerisch Gmain auf der bayerischen Seite, das 2001 eröffnet wurde. Drei Millionen Euro kostete die Anlage inklusive zwei Fußballplätzen, Beachvolleyballanlage, Mehrzweckplatz, Asphaltbahnen und Clubheim. Diskutiert wurde auch ein gemeinsamer Verein, der aber nicht zustande kam. Dafür haben die beiden Nachbarn seit gut 50 Jahren eine gemeinsame Kläranlage. Viel mit Gemeinsamkeiten hat auch eine andere, weitaus größere öffentliche Einrichtung zu tun. Der Salzburger Flughafen, eben einer Generalüberholung unterzogen, ist auch für die bayerischen Nachbarn eine praktische Institution, auch wenn es seit Jahren Proteste aus Freilassing wegen des Fluglärms und der Einflugschneise über bayerischem Gebiet gibt. 


Völlig ungehindert läuft dagegen der grenzüberschreitende Shoppingtourismus. War es in den 1980er- und 1990er-Jahren noch so, dass viele Österreicher über die Grenze zum Einkaufen pilgerten, Freilassing sich zu einer Shoppingmetropole entwickelte, sind die Verhältnisse heutzutage umgekehrt. Die besseren Einkaufsadressen haben heute eher die Salzburger vor allem mit dem Europark-Einkaufszentrum und dem McArthurGlen-Outletcenter jeweils direkt an der Autobahn. Der Anteil von deutschen Autos in den Parkhäusern dokumentiert deutlich, dass in der Hinsicht ein reger Grenzverkehr stattfindet. Und die Salzburger kommen den bayerischen Nachbarn auch entgegen, dürfen neben den Einheimischen auch Autos aus Traunstein und dem Berchtesgadener Land bei verkehrsbedingten Sperrungen der Altstadt dennoch reinfahren.

Der Einkaufstourismus hat in den letzten drei Jahren allerdings einen deutlichen Dämpfer erfahren. Die Grenzkontrollen an der Autobahngrenze am Walserberg und fallweise auch zwischen Freilassing und Salzburg sorgten teils für deutliche Rückgänge.


Nach dem Herbst 2015 brach aufgrund des Flüchtlingsstroms erst einmal der Verkehr zusammen, waren Schüler und Pendler mit großen Zeitverzögerungen unterwegs. Der Freilassinger Einzelhandel habe Umsatzeinbußen von bis zu 50 Prozent verzeichnet, beklagt der Freilassinger Bürgermeister Josef Flatscher (CSU).

„Bayern ist noch nicht ganz in Deutschland“

Aber auch auf Salzburger Seite gab es Ärger. „Das ist schon schwer zu verstehen, wenn man sieht, dass von zehn Grenzübergängen zwischen Hallein und Laufen nur einer regelmäßig kontrolliert wird“, kritisierte Joachim Maislinger, Bürgermeister von Wals-Siezenheim, das durch den Ausweichverkehr am stärksten zu leiden hat. Mittlerweile laufen die Grenzkontrollen etwas flüssiger, sind die Schlangen nicht mehr ganz so lang.

Zu leiden haben darunter vor allem die Pendler. Rund 4000 Leute pendeln jeweils von Salzburg auf die bayerische Seite und umgekehrt, schätzt Thomas Birner, Geschäftsführer der Berchtesgadener Land Wirtschaftsservice GmbH. Dass es drüben in Salzburg recht populär wurde, dort zu arbeiten und auf der anderen Seite der Grenze zu wohnen, hatte vor allem monetäre Gründe. Gegenüber den hohen Immobilienpreisen in Salzburg war das Wohnen rund um Bad Reichenhall, Ainring und Freilassing deutlich günstiger, wenn auch kulturell nicht ganz so attraktiv.


Die Ersparnisse haben sich mittlerweile etwas relativiert, da auch bei den bayerischen Nachbarn die Preise deutlich gestiegen sind und das Angebot speziell rund um Berchtesgaden weniger geworden ist. In Salzburg liegen die Quadratmeterpreise laut dem Online-Portal immopreise.at. beim Kauf zwischen 5000 und 7000 Euro, bei der Miete zwischen 14 und 22 Euro. In Berchtesgaden liegen die Kaufpreise derzeit bei rund 3000 Euro pro Quadratmeter.


Monika Schnöll aus Elsbethen im Süden von Salzburg gehört zu den Pendlern. Ihr Arbeitsplatz ist in Berchtesgaden, und sie fährt gerne dorthin. „Das ist jedes Mal ein Erlebnis, jedes Mal leuchtet der Watzmann in anderen Farben“, beschreibt sie ihre Eindrücke, wenn sie von Marktschellenberg kommend kurz vor dem Ziel ist. „Für die 20 Kilometer brauche ich kaum mehr als eine Viertelstunde, weil ich keine Grenzkontrolle habe und gegen den Strom fahre, wenn viele Berchtesgadener morgens Richtung Salzburg zur Arbeit fahren“, ergänzt sie.


Es scheint, als ob der alte Spruch des einstigen österreichischen Bundeskanzlers Bruno Kreisky (SPÖ) heute noch ganz aktuell ist: „Nach Bayern komme ich immer gern. Da bin ich nicht mehr ganz in Österreich und noch nicht ganz in Deutschland.“ (Georg Weindl)

Kommentare (1)

  1. Conny am 21.05.2019
    Schön, dass sich die Österreicher bei uns so wohlfühlen. Wenn sie sich jetzt noch an die deutschen Verkehrsregeln halten würden, wäre allen gedient.
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