Kultur

In die Lehre will Bettina Reitz sich nicht einmischen, wohl aber die Strukturen der Filmhochschule dem Branchenwandel anpassen. (Foto: Robert Pupeter)

15.04.2016

Beharrliche Beraterin

Bettina Reitz verrät, was sie sich mit der Hochschule für Fernsehen und Film vorgenommen hat

Filmemacherin, Produzentin, Fernsehdirektorin und jetzt die erste hauptamtliche Präsidentin der Hochschule für Fernsehen und Film in München: Als Insiderin der Filmbranche will Bettina Reitz ihren Studierenden das bestmögliche Rüstzeug für einen sich stark wandelnden Markt mitgeben. Das heißt auch, dass sie bisherige Schwerpunkte der HFF auf den Prüfstand stellt. „Die Kunst darf derzeit nicht als allererste SOS funken.“ Bettina Reitz sagt das bei allem Verständnis für die aktuellen Herausforderungen in Zusammenhang mit der Flüchtlingspolitik nicht ohne unmissverständlichen Unterton: Wenn es um die Verteilung des Kulturetats geht, wird sie für „ihre“ Hochschule selbstverständlich auf den Tisch klopfen. Das versteht sie als ihre Pflicht. Zum einen, „weil Kino im gesellschaftlichen Wandel eine eminent wichtige Rolle spielen kann. Der Kinosaal bleibt nach wie vor ein gemeinschaftlicher, integrativer Erlebnisraum. Auch dort findet die kulturelle Weiterbildung der Gesellschaft statt“.

Der Markt schreit „hier!“

Das wäre die Verantwortung fürs Publikum – die andere gilt den Filmemachern von morgen: „Das Film- und Mediengeschäft steckt mitten in Veränderungsprozessen. Sehgewohnheiten ändern sich, es gibt viele neue Verbreitungsmöglichkeiten. Auch dafür müssen wir die Hochschule ausstatten, wir müssen unseren Studierenden das optimale Rüstzeug mitgeben können. Der Markt ruft schon jetzt laut ,hier!’“ Mit fast jedem Handy lässt sich filmen, mancher Hobbyfilmer mit zweifelsohne beachtlichen Klickzahlen auf Youtube träumt von Hollywood. Auch mancher Auftraggeber gibt sich mit dem „schnellen Dreh“ zufrieden. Da gilt es Flagge zu zeigen: Bettina Reitz unterscheidet zwischen „der Jugend, die nach visuellen Veröffentlichungen drängt“ und dem professionell ausgebildeten Nachwuchs, „der Kompliziertes erzählen und darstellen kann, der gelernt hat, mit Schauspielern ebenso wie mit Gestaltung bis zu Animation umzugehen. Filmemachen wird immer komplexer, und das ist die Sache für Profis“.

2017 das 50-Jährige feiern

Profiarbeit gilt auch für die Chefetage an der Hochschule für Fernsehen und Film in München. Bislang war das ein Ehrenamt – Bettina Reitz hat es vor einem halben Jahr hauptamtlich übernommen. Die Umwandlung durch das Wissenschaftsministerium war längst überfällig: Die Hochschule feiert heuer ihr 50-jähriges Bestehen seit Gründung– die große Feier folgt 2017, wenn sich die Aufnahme des Lehrbetriebs zum 50. Mal jährt. Hauptamtliche Präsidentin: „Das stärkt die Wahrnehmung der HFF nach Außen mehr als mit einer Präsidentschaft im Ehrenamt, das ohnehin von der Aufgabenstellung her eingeschränkt war“. Man möchte behaupten, auch als ehrenamtliche HFF-Repräsentantin hätte Bettina Reitz keine Probleme mit der Anerkennung gehabt. Sie ist Film- und Medienprofi durch und durch, hat sich in der Branche nach oben durchgeboxt: Sie hat selbst Filme geschrieben, gedreht und produziert, war Film- und Kinoredakteurin, hat bei mehreren Fernseh- und Rundfunkanstalten gearbeitet, zuletzt war sie Fernsehdirektorin beim Bayerischen Rundfunk. Wo immer es um Fernsehen, Medien und Digitalisierung geht, ist Bettina Reitz an vorderster Front dabei, scheut sich nicht vor kritischen Worten: „Die Inhalte der öffentlich-rechtlichen Anstalten sind zu wenig gesamtzuschaueraffin. Sie erreichen nicht mehr alle Menschen wie früher.“ In einem Zeitungsinterview hat sie das klassische „lineare“ Fernsehen in seiner Bedeutungshoheit als Auslaufmodell bezeichnet und meinte, sie sei sich selbst schon als „Sterbebegleiterin“ vorgekommen. Sie hat Schelte für diese „Nestbeschmutzung“ bekommen – sie lächelt darüber: Da sei eben einiges herausgepickt und skandalisiert worden. Andererseits habe das die notwendige öffentliche Diskussion befeuert und zeige obendrein: „Nur weil ich überwiegend für öffentlich rechtliche Anstalten gearbeitet habe, und deren Funktion schätze, bin ich kein unkritischer oder unfreier Geist.“

Wichtiger Rahmenvertrag

Tatsächlich sei es so, dass immer weniger Kinofilme von öffentlich rechtlichen Anstalten unterstützt würden. „Das Kino spielt im Fernsehen nicht mehr die große Rolle früherer Jahrzehnte.“ Bettina Reitz ist froh, dass die Hochschule seit bald 50 Jahren einen Rahmenvertrag mit dem Bayerischen Rundfunk und dem ZDF hat, „ohne den vieles an der HFF nicht gemacht werden könnte“. Dass sich zunehmend private Sender und das PayTV für die HFF interessieren, dass von dort oft Lizenzen für HFF-Filme nachgefragt werden, zeige, wie attraktiv die Hochschule für die Zukunft aufgestellt sei. Aber obwohl ARRI oder die Tele München und viele andere seit Jahren treue Unterstützer der HFF sind, werden die Mittel weniger. Drittmittel einwerben, Spenden und Sponsorengelder akquirieren: Auch da kann sich eine hauptamtliche Hochschulpräsidentin nun ebenbürtig neben Kollegen anderer Kunst- und Bildungsinstitutionen behaupten. Ihre Vernetzung und ihr Insiderwissen könne ihr künftig vielleicht manche Tür öffnen, hofft sie: „Geld gibt es heute in der Regel nicht mehr einfach für eine attraktive Lehre, sondern projektbezogen. Da muss man wissen, an wen man sich von Fall zu Fall wenden kann, welche Sprache man jeweils wählen muss, um zu überzeugen.“ Wenn Bettina Reitz mit all ihren Sensoren die Filmbranche abtastet, dann tut sie das nun verschärft für die Belange des Nachwuchses. „Großes Kino, Fernsehen, digitale Serien, 360-Grad-Angebote, Werbung, Games: Ist das alles abgebildet in der HFF?“, lautet eine der grundlegenden Fragen, die sie als Präsidentin leiten. Filmische Erzählweisen haben sich verändert, „in“ ist gerade „digitales storytelling“. Das unterscheidet zunehmend das Kino vom Fernsehen. Vor allem das Arthouse-Kino tut sich schwer: „Es bleibt ein Kino der der intellektuellen und künstlerischen Lust, aber eben nur für den kleineren Rahmen“, ist sich Bettina Reitz sicher. Wie ohnehin große Kinosäle außer bei Actionfilmen und Komödien nicht mehr so leicht zu füllen sind. „Home Entertainment ist die größte Konkurrenz, und das Kino muss sich dieser stellen.“ Ihr liegt daran, den Machernachwuchs mehr für „sein“ (neues) Publikum zu sensibilisieren – nicht nur für die Cineasten bei Filmfestivals, auf denen die HFF stark präsent ist. Bettina Reitz überlegt, ob die Hochschule nicht quer durch Bayern auch mal Kinos aufsuchen sollte und sich die Studenten dort mit ihren Arbeiten dem Publikum stellen, mit ihm darüber diskutieren.

Schwerpunkte hinterfragen

Die Filmwelt ist in starker Bewegung: „Müssen in der Lehre Schwerpunkte eventuell korrigiert werden? Wie und wo müssen wir internationaler arbeiten? Auch international müssen der deutschen Film und aktuell auch die deutsche Serie noch stärker wahrgenommen werden. Und nicht nur unsere deutschen Talente, wie aktuell auch einige HFF-Absolventen, die in Hollywood drehen.“ Der Maßstab der HFF-Chefin klingt pragmatisch: „Eine erfolgreiche Lehre bemisst sich danach, ob Absolventen Arbeit finden, ob sie am sogenannten Markt erfolgreich sind.“ 1966 gegründet, haben bislang rund 1800 Studenten die HFF verlassen: „Ein Who is Who? der Filmemacher. Daher rührt wohl auch das Image, dass die Hochschule ein Elitezirkel ist.“ „Vieles richtig gemacht“, zollt Bettina Reitz ihren Vorgängern und den Lehrenden Respekt. „Es geht jetzt nicht darum, hier alles umzukrempeln. Das ist gar nicht nötig. Die Arbeit, die die Kollegen hier leisten, ist außergewöhnlich, vor allem wenn man sieht, wie personell dünn wir ausgestattet sind.“ Nachdrücklich betont sie, dass sie zwar Strukturen der Zukunft anpassen will, sie sich aber nicht in die Feinheiten der Lehre einzelner Fächer einmischen wird: „Wir haben hier Profis! Die brauchen gewiss keine Bevormundung. Ich verstehe mich als Beraterin, gerade durch meine große Bandbreite an praktischer Erfahrung und mein langjährig aufgebautes Netzwerk kann ich entsprechenden Input bieten.“ Hin und wieder lehrt sie mit größter Freude auch selbst. Natürlich gehöre es geradewegs zu einer Kunsthochschule und den dort intellektuell geführten Diskussionen, dass Professoren auch mal nicht stromlinienförmig seien. „Die Hochschule ist ein Freiraum für Kunst und Kultur. Es gibt hier fast unbegrenzte Möglichkeiten, sich auszuprobieren. Das gilt für Lehrende und Studierende gleichermaßen.“ Ihr präzisierender Nachschlag macht aber dezent deutlich, wofür Bettina Reitz an der HFF-Spitze steht, dass ihr bei aller Kreativität die Bodenhaftung wichtig ist: „Das hier ist auch eine Brücke in den vielfältigen Markt.“ Wenn die Präsidentin die Filmhochschule für die Zukunft „aufmöbeln“ möchte, „dann geht das nicht ohne Vertrauen und nur mit den Kollegen“. Von denen sie allerdings „Offenheit für wichtige Veränderungen und für die Partner von morgen“ verlangt. Denn das hat sie in ihrem ersten Semester an der Hochschule, das sie Seite an Seite mit den Neulingen in deren ersten Lehrveranstaltungen begann, schnell erfahren: „Unsere Studierenden hier sind wach, neugierig, originell, kreativ. Sie sind sehr offen für neue Formen. Das hätte ich so nicht erwartet.“ Stolz zeigt sie den opulenten Katalog zu den Screenings: eine Art Leistungsschau der jüngst an der HFF gemachten Filme, die die Vielfalt der Ausbildung von Regie über Drehbuch und Kamera bis zu Produktion widerspiegelt.„Im Dokumentarischen ebenso wie bei der Fiction war ich überrascht einerseits von der Themenvielfalt, andererseits von der großen Sorgfalt, mit der diese Arbeiten von der Idee bis zur Recherche und Umsetzung durchgezogen wurden. Insofern dürfen wir ruhig elitär bleiben, wenn damit unser Qualitätsanspruch gemeint ist.“ Die „alten Hasen“ der Branche ermutigt sie: „Vorgefertigte Vorurteile dürfen wir uns angesichts des rasanten Wandels nicht erlauben. Wir dürfen auch keine Scheu vor Unterhaltung haben.“ Ein wenig amüsiert nennt sie ein Beispiel: „Für manche Filmliebhaber ist der Begriff Serie etwas Unanständiges. Und Netflix gleich das Allerunanständigste.“ Künftig wird es an der HFF eine Professur für Serien und Serielles geben. Schon im vergangenen Herbst war die HFF München Kooperationspartner und Spielstätte des ersten deutschen Serienfestivals „Seriencamp“.

„Die wunderbaren Alumni“

Damit soll der Drehbuchbereich verstärkt werden: „Doris Dörrie und Michael Gutmann können das zusätzlich nicht auch noch stemmen.“ Die Präsidentin muss mit dem Stellenplan streng haushalten – seit Januar gibt es ohnehin einen neuen Professor für Werbung, im vergangenen Jahr kamen Professuren für VFX (Visual effects) und für den Schnitt hinzu. Neue Gestaltungsmöglichkeiten – auch bei der Frauenquote, die ihr sehr am Herzen liegt – ergeben sich eventuell, wenn in den nächsten Jahren altersbedingt Positionen frei werden. „Wir rennen freilich nicht jedem Trend hinterher. Auch das ist meine Aufgabe: abzuklopfen, was wirklich tragfähig ist und mit einer Professur etabliert werden sollte“. Vieles lasse sich flexibel mit Zusatzangeboten wie Masterklassen und Workshops abdecken.“ Bettina Reitz hat dafür eine besondere, noch nicht optimal ausgeschöpfte Quelle im Blick: „die wunderbaren Alumni!“ Sie überlegt auch Kooperationen mit anderen Hochschulen: „Wir sollten in Deutschland nicht parallel vor uns hinarbeiten und Konkurrenzen aufbauen, sondern Synergien ausschöpfen.“ Da wäre beispielsweise die Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg: VFX und Animation bieten sich hier an. „Das ist dort schon lange ein Schwerpunkt der Lehre. Wir in München könnten mit den Firmen Trixter und Scanline den idealen Markt dazu bieten und sind ein herausragender Produktionsstandort.“

Synergien ausschöpfen

Bettina Reitz kann sich vorstellen, dass die HFF bei einzelnen Projekten auch mit der TU München enger zusammenrückt: „Zum Beispiel was die Entwicklungen in der Gamesbranche angeht. Oder mit den Architekturstudiengängen, wenn es um den szenischen Raum geht.“ Im Kleinen funktioniert das schon mit der Musikhochschule und mit der Theaterakademie August Everding. Bettina Reitz schaut noch weiter über den Tellerrand hinaus: Warum nicht auch mit anderen Hochschulen und Akademien in ganz Bayern zusammenarbeiten? Das könne sehr wichtig und befruchtend sein für den regionalen Blick. Und genauso, wie sie die Studierenden in Kinos quer durch Bayern schicken möchte, scheint sie schon an ihrem eigenen Reiseplan zu „Vorstellungsgesprächen“ zu arbeiten. „Ich fühle mich ganz Bayern verpflichtet“, sagt die gebürtige Frankfurterin (Jahrgang 1962). (Karin Dütsch) Abbildung:
2011 bezog die HFF das eigens für sie errichtete Hochschulgebäude im Münchner Museumsviertel.  (Foto: dpa)

Zeigen, was man drauf hat
Die Studierenden und Alumni der HFF sind stark auf Festivals vertreten. Folgende Termine stehen an:
• Dokfilmfest, 5. bis 15. Mai. Die HFF ist auch Spielstätte. www.dokfest-muenchen.de
• Filmfest München, 23. Juni bis 2. Juli. Die HFF ist auch Spielstätte.
www.filmfest-muenchen.de
• HFF-Jahresschau als dreitägiges Kino-Open-Air im Innenhof der Hochschule, 15. bis 17. Juli (nachts ab 22 Uhr, freier Eintritt).
www.hff-muenchen.de

Lehren im Haupt- und Nebenamt
Rund 350 Studierende sind derzeit an der Hochschule für Fernsehen und Film eingeschrieben. Auf diese fünf Studiengänge kann man sich bewerben:
• Kino- und Fernsehfilm • Dokumentarfilm und Fernsehpublizistik • Produktion und Medienwirtschaft • Drehbuch • Kamera. Die Abteilungen bieten in eigenen Lehrstühlen und Bereichen Studienergänzungen an: Lehrstuhl Filmischer Raum, Bereich Fernsehjournalismus, Bereich Werbung, Lehrstuhl Creative Writing, Lehrstuhl Bild, Licht, Raum, Lehrstuhl Montage, Lehrstuhl VFX. Medienwissenschaft und Technik sind für alle Studierenden Pflichtfächer. Derzeit unterrichten knapp 40 hauptamtliche und nebenamtliche Professoren und wissenschaftliche Mitarbeiter.

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