Kultur

Ensemble, Chor und Ballett des Staatstheaters am Gärtnerplatz. (Foto: Staatstheater am Gärtnerplatz/Marie-Laure Briane)

18.10.2019

Bilderflut im Kopftheater

Ein szenischer „Messias“ von Georg Friedrich Händel am Gärtnerplatz

Als der Chor das weltberühmte „Halleluja“ anstimmt, flattern Geldscheine vom Theaterhimmel. Der Messias selbst hockt auf dem Boden, in ein weißes Gewand gekleidet und mit Kalaschnikows um seine Schultern. Wenig später wird aus der Ahnung erschreckende Gewissheit. „Gott ist tot“, ruft die Jungfrau Maria. Dabei singt eigentlich der Sopran: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebet.“
Schon bald liegt Maria sterbend im Krankenbett in einem Hospital. Dieser Übergang vom zweiten zum dritten und letzten Teil des Oratoriums Der Messias von Georg Friedrich Händel ist der Höhepunkt des szenischen Konzepts, das sich Torsten Fischer für das Gärtnerplatztheater in München ausgedacht hat. Er hatte vor drei Jahren bereits Henry Purcells King Arthur inszeniert, und nun eben Händels Meister-Oratorium von 1742.

An prägnanten Stellen wird das Oratorium unterbrochen

Die Idee ist grundsätzlich gar nicht schlecht. Als Narrativ greift Fischer auf Passagen aus dem Roman Marias Testament von Colm Tóibín zurück. In ihm rückt der irische Autor 2012 die Heilige Jungfrau in das Zentrum, um ihr eine Stimme zu geben. Sie ist hier eine ganz normale Mutter, die am Ende ihres Lebens über den Verlust ihres Sohns nachdenkt. Sie zweifelt daran, die Mutter Gottes zu sein. Sie weiß nur, dass ihr einziges Kind grauenvoll hingerichtet wurde.

An prägnanten Stellen wird das Oratorium von Händel durch die Texte von Tóibín unterbrochen. In diesen Momenten spricht und spielt die Schauspielerin Sandra Cervik die ausgewählten Passagen aus dem Roman. „Ich spürte in der Menge einen Durst nach Blut“, heißt es etwa. „Ich konnte ihn in den Gesichtern der Menschen sehen, ihren angespannten Kiefern und ihren Augen, grell vor Erregung.“
In Verbindung mit den Massen-Chorszenen von Händel entfesseln solche Stellen zwar eine große Wirkung, aber: Trotzdem ermüden diese Verdoppelungen mit der Zeit, was auch Cervik geschuldet ist. Ihre Stimme ist ausdrucksstark, bemüht aber stets ein scharfes Zetern im Dauer-Pathos. Dieser sprachliche Gestus passte letztlich ganz und gar nicht zu Händels Oratorium, das mehr eine nachdenklich stille, introvertierte Meditation über Worte aus der Bibel über den Erlöser ist.

Es geht um sein Wirken und Wollen, sein Leben, Sterben und seine Auferstehung. Umso positiver die Choreografie von Karl Alfred Schreiner, die Bühne von Herbert Schäfer sowie die Kostüme von Vasilis Triantafillopoulos: Sie setzen insgesamt auf Reduktion und Zurückhaltung. Nur im dritten und letzten Teil, in dem Maria im Krankenbett liegt, ist die Ausstattung konkreter. Sonst aber wird der Musik das Narrativ überlassen, was dem Chor und dem Orchester des Gärtnerplatztheaters bei der Premiere überwiegend ganz wunderbar gelang.

Unter der Leitung von Anthony Bramall wurde historisch informiert musiziert: mit flüssigen Tempi und agiler Phrasierung. Das war besser, als man es in diesem Repertoire aus der benachbarten Bayerischen Staatsoper kennt. Manche Wackler bei den Choreinsätzen waren mehr den Solisten geschuldet. Ob Jennifer O’Loughlin, Mária Celeng, Dmitry Egorov, Timos Sirlantzis oder Einspringer Caspar Singh: Im Überdruck der sprechenden Maria blieben alle recht blass. Laut Besetzungszettel übernehmen die Solisten konkrete Rollen in dieser Handlung. Gleich zu Beginn wirkt das alles etwas konfus. Ein Heckenschütze erschießt Menschen und ein Jude verliebt sich in eine Muslimin. Auf ihrer Hochzeitsfeier eskaliert der Konflikt zwischen den Religionen. Auch hier gilt: Weniger wäre mehr gewesen. Die stärksten Bilder geriert der finale Teil im Krankenzimmer der Maria.
(Marco Frei)

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