Kultur

Kostümbildnerin Sibylle Wallum hat ganze Arbeit geleistet und schickt eine Art historische Fantasiemodenschau über die Bühnenbretter: Höchst malerisch ist das Outfit der Barbaren auf Kolchis. (Foto: Thomas Aurin)

11.12.2015

Braver Migranten-Stadel

Grillparzers "Das goldene Vlies" am Münchner Residenztheater thematisiert die aktuelle Fremdenfeindlichkeit

WELCOME steht in riesigen Lettern auf ein Transparent geschrieben. Darunter sitzen sie am Stammtisch zusammen, die griechischen Honoratioren um König Kreon. Aber so weit ist es nicht her mit der Willkommenskultur in Korinth. Das merkt man, als Medea ankommt: Schlafsäcke unterm Arm und Plastiktüten in der Hand  – ein Flüchtling. Denn natürlich liegt es nahe, die Sagenfigur Medea aktuell als Asylbewerberin zu sehen, so wie es Anne Lenk tut in ihrer Inszenierung von Franz Grillparzers Mythen-Drama Das goldene Vlies am Münchner Residenztheater. Aber Asyl wird Medea nicht kriegen, diese Fremde, die beim Einbürgerungstest versagt. Die rülpsende Barbarin aus dem fernen Kolchis, wo sie doch eine Königstochter war. Man raunt, sie sei eine Zauberin und Giftmischerin, die schnellstmöglich abzuschieben ist. Ihre Kinder soll sie aber gefälligst dalassen, bei ihrem Mann Jason, seines Zeichens griechischer Held, der das goldene Vlies aus Kolchis zurückgeholt hat.

Schnöseliger Karrierist

Johannes Zirner gibt Jason als leicht schnöseligen Schönling mit Gewissensbissen. Aber über die setzt er sich hinweg, wenn es um seinen Vorteil und seine Karriere geht. Er kriegt nicht nur Asyl, sondern die korinthische Prinzessin Kreusa als Frau gleich dazu, gespielt von Nora Buzalka als blendend aussehende höhere Tochter, bei der noch die Herzlichkeit berechnende Attitüde ist. Ganze Arbeit hat auch Kostümbildnerin Sibylle Wallum geleistet. Weil die Gewandungen der Akteure einen beträchtlichen Teil der Botschaft transportieren müssen, präsentiert sie eine Art historische Fantasiemodenschau: die Barbaren auf Kolchis tragen eine höchst malerische Mischung aus Skythen- und Hopi-Look, buntgemusterte Kleider, Perchten- und Krampus-Verkleidungen, Kappen mit Rehkrickerln und sonstigem Hörnerschmuck. Schamanische Speere, Zepter, Zauberstäbe mit Fetisch-Püppchen runden die exotische Voodoo-Ausstattung ab. Dazu gibt’s gewaltiges Nebelwallen, zuckende Lichter und stampfende Rhythmen. Die griechischen Eindringlinge in diese dunkel-lockende Welt sind hingegen erst wie Konquistadoren gekleidet, und die Argonauten kommen dann als Kolonialtruppe mit Tropenhelm und Tornister daher. Diese Traum-Rückblenden in Medeas Vorgeschichte, in einen romantisch-wilden Kosmos voller Wolpertinger-Animismus sind hübsch anzusehen. So wie die Inszenierung insgesamt solide, aber auch sehr brav und traditionell ausfällt. Dass in dem effektvollen Migranten-Stadel aber so etwas wie echte, erschütternde Tragik spürbar wird, ist Meike Droste zu verdanken. Sie gibt ihrer Medea eine solche innere und innerliche Lauterkeit, eine derart idealische, fast schon heiligmäßige Reinheit der Person, dass man erschrocken feststellt: Wenn sie am Ende ihre Kinder und die Nebenbuhlerin umbringt, scheint das vollkommen schlüssig: die verständliche Reaktion auf die schäbigen Gemeinheiten, der hochzivilisierten Griechen, die Medea erst benutzen, dann verraten und rausschmeißen. Hier hätte die Inszenierung – über die äußerliche Aktualisierung hinaus – ansetzen und zeigen können, dass es letztlich immer handfeste egoistische Interessen sind, die sich hinter der Fremdenfeindlichkeit verbergen. (Alexander Altmann) Abbildung:
Medea (Meike Droste) kampiert im Flüchtlingszelt. (Foto: Thomas Aurin)    

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