Kultur

Anton Nürnberg begeistert als tänzelnder Alfred Klapproth, der seinen Onkel an der Nase herumführt. (Foto: Amelie Kahn-Ackermann)

16.06.2023

Burn-out trifft auf Bore-out

Gute Idee, mangelnde Umsetzung: Eine gegenderte „Pension SchöllerInn“ am Münchner Volkstheater

Er tänzelt und hopst über die Bühne, wirft seine Beine um sich, schwebt und springt elfenhaft wie eine Primaballerina. Dieser absurden, aber höchst sinnlichen Balletteinlage von Anton Nürnberg als „Schneeflöckchen“ Alfred Klapp-roth könnte man stundenlang zusehen. Sie ist fraglos der Höhepunkt einer Uraufführung, die ansonsten kaum in Fahrt kommen möchte, obwohl die Voraussetzungen so vielversprechend sind wie die Idee selber. Für das Münchner Volkstheater haben nämlich das Regieteam Nele Stuhler und Jan Koslowski das 1890 in Berlin uraufgeführte Lustspiel Pension Schöller von Carl Laufs und Wilhelm Jacoby überschrieben.

Eine gegenderte Pension SchöllerInn ist herausgekommen: keine vermeintliche Irrenanstalt wie in der Vorlage, sondern ein postmodernes Resilienztetreat. Dort suchen Burn-out- und Bore-out-Geplagte der dauergestressten Oberschichtschickeria rasche, erfolgreiche Genesung.

Beim Bore-out wird Langeweile wegen konstanter Unterforderung zur Belastung. Was wie ein Gegenstück zum Burn-out wirkt, kann wie dieses Syndrom zu totaler körperlicher, emotionaler, geistiger Ermattung mit verminderter Leistungsfähigkeit führen.

In der Lesart dieser neuen Überschreibung der Pension Schöller findet der Wahnsinn also nicht in der getrennten Parallelwelt einer Psycho-Pension statt, sondern im Grunde mitten unter uns.

Dreiste Luftblase

Auch sonst wird die Handlung etwas frisiert. Der reiche Onkel Philipp Klapproth (Anne Stein) pflegt einen Start-up-Fetisch und investiert in das Resilienzretreat-Projekt seines Neffen Alfred. Als der Onkel nach dem Rechten sehen will, beginnt das Chaos. Das ganze Unternehmen ist eine Luftblase, existiert nur auf dem Papier. Dabei möchte der Onkel einfach einmal gesunde Menschen sehen, fernab des alltäglichen Wahnsinns. Ein Trick muss helfen. Alfred ist vernarrt in Friederiken (Steffen Link). Ihre Tante Schöllerinn (Brigitte Cuvelier) betreibt die Pension SchöllerInn, und die wird nun kurzerhand zum Resilienzretreat. Das könnte gut funktionieren, wenn die Gäste nicht allesamt total durchgeknallt wären.

Als völlig dekadent-hysterischer Weltreisender Bernhard Bernhardy poltert Liv Stapelfeldt durch die Szene. Der Kellner Gröber (Jan Meeno Jürgens) hat größte Mühe, angesichts ständig wechselnder Extrawünsche die Bestellungen aufzunehmen. Die Schriftstellerin Josephine Krüger (Lorenz Hochhuth) schwelgt genauso in ihren geklauten Wortkaskaden wie der Konzertpianist Eugen Schöller (Luise Deborah Daberkow) im weichgespülten Klimperspiel.

Die Idee der Inszenierung ist super, nur bei der konkreten Umsetzung hapert es teils gewaltig. Leider sitzen die Pointen nur selten, zu einstudiert sind Mimik und Gestik in ihrer Wirkung. Auch der reichlich präsente Aktionismus kann nicht verhindern, dass die über zwei Stunden Spieldauer ohne Pause bald arg ermüden.

Komplex und ständig in Bewegung ist die Bühne von Sina Man-they und Marlene Lockemann: Ohne Live-Kamera wären manche Positionen nicht zu sehen. Dafür aber gibt es reichlich Berliner Volksbühnennostalgie. Kein Wunder, denn dort hatten sich die Projektmacher Stuhler und Koslowski einst kennengelernt. Wie dort oftmals üblich, ist die Souffleuse Christina Geiersberg auf der Bühne präsent. Aus Berlin wurde zudem die belgische Performerin und Choreografin Cuvelier als Schöllerinn mitgebracht. Ihr französischer Akzent gibt der Produktion, was ihr sonst fehlt: unbemühte Leichtigkeit. (Marco Frei)

 

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