Kultur

Papiertheater-Bühne für "Die Meistersinger von Nürnberg" (um 1880). (Foto: GNM)

01.03.2013

Butzenscheibenromantik

Wagner-Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg

Die Originalpartitur von Richard Wagners einziger Komischen Oper, Die Meistersinger von Nürnberg, gehört zu den kostbarsten Handschriften des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg. Zum Wagner-Jahr 2013, dem Jubiläum des 200. Geburtstags, zeigt jetzt das Museum die von des Komponisten Hand gefertigte Notenhandschrift in der Ausstellung Wagner – Nürnberg – Meistersinger. Richard Wagner und das reale Nürnberg seiner Zeit.
Wie die Reinschrift der Notation in das Germanische Nationalmuseum gelangte, kommt einem Glücksfall gleich: Zum 50. Gründungsjubiläum des Museums, 1902, vermachte Prinzregent Luitpold dem Haus die über 400 Seiten starke Handschrift. Und damit ereilte sie nicht das gleiche Schicksal wie das anderer Wagner-Opern-Partituren: Jene zu Rienzi, Rheingold und Walküre schenkte die deutsche Wirtschaft dem erklärten Wagner-Verehrer Adolf Hitler zu dessen 50. Geburtstag – seitdem sind sie verschollen (eine Vermutung lautet, dass sie im Besitz einstiger amerikanischer GIs sind, die sie nach Kriegsende „erbeuteten“).
In Nürnberg steht die endgültige Fassung der Partitur, so wie sie zum Musikverleger für den Druck ging, in einer Vitrine – sie ist der Mittelpunkt der Ausstellung, die ansonsten das mittelalterliche, aber eigentlich das „altdeutsche Nürnberg“, zeigt, so wie Wagner und die Zeit eines rückwärts gewandten Historismus es sahen oder sehen wollten.
Die Ausstellung dokumentiert aber auch die zwei wichtigeren der insgesamt zehn aktenkundigen Nürnberg-Besuche Richard Wagners, nicht mitgerechnet das in der Ausstellung ebenfalls dokumentierte Großereignis des Leichen-Zugs, mit dem am 17. Februar 1883 der tote Richard Wagner von Venedig, wo der Komponist gestorben war, über Nürnberg triumphal nach Bayreuth heimgeholt wurde.
Mit Stichen, Gouachen, Aquarellen, Schriftstücken und Urkunden, mit Briefen, Büchern und Grafiken geht die Ausstellung vor allem aber auf die zwei bemerkenswertesten Besuche Richard Wagners in Nürnberg ein, wo seine Schwester Clara verheiratet war. Nicht nur um diese zu besuchen kam 1835 der zu dieser Zeit noch recht unbekannte Magdeburger Kapellmeister nach Nürnberg: sondern auch, um im Nürnberger Theater (nahe der Lorenzkirche, im Zweiten Weltkrieg wurde es zerstört) eine der seinerzeit wohl berühmtesten deutschen Sopranistinnen, die „Vokaltragödin“ Wilhelmine Schröder-Devrient singen zu hören, die dort in Beethovens Fidelio gastierte. Erstmals hatte er sie als 16-Jähriger in Leipzig erlebt – ihr zuliebe habe er sein Leben der Musik gewidmet, so die nicht zuletzt von Wagner selbst in seiner Autobiografie Mein Leben genährte Legende. Später gewann Wagner sie als Protagonistin für den Fliegenden Holländer wie für Lohengrin und Tannhäuser.
Der zweite, für seine spätere, dem Nürnberger „Schuster und Poeten“ Hans Sachs gewidmete Oper Die Meistersinger von Nürnberg entscheidendere Nürnberg-Besuch datiert aus dem Jahre 1861, als Wagner – anders als bei seinem Besuch 1835 – bereits der international berühmte und „berüchtigte Künstler“ (Ausstellungskurator Frank P. Bär) war. Bei diesem Besuch im August sah er die Stadt schon aus der Sicht seiner ihm bereits vorschwebenden Meistersinger-Oper, die dann allerdings nicht in Nürnberg, wo Wagner selbst sie gern zur Uraufführung gebracht hätte, sondern am 21. Juni 1868 in München erstmals herauskam.
Bei diesem Nürnberg-Aufenthalt wurde Wagner Zeuge der immer wieder kolportierten Schlägerei vor einem Wirtshaus, die als „Prügelszene“ zum Ende des zweiten Aufzugs in die Meistersinger einging. Wie überhaupt sich der große Komponist offenbar mehr für das profane, enge und kleinbürgerliche Butzenscheiben-Nürnberg interessierte als für die aufstrebende Industriestadt, in der immerhin die erste deutsche Eisenbahn fuhr, was Wagner ebenso wenig eine Erwähnung wert ist wie das „Zweite Deutsche Sängerfest“ 1861 in Nürnberg, das doch zu seinen Meistersingers gepasst hätte, zumal es kurz vor seinem Besuch in Nürnberg in einem eigens errichteten riesigen Holzpalast stattgefunden hatte und mit 60 000 Zuschauern zu einem für damalige Verhältnisse gigantischem „Event“ geworden war. Auch das damals noch junge Germanische Nationalmuseum kam schlecht weg: als „armselig“ apostrophiert er es – und geht nicht auf die recht bedeutende Sammlung historischer Musikinstrumente des Museums ein, die er sich offenbar gar nicht anschaute, sondern ist fasziniert von mittelalterlichen Folterinstrumenten, (die sich später als Fälschungen herausstellten).
Mit den Meistersingern reüssierte der bereits tote Wagner Jahrzehnte später im benachbarten Opernhaus umso erfolgreicher: Zu den Reichsparteitagen der NSDAP, bei der alljährlich Hitler Heerschau hielt, wurden auf Wunsch des „Führers“ jeweils am Vorabend des Reichsparteitags im Nürnberger Opernhaus die Meistersinger gegeben. (Friedrich J. Bröder) Bis 2. Juni. Germanisches Nationalmuseum, Kartäusergasse 1, 90402 Nürnberg. Geöffnet: Di. bis So. 10 – 18 Uhr, Mi. bis 21 Uhr. www.gnm.de

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