Kultur

Otto (Christoph Franken) hat Lust auf Hilde (Nicola Kirsch), sie aber nicht auf ihn. (Foto: Birgit Hupfeld)

11.03.2022

Das große Rammeln

Opernregisseurin Lydia Steier inszeniert Franz Xaver Kroetz im Münchner Marstall

Im Normalfall sind es Regisseur*innen aus Film oder Sprechtheater, die sich in der Oper versuchen. Nicht immer geht das gut, weil nur wenige von ihnen Partituren lesen können oder das nötige Gespür für Musik und Gesang haben. Der umgekehrte Fall, also dass sich die Musiktheaterregie auf der Sprechbühne versucht, ist nur selten zu erleben. Weil es nur wenige originäre Opernregiekräfte gibt? Keineswegs! Zur Wahrheit gehört auch, dass das Sprechtheater als Kunstgattung im Grunde ziemlich konservativ und – allein sprachlich bedingt – verschlossen ist. Während das Musiktheater als universellste Kunstform schon immer offen für Kräfte aus anderen Künsten war, bleibt man auf der Sprechbühne gerne unter sich.

Umso löblicher ist es, dass das Residenztheater jetzt das Sprechbühnendebüt einer Opernregisseurin ermöglicht hat. Im Musiktheater ist Lydia Steier längst ein großer Name. Seit ihrem Debüt 2009 hat die gebürtige US-Amerikanerin durchwegs Glanzleistungen aneinandergereiht. Unvergessen ihre Stockhausen-Regie 2016 in Basel, ein absoluter Renner ihre Salzburger Zauberflöte von 2018. Diese Frau, seit 2021 Operndirektorin in Luzern, glänzt mit einer stupenden, auch humorvollen Lust am Erzählen.

Ein typischer Kroetz

Genau davon profitiert auch Der Drang, den Lydia Steier im Münchner Marstall inszeniert hat. Dieses „Volksstück in drei Akten“ von Franz Xaver Kroetz, uraufgeführt 1994 an den benachbarten Kammerspielen, nimmt Steier sehr musikalisch und mit witzig-ironischer Gelassenheit. Das ist auch notwendig, denn: Es wird viel gevögelt und dem Volk aufs Maul geschaut – ein typischer Kroetz eben.

Diese Derbheit muss nicht nur in der Regie beherrscht werden, sondern auch in der Darstellung. Beides funktioniert ganz prächtig. Die Bühne von Blake Palmer atmet ein spießiges Ambiente, wie man es aus dem amerikanischen Nirgendwo kennt. In der Ausstattung von Palmer hat indessen Christoph Franken als derber Otto auch etwas Oberbayerisches. Das gibt dem Ganzen eine besondere Würze. Er säuft und vögelt gerne. Das täte Otto bevorzugt mit seiner Frau Hilde (Nicola Kirsch), aber die „kräftige Vierzigerin“, so die Rollenbezeichnung, hat wenig Lust dazu.

Ihr Bruder Fritz (Vincent Glander) hat einen ganz anderen Drang: Er ist ein Exhibitionist, der gerne vor Frauen wichst. Deswegen saß er im Gefängnis und muss Pillen schlucken. Das versteht Otto gar nicht und lässt die Sau raus: nicht mit Hilde, sondern mit der Mitzi von Liliane Amuat. Sie mag eine „unscheinbare Dreißigerin“ sein, aber stille Wasser sind bekanntlich tief. Dieses Duo lässt keine Stellung aus. Selbst der Wutausbruch der eifersüchtigen Hilde kann das große Rammeln nicht stoppen. Mit einer Axt schlägt die wilde Hilde auf das Interieur ein.
Großes Gelächter im Marstall. Selbst der sonst etwas distanziert wirkende Kroetz, ebenfalls im Publikum anwesend, war sichtlich vergnügt. „Das ist doch sehr inspirierend für heute Nacht, gell?“, freute sich eine ältere Besucherin in der Pause. So lässt sich das Stück eben auch betrachten: als lehrreiche, eindrückliche Unterweisung in Sexualakrobatik. (Marco Frei)

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