Kultur

Auch wenn die Farbigkeit verblasst ist, so kann man noch immer erkennen, wie fein das ausdrucksstarke Gesicht des hl. Antonius koloriert war (um 1450). Die Abbildung des ganzen Einblattholzschnittes sehen Sie neben weiteren Motiven in der Bildergalerie am Ende des Beitrags. (Foto: Staatliche Graphische Sammlung

02.08.2019

Das Jesuskind fürs stille Kämmerlein

Brennpunkt kulturhistorischer Bedeutungsvielfalt: Die Einblattholzschnitte der Staatlichen Graphischen Sammlung München

Mittelalterliche Handschriften begeistern Ausstellungsbesucher – wenn nicht allein der Aura ihres Alters wegen – mit prächtiger Malerei oder luxuriösen Einbänden. Experten gelten sie auch ihres Inhalts wegen als Kulturschätze allerersten Rangs. Als folgende große Leistung der Mediengeschichte wird die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern durch Johannes Gutenberg gefeiert – nicht nur als Meilenstein der Technikgeschichte: War das geschriebene und illustrierte Wort früher eine Sache höchst elitärer Kreise oder der Hüter von (religiösem) Arkanwissen, so stehen die Druckerzeugnisse für die Emanzipation der Wissensgesellschaft. Zudem wandelte sich das Textwerk von der Rarität zum Massenprodukt.

Zwischen diesen beiden Polen der Mediengeschichte am Zeitenumbruch zwischen Mittelalter und beginnender Neuzeit gibt es ein weiteres, allerdings eher unauffälliges, (mit Ausnahme von Künstlern des Expressionismus) oft übergangenes Kapitel: das der Einblattholzschnitte. Rührt die geringere Aufmerksamkeit daher, weil es nur einseitig bedruckte Blätter sind mit auf den ersten Blick künstlerisch einfachen Bildern – obendrein nur auf Papier? Ist es, weil diese Blätter schon zu ihrer Zeit als relativ billige Massenware vertrieben wurden und vor allem den Charakter eines Gebrauchsgegenstands und nicht eines Kunstwerks hatten, was dem Nimbus spektakulärer Einmaligkeit und damit einer Adelung als herausragendes Kulturgut widerspricht?

Wenige Blätter überlebten

Auch wenn die Ära der Einblattholzschnitte (eine typisch süddeutsche Erscheinung) mit rund 150 Jahren eine verhältnismäßig kurze Erfolgsgeschichte war – dafür war sie eine umso einschlagendere mit rascher Blüte. Hunderttausende plus X solcher Blätter gab es – geradezu eine Überschwemmung der zuvor recht bilderlosen Zeit. Doch was blieb davon übrig? Vielleicht um die 3000 weltweit. Mit etwa 300 Exemplaren den nicht nur zahlenmäßig, sondern vor allem qualitativ herausragendsten Bestand besitzt die Staatliche Graphische Sammlung in München. Die allermeisten Blätter stammen aus klösterlichem Besitz – dort fand man sie vor allem einklebt und eingelegt in Büchern. Die Graphische Sammlung sorgt nun mit einer phantastischen Schau für die gebührende Würdigung dieser Inkunabeln des Bilderdrucks.

Schnell wird in der vom Spezialisten der Graphischen Sammlung für die deutsche Kunst des 15. bis 18. Jahrhunderts, Achim Riether, kuratierten Ausstellung deutlich: Die Einblattholzschnitte sind ein Brennpunkt kulturhistorischer Bedeutungsvielfalt.

Papier en masse

Da wäre der technische Aspekt: Der Druck erfolgte auf Papier – „die wenigen Drucke auf Pergament in unserer Sammlung gehören streng genommen nicht zu diesem Genre“, erklärt Achim Riether, „es sind nämlich Missaleblätter, also Vorblätter in Büchern, die herausgelöst wurden. Einblattholzschnitte dagegen haben keinen Buchzusammenhang.“

Der Druck auf Papier verweist auf einen herausragenden technikhistorischen Meilenstein: auf die Massenproduktion von Papier. Die war erst durch maschinelle Papiermühlen ermöglicht; die Italiener hatten bei deren Entwicklung die Nase vorn, in der ersten Papiermühle auf deutschem Boden von Ulman Stromer in Nürnberg drehten sich die Mühlräder ab 1390. Auf die Zeit um 1410 wird der älteste erhaltene Einblattholzschnitt datiert: Er zeigt das Motiv „Christus in der Kelter“ und gehört zum Bestand des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg.

Papier wurde der erschwingliche Stoff, auf dem Drucke unters Volk kamen. Wobei der Holzdruck zu jener Zeit nicht neu war – zum Beispiel auf Textilien. Die Holz- beziehungsweise Formschneider jener Zeit waren keine Pioniere – anders als ihre Handwerkskollegen in den Druckwerkstätten. Diese mussten erst das Gespür fürs Papier entwickeln, wie feucht es gemacht werden musste, damit es beim Reiberdruckverfahren das bestmögliche Ergebnis hervorbrachte – und das maß sich vor allem an sauberen Lineaturen ohne Ausbrechungen. Viele der Blätter aus der staatlichen Sammlung sind Reiberdrucke: Das Motiv wurde nicht gestempelt, vielmehr wurde das feuchte Papier auf den Druckstock gelegt und angerieben. Ein zweites Mal hätte man das Papier nicht so behandeln können: Man hätte den bereits vorhandenen Druck bereiben müssen und damit stark beschädigt. Deshalb der einseitige Druck. Erst später kam der Pressendruck hinzu.

Vier Arbeitsschritte

Der Aspekt moderner Arbeitsteilung: Wie der Großteil der Drucker und Druckwerkstätten dieser Blätter unbekannt ist, sind es – bis auf wenige Ausnahmen, zum Beispiel Hans Burgkmair am Ende des Jahrhunderts – auch die Künstler, die ihre Motive unmittelbar auf den Holzblock zeichneten. Anonym sind auch die Formschneider, die das Holz so bearbeiteten, dass die Linien als Grate stehen blieben. Als Letzte legten noch Briefmaler Hand an die Drucke: In den gut ersten 50 Jahren ihrer Verbreitung waren die Drucke prinzipiell mal spärlich, mal üppig koloriert; erst später kam mit der Verfeinerung der Drucktechnik und der Möglichkeit, mit Schraffuren zu modellieren, das Schwarz-Weiß-Bild auf.

Man kann nicht davon ausgehen, dass alle vier Arbeitsschritte von ein und derselben Person und am selben Ort erledigt wurden. Nicht einmal der zeitliche Zusammenhang ist festzulegen: Manche Druckstücke mit beliebten Motiven wurden jahrzehntelang benutzt. Ja, ein Sammler solcher mittelalterlichen Druckstöcke ließ gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit ihnen Blätter drucken, freilich auf modernem Papier – eine spannende Frage der Originalität.

Kultisches Gebrauchsgut

Besondere Bedeutung kommt den Einblattholzschnitten als kultische Gebrauchsgüter zu. Die biblische Bilderwelt konnte die überwiegende Mehrzahl der Menschen bis dahin nur in den Kirchen bestaunen. Doch mit den gedruckten Bildern konnte man sich sein herziges Jesuskind nach Hause holen, das Bildchen vielleicht um Schutz flehend an die Wiege des Neugeborenen picken. Oder ein Kreuz mit dem Gemarterten an die Stubenwand hängen – der tägliche Blick darauf ließ die eigene Mühsal leichter ertragen. Maria, all die Heiligen, mal nur ein Kreuz oder ein heiliges Herz: Für diesen kleinen, eigenen Bilderschatz fand sich immer ein Plätzchen. Beschriftungen auf den Bildern brauchte es nicht: Gott und die heilige Familie musste man nicht erklären, und anhand weniger Attribute wusste man, wen man ansonsten vor sich hatte: Wer anderes als der hl. Hieronymus konnte das schon sein, dem ein Löwe die Pranke auf den Schoß legt, auf dass er von einem peinigenden Dorn befreit würde?

Gold des kleinen Mannes

Die Künstler bedienten sich in ihren intuitiv verständlichen Bildgeschichten einer auch bei Leseunkundigen allgemein bekannten Ikonografie. Die Figuren haben oft expressive Mimik und Gestik. Die Briefmaler unterstrichen die eindringliche Bildwirkung: Hach, wie ließen sie in tiefem Lackrot das Blut aus den Wunden Jesu nur so spritzen! Rot, Blau, Grün waren die beliebtesten Farben, gemalt wurde mal lasierend, mal deckend. Heute ist die ursprüngliche Farbenpracht meist verblasst. Auch die Glimmerzier mancher Motive ist meist nur noch unterm Mikroskop auszumachen. Wie muss doch im Kerzenschimmer der Heiligenschein des Jesuskinds und das wellige Haar des erwachsenen Jesus gefunkelt haben, wenn die Briefmaler Akzente mit metallischem Flitter setzten! Wie das Gold der teuren Kirchenkunst – nur, dass man diesen Schatz ganz allein und aus der Nähe betrachten und sogar darüber streichen durfte!

Die Einblattholzschnitte befeuerten den Zeitgeist an einer tiefgreifenden Wende: Die Deutungshoheit der im 15. Jahrhundert ohnehin in ihren Grundfesten erodierenden christlichen Kirche bröckelte, noch feierten Heiligenverehrung, Reliquienkult und der Ablasshandel fröhliche Urständ am Vorabend reformatorischer Miesmacherei. Explizit für den Ablass produzierte Einblattholzschnitte sieht man auch in der Ausstellung.

Massenweise unters Volk gebrachte Heiligenbilder auf Papier sorgten einerseits für die Bindung an Althergebrachtes und eine intensivere Durchdringung des Alltags mit der christlichen Konvention, ermöglichten aber andererseits die Loslösung vom Kirchenraum hin zur privaten Andacht.

Und der Wandel ging weiter – was sich ebenfalls an den Motiven der Einblattholzschnitte beobachten lässt: Die Emanzipation von kirchlicher Allmacht erlaubte es, auch ganz Profanes auf nur einem Blatt Papier unters Volks zu bringen: Wissenschaftliches ebenso wie Liebesangelegenheiten, Haushaltsempfehlungen – und üble Hetze gegen Juden.

Im Visier der Expressionisten

Aber da neigte sich das Medium Einblattholzschnitt seinem Ende zu. Kupferstiche ermöglichten eine größere künstlerische Entfaltung, gedruckte Bücher konnten gleich einen größeren Wissens- und Bilderkosmos versammeln. Erst Jahrhunderte später entdeckten expressionistische Künstler diese frühe Bilderwelt wieder – als Zeugnisse einer vermeintlich unverfälschten Ausdruckskunst.
(Karin Dütsch)

Information: Bis 22. September. Staatliche Graphische Sammlung, Pinakothek der Moderne, Barer Straße 40, 80333 München. Tgl. außer Mo. 10-18 Uhr, Do. 10-20 Uhr. www.sgsm.eu

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