Kultur

Franz Josef Strauß mit Ehefrau und Tochter im Urlaub 1980. Mit auf dem Boot war Jürgen Gebhardt (1942 in Hamburg geboren), der seit 1976 für den „Stern“ arbeitete. (Foto: BSB/Bildarchiv/Jürgen Gebhardt)

19.07.2019

„Der Angstfaktor hat sich in Wohlgefallen aufgelöst“

Das analoge „Stern“-Fotoarchiv in der Bayerischen Staatsbibliothek: Generaldirektor Klaus Ceynowa über einen Jahrhundertdeal

15 Millionen Bilder auf einen Schlag hat die Bayerische Staatsbibliothek Anfang des Jahres bekommen: Der „Stern“ hat ihr sein analoges Fotoarchiv geschenkt. Es ist ein einzigartiges Dokument des Weltgeschehens und das visuelle Gedächtnis der Bundesrepublik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Stabi-Chef Klaus Ceynowa erzählt, wie es zu dieser grandiosen Schenkung kam und was damit jetzt geschieht.

BSZ Herr Ceynowa, der „Stern“ ist in Hamburg beheimatet. Weshalb hat das Magazin seine Fotos ausgerechnet nach München abgegeben?
Klaus Ceynowa
Bei einer Tagung 2017 von Bildarchiven der öffentlichen Hand, die in unserem Haus stattgefunden hat, wurde unter anderem das Stern-Archiv genannt, als es um die Gefahr für den Bestand analoger Fotoarchive ging, um den unsicheren Umgang mit diesem Kulturgut. Wie mir meine Fachkollegin Cornelia Jahn erzählte, wurde das eher mit einem alarmistischen Unterton vorgetragen, ohne wirklich die Chancen zu sehen. Ich habe dann über den Verlag Gruner+Jahr, zu dem der Stern gehört, Kontakt aufgenommen.

BSZ War da nicht auch jemand anderes hinter dem Archiv her?
Ceynowa Ja, es gab tatsächlich renommierte andere Konkurrenz.

BSZ Und die hat sich ein solches Geschenk durch die Lappen gehen lassen? Wo ist da der Haken?
Ceynowa Tatsächlich stand anfangs eher eine Dauerleihgabe im Gespräch, so wie es zum Beispiel der Spiegel mit der Übergabe seines Fotoarchivs an die Hamburger Deichtorhallen gemacht hat. Aber da habe ich gleich signalisiert, dass an diesem Punkt das Gespräch zu Ende ist. Wir sehen in der Staatsbibliothek solche Dauerleihgaben inzwischen sehr skeptisch. Letztendlich bedeuten sie oft nur eine Verschiebung von Lagerkosten und der Kuratierung. Und eines Tages will dann der Eigentümer oder sein Erbe die Leihgabe zurück – allenfalls mit einem Dankeschön dafür, dass wir inzwischen die Kosten und Arbeit dafür getragen haben. Nein, ich habe gesagt: entweder eine unentgeltliche Schenkung oder gar nicht.

BSZ Hat der „Stern“ das Geschenk dann mit Auflagen verbunden?
Ceynowa Im Vertrag stehen keine zwingenden Verpflichtungen, sondern explizit, dass sich die Staatsbibliothek nicht mehr um das Archiv kümmern muss, als sie aus ihrem normalen Betrieb heraus bewältigen kann. Das gilt für jegliches Konservieren, Archivieren und Digitalisieren. Im Prinzip passen wir darauf auf im Rahmen der verfügbaren Mittel und genauso wie auf unsere sonstigen Sammlungen.

BSZ Dann wandern die Fotos also auf Nimmerwiedersehen in ein Magazin?
Ceynowa Natürlich nicht! Einen solch unglaublichen Fundus sperrt man nicht einfach weg. Er ist immerhin so etwas wie eine Ikone des visuellen Gedächtnisses, nicht nur der Bundesrepublik Deutschland, sondern zum Weltgeschehen. Der Stern war einmal das weltweit bedeutendste fotojournalistische Magazin.

BSZ Die Sammlung dokumentiert also auch ein Kapitel Mediengeschichte?
Ceynowa Ja, ein ganz wesentliches, und das macht dieses Archiv obendrein so einzigartig. Die analoge Fotografie war auch die Zeit der großen Fotojournalisten. Damals musste man noch eigens anreisen zu Ereignissen rund um den Globus, machte sich bewusst auf Motivsuche. Das war reflektierte Fotografie mit sozialkritischem Anspruch. Das ist heute nur noch vergleichsweise selten der Fall. Jetzt steht schon überall jemand mit Handykamera parat und knipst einfach los.

BSZ Haben Sie mit der Übernahme des Archivs auch eine extra Finanzspritze bekommen, um es zu pflegen?
Ceynowa Wir haben zwar keinen eigenen Etat dafür ausgewiesen, können aber im Budget Prioritäten setzen. Die Fotoabteilung wird auf jeden Fall personelle Unterstützung bekommen. Und selbstverständlich konnten wir es so managen, dass wir bereits an der Nutzbarmachung des Archivs arbeiten.

BSZ Wie sieht die aus?
Ceynowa Zunächst möchten wir 2022 eine Ausstellung dazu machen. Dann planen wir die Digitalisierung von zunächst rund zwei bis drei Millionen Fotos. Vermutlich nächstes Jahr wird es dazu eine Ausschreibung geben. Auf unserer Homepage werden wir eine eigene Bildplattform für das Stern-Archiv installieren. Außerdem werden wir eine Bilddatenbank mit entsprechendem Vermarktungsportal dafür einrichten.

BSZ Vermarkten heißt, die Staatsbibliothek wird damit Geld verdienen? Was ist mit Urheberrechten der Fotografen?
Ceynowa Ungeklärte Urheberrechts- und Nutzungsfragen mögen tatsächlich Konkurrenten davon abgehalten haben, das Stern-Fotoarchiv zu übernehmen. Aber wir haben uns davon nicht abschrecken lassen. Wir gehen immer vom Worst Case aus. Diesmal hätte es schlimmstenfalls geheißen: Dann lassen wir eben alles im Magazin liegen und bewahren es, bis die Zeit das Urheberrechtsproblem löst.

BSZ Das hätte dann Jahrzehnte dauern können. So weit ist es nun aber nicht gekommen – wie das?
Ceynowa Wir haben uns die Rechtssituation genau angesehen. Grundlegend sind mit dem Schenkungsvertrag sämtliche Nutzungs- und Eigentumsrechte auf die Bayerische Staatsbibliothek übergegangen, freilich nur jene, die der Stern zuvor selbst inne hatte. Mit Blick auf die wenigen, heute überhaupt noch vorhandenen, seinerzeit abgeschlossenen Arbeitsverträge zwischen dem Stern und den Fotografen kann man durchaus sagen, dass wir keine ganz schlechte Rechtsposition hätten. Aber letztlich ist das heute kaum noch zu klären, und – das ist das Schöne – es ist auch gar nicht nötig.

BSZ Wie das?
Ceynowa Wir haben in den zurückliegenden Monaten mit einer Reihe von seinerzeit langjährig fest angestellten Stern-Fotojournalisten, in einigen Fällen auch mit deren Rechtsnachfolgern, Nutzungsvereinbarungen abgeschlossen, die uns die Digitalisierung und Vermarktung der Fotos, aber auch die kostenfreie Nutzung für wissenschaftliche Zwecke, gegen eine faire Einnahmenbeteiligung erlauben – eine echte Win-win-Situation.

BSZ Was sagen die Fotografen denn grundsätzlich zu dem Schenkungs-Deal?
Ceynowa Sie waren alle begeistert und empfinden es als enorme Würdigung ihrer Arbeit. Die bleibt in der Staatsbibliothek nämlich sichtbar, wird nicht vergessen, geht nicht verloren, und zwar grundsätzlich für „ewige Zeit“. Einige Male wurden wir sogar gefragt, ob wir zu Hause aufbewahrtes Fotomaterial nicht auch noch übernehmen wollen. Ich gehe also davon aus, dass wir letztlich nicht 15, sondern sogar knapp 17 Millionen Fotografien haben werden.

BSZ Und dass die Staatsbibliothek damit Geld macht, stört sie nicht?
Ceynowa Keineswegs! Der Nutzungsvereinbarung zufolge teilen wir uns den Gewinn 50:50. Das finden die Fotografen sehr fair. Mit diesen Vereinbarungen sind nun für mehr als 60 Prozent des Bestands die Nutzungsrechte geklärt. Und das innerhalb von nur vier Monaten! Der Angstfaktor „ungeklärte Rechte“ hat sich damit weitgehend in Wohlgefallen aufgelöst.

BSZ Muss also, wer in den Fotografien stöbern will, dafür bezahlen?
Ceynowa Nein. Das gilt nur für die Veröffentlichung. Und dazu gibt es abgestufte Sätze, wie auch für die anderen Fotografien in unserem Fotoarchiv. Für wissenschaftliche Zwecke wie Data Mining muss man natürlich nichts zahlen. Aber wer damit einen Bildband gestalten will, ein Foto als Poster drucken oder für Werbezwecke verwenden möchte, der muss dann schon zahlen. Das Anschauen ist natürlich kostenlos.

BSZ Eine Fotografie zu digitalisieren und zu erschließen dauert in der Regel zehn bis 15 Minuten. Das würde einige Jahrhunderte dauern, bis das Projekt abgeschlossen ist. Wie kann man den Bestand aktuell nutzen?
Ceynowa Prinzipiell gehe ich davon aus, dass es künftig ein komplett digitalisiertes Fotoarchiv sein wird, und dass man dann den analogen Bestand tatsächlich wohlgeschützt „wegsperren“ kann. Es ist ein ausgesprochenes Massendigitalisierungsprojekt, das mit modernen Methoden bewältigt werden muss. Wunderbar wäre es, wenn es zumindest, was den Bestand mit geklärten Nutzungsrechten angeht, so gut wie abgeschlossen wäre, wenn ich einmal in Pension gehe. Das wird wohl in etwa sieben Jahren sein. In der Zwischenzeit kann man es natürlich auch analog nutzen. Es ist ja nicht ungeordnet zu uns gekommen.

BSZ Wie hat man sich dieses Konvolut vorzustellen? Wie haben Sie es ausgehändigt bekommen?
Ceynowa Entgegen den Befürchtungen war es in einem ausgesprochen guten Zustand. Ungefähr zwölf Millionen Motive sind auf Negativstreifen, und diese sind in 2200 Leitzordnern abgeheftet. Dann gibt es das sogenannte A-Archiv mit Abzügen und Dias, die beim Stern noch relativ häufig in Benutzung waren. Die wurden in 1400 Archivkartons von der Größe klassischer Umzugskartons verwahrt. 920 solcher Kartons umfasst das sogenannte B-Archiv mit Abzügen, die nur noch sehr selten benutzt wurden.

BSZ Und wenn ich mir nun Bilder ansehen möchte, zum Beispiel von Franz Josef Strauß in den Sechzigerjahren? Wie findet man die?
Ceynowa Wir haben die vorhandene Erschließungstektonik erst einmal übernommen und mit der kommt man schon sehr weit. Die hat zwei Grade. Zum einen gibt es ab den 1980er-Jahren Datenbanken, in die man frühere Verzeichnisse von Listen oder aus Katalogen einzupflegen versucht hat. Damit das heute les- und nutzbar wird, suchen wir gerade nach einer Softwarelösung. Interessanter ist aber die Erschließung am Objekt selbst. Kartons, Mappen und Register sind beschriftet. Geordnet wurde zum Beispiel nach Namen von Orten, Personen und Fotografen. Und dann gibt es noch handschriftliche Notizen auf Rückseiten von Abzügen oder am Rand von Negativstreifen. Übrigens: Ein kleiner roter Punkt signalisierte, dass das Motiv im Stern abgedruckt wurde.

BSZ Solche Punkte kleben nicht auf 15 Millionen Motiven. Was ist mit den nicht abgedruckten Fotos?
Ceynowa Das ist eines der spannenden Themen, die das Archiv zur wissenschaftlichen Aufarbeitung ebenso wie für die Öffentlichkeit bereithält. Die Stern-Fotografen wurden einst überall hingeschickt. Geld spielte lange Zeit nicht wirklich eine Rolle. Aber es kam vielleicht nur jede dritte Fotoreportage zum Abdruck. Und dann natürlich auch nur auszugsweise. Es gibt also sehr vieles in der Sammlung, das bislang noch nie zu sehen war. Gerade ikonische Fotos und große Themen warten regelrecht darauf, wissenschaftlich kontextualisiert zu werden.

BSZ Welches Motiv wäre das zum Beispiel?
Ceynowa Nehmen Sie die Fotos des Stern-Fotojournalisten Jay Ullal aus dem seinerzeit berühmten und im Westen vieldiskutierten Ashram in Poona des Sektengurus Shree Rajneesh. Der Stern-Beitrag dazu aus dem Jahr 1978 löste damals einen beispiellosen Hype um indische Weisheitslehren und „befreiende“ Meditationspraktiken aus. Im Stern waren nur knapp zehn Exklusivfotos aus dem Ashram abgedruckt, im Archiv sind aber sehr viel mehr vorhanden. All diese Fotos kontextualisieren sich wechselseitig zu einem vollständigen Bild.

BSZ Tote und Kriegsopfer: Die Geschichte der „Stern“-Fotografie ist voll von grausamen Motiven, vermutlich sind die brutalsten Aufnahmen nicht einmal abgedruckt worden. Wie gehen Sie bei der Nutzbarmachung damit um?
Ceynowa Vermutlich werden wir ebenfalls Triggerwarnungen vorschalten, die auf schwer verdauliche Inhalte hinweisen. Andere im Internet machen das auch schon so. Bei den Stern-Fotos sieht man zum Beispiel viele schockierende Aufnahmen aus dem Iran-Irak-Krieg. Da sieht man, wie Leichen einfach wie Schutt mit Schaufelbaggern weggekarrt werden.

BSZ Sind Sie selbst „Stern“-Leser?
Ceynowa Aber selbstverständlich! Und das seit Kindheit an. Ich bin in den Siebzigern regelmäßig samstags nach der Schule zu meinen Großeltern gegangen. Nach dem Mittagessen haben die ihr Schläfchen gehalten, und ich habe mir dann aus dem Lesezirkel, den meine Oma gemeinsam mit einigen Freundinnen abonniert hatte, immer den Stern geschnappt. Allein durch das regelmäßige Bilderanschauen im Stern habe ich viel vom Weltgeschehen mitgekriegt. Manches hat sich tief in mir eingebrannt. So bleibt mir unvergesslich die Ausgabe zum Tod des Formel-1-Piloten Jochen Rindt, für mich der beste Rennfahrer aller Zeiten. Das war 1970 und ich war gerade elf Jahre alt.

(Interview: Karin Dütsch)

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