Kultur

Seit vielen Jahren zählt Bernhard Setzwein zu den Autoren der Bayerischen Staatszeitung. (Foto: Sabine Böhlau)

24.04.2020

Der Freischütz unter den Literaten

Zu seinem Geburtstag veröffentlicht Bernhard Setzwein „Das gelbe Tagwerk“ mit pointenreichen Tagebucheinträgen

Bernhard Setzwein ist ein Freischütz. Er kann von wo aus immer mit was auch immer wohin auch immer schießen: Er trifft beständig ins Schwarze. Das beweisen auch die just zum 60. Geburtstag des Autors versammelten Tagebucheinträge aus zehn Jahren, die, als eine Art Zielscheibenparcours des Geistes, eine höchstmögliche Trefferquote bieten: nämlich in auf den Punkt gebrachten Beobachtungen, knackigen Resümees von Weltläuften und trefflich interpretierten Kollegenzitaten. Für Leser bedeuten die feinen Freischüsse auf die Schemen und Gespenster der Wirklichkeit eine genussvolle Strecke von Ideen-Wildbret, pointenreiche, bestens gelaunte, klug komponierte, gedankenreich hinterlegte kleine Sprach- und Bravourstücke.

Freude am Gusto des Lebens

Das gelbe Tagwerk heißt dieses Buch und ist ein Literatur-Büfett. Tatsächlich: Setzwein, dieser konsequent grenzüberschreitende, dauerhaft kindsneugierige, wandersmännisch g’schichtensuchende Mann, der da im Bayerwald lebt und von dort aus für sich und seine Leser Umgebung und Welt erkundet, wird 60. Und wenn er trotz seiner Freischütz-Qualitäten nicht mit dem Teufel im Bunde ist, so scheint er doch verbandelt mit irgendeinem Gott der inneren Alterslosigkeit, so frisch, süffig und neu ist sein Blick auf die Welt. Der wird noch unterstrichen durch eine Freude an gastronomischem Labsal, am Gusto des Lebens sowie an gewissen Schriftstellertreffen und deren postzeremoniellen Tagesordnungspunkten in der näheren Wirtshausumgebung.

Böhmen erkunden

Dazu passt, dass Bernhard Setz-wein körperlich und literarisch gerne das benachbarte Böhmen erkundet, ein ähnlich sinnenfrohes Land, wie es das bayerische ist. Eine Sinnlichkeit, verbunden mit einer scharfsichtigen Beobachtungsgabe, einer raffinierten Erzählkunst und der Gabe, manchmal auch bittere Axiome des Lebens in bekömmliche Lakonie einzulegen, eine belastbare Sprachmaserung aus Genauigkeit und scheinbarer Lässigkeit, das Schreibwissen, wann man im Alpinismus einer zu bezwingenden Geschichte wo zupacken und wo loslassen muss: Das alles zeigt sich im Romanwerk von Setz-wein, in seinen vielen Artikeln, Glossen, Aufsätzen (auch für die Bayerische Staatszeitung, er ist seit vielen Jahren Autor der Glosse in der Beilage Unser Bayern), in seinen Theaterstücken und eben auch in seinen Tagebuchwerken, die „Alltagsflusen und Sternenstaub 2010–2019“ versammeln.
Die grundsätzliche Haltung des Tagebuchschreibers ist dabei: Innehalten. Sich umschauen. Nachdenken. Oder, wie Setzwein einmal über eine seiner Romanfiguren, den Staubsaugervertreter Lober, schrieb: „Mit dem konnte man auch mal zu keiner Entscheidung kommen.“ Ein solches Schreiben führt zu schriftstellerischen Traditionen, zur Gabe der bloßen „Apperzeption“ der Dinge eines Heimito von Doderer beispielsweise, zum randständig-scheinnaiven Blick des großen Spaziergängers Robert Walser, in die Wortwelten von Jean Paul.

Und so, wie im Tagebuch den entsprechenden Worten von Sándor Márai nachgesucht wird, kein Mensch könne pausenlos Schriftsteller – oder auch: Heiliger – sein, aber manch einer gebrauche eben dann und wann die Möglichkeit dazu, so räsoniert Setz-wein charmant weiter: „Ich bin eine Unmöglichkeit. Die allermeiste Zeit mache ich Gebrauch von meiner Unmöglichkeit. Und wundere mich immer wieder, wie weit man damit überhaupt durchkommen kann, ohne aufzufliegen.“

Seine Tagebücher sind auch ein Lesefruchtsalat: Setzwein liest viel und zitiert Bücher aus Dankbarkeit für darin aufgefundene Gedanken. Eine Dankbarkeit, die man auf Das gelbe Tagwerk selbst ausdehnen kann. Ein inspirierendes Buch also. Das führt von der genervten Gegenwartsanalyse angesichts dauerhafter Plärrerei der neuen Medien und der von ihnen ans Tageslicht gespülten Kommunikationsrabauken („Profunde Urteilskraft auf der Basis weitgehender Unkenntnis: damit kommt man eben bestens durchs moderne Leben“) bis hin zur Feststellung, dass es da, wo es Schwarmintelligenz gibt, auch Schwarmblödigkeit geben müsse: „Die Frage ist jetzt nur, anhand welcher historischen Gegebenheiten es sich entscheidet, ob die Schwarmgescheitheit oder die Schwarmblödigkeit die Oberhand gewinnt.“

Wir halten das unter Beobachtung, lesen derweil weiter Aphorismen und Anekdoten in Setzweins Tagebüchern und gratulieren zum Sechzigsten. (Christian Muggenthaler)

Information: Lesung mit Bernhard Setzwein im Internet unter www.lichtung-verlag.de/index.php/podcast

Bernhard Setzwein, Das gelbe Tagwerk. Alltagsflusen und Sternenstaub, Lichtung Verlag, Viechtach. 304 Seiten, 21,90 Euro. ISBN 978-3-941306-97-4


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