Kultur

In den USA kommt seine Filmarbeit nicht an, also kehrt Georg Wilhelm Pabst (Silas Breiding) nach Deutschland zurück und arrangiert sich mit den Nationalsozialisten. Jawad Rajpoot (links) ist als Kommentator Rosenzweig stets auf der Bühne anwesend. (Foto: Arno Declair)

08.11.2024

Der mit dem Teufel paktiert

Uraufführung von „Lichtspiel“ im Münchner Volkstheater nach einem Roman von Daniel Kehlmann erinnert an den Filmregisseur Georg Wilhelm Pabst

Seine Mutation zum strammen Nazi ist geradezu schauderhaft. Noch zögert der junge Mann, seinen rechten Arm zu heben, doch bald streckt er ihn immer weiter vor und empor. „Heil Hitler!“, brüllt er schließlich und steht dabei auf dem Tisch. Am Ende der Geschichte ist dieser Mensch ein gebrochenes, traumatisiertes Wrack. Bei Kampfhandlungen im Panzer wäre er fast umgekommen. Sein Gesicht ist entstellt, die Hände zittern.

Er heißt Jakob Pabst, ist der Sohn des österreichischen Filmemachers Georg Wilhelm Pabst (1885 bis 1967). Wie Cedric Stern diesen Charakter einfängt und zeichnet, das ist allergrößte Schauspielkunst. Ob Ausdruck und Diktion, Gestik oder Mimik: Die Wandelbarkeit des jungen Berliners ist schlicht stupend. Die Uraufführung von Lichtspiel am Münchner Volkstheater brachte Stern buchstäblich zum Leuchten. Aus dem gleichnamigen, im vergangenen Herbst veröffentlichten Roman von Daniel Kehlmann hat der Regie führende Hausintendant Christian Stückl eine Bühnenfassung geschaffen.

Erfolglos im Exil

Im Fokus steht der Filmregisseur Georg Wilhelm Pabst (einnehmend: Silas Breiding). Neben Fritz Lang und Friedrich Wilhelm Murnau zählte er zu den großen Expressionisten in der Filmkunst, revolutionär war seine Schnitttechnik. In Lichtspiel zeigt sich, wie er in den Fokus der aufstrebenden Nazis gerät, weil er mit Anschauungen und Kunstschaffenden aus dem politisch linken Lager sympathisiert und auch Brechts Die Dreigroschenoper verfilmt. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme geht er mit seiner Familie ins amerikanische Exil, um kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wieder ins „Reich“ zurückzukehren: nicht nur weil es seiner Mutter schlecht geht, sondern weil seine Filmkunst in den USA floppt. Ein lukratives Angebot des „Ministers“, also von Joseph Goebbels persönlich (ganz groß: Jan Meeno Jürgens), ist allzu verlockend.

Seine Frau Gertrude verzweifelt und vereinsamt in der unmenschlichen, braunen Wirklichkeit (sehr dicht und intensiv: Carolin Hartmann), während sein Sohn Jakob immer mehr zum braunen Monster mutiert. Für Kunst und Karriere opfert dieser Pabst eigene, fundamentale Werte. Er lässt es sogar zu, dass ausgehungerte Inhaftierte und Zwangsarbeitende in seinen Filmen als Komparsen dienen müssen. Noch dazu opfert Pabst faktisch auch seine eigene Familie.

In der Lesart von Kehlmann geht Pabst einen verhängnisvollen Pakt mit dem Teufel ein, und damit knüpft sein Roman an Mephisto von Klaus Mann aus dem Jahr 1936 an. Dort ist es der Schauspieler Gustaf Gründgens, dessen Wirken in der NS-Zeit kritisch unter die Lupe genommen wird. In Westdeutschland war der Roman lange verboten und wurde dort erst 1981 veröffentlicht. Als unmittelbar betroffener Zeitzeuge atmet der Roman von Klaus Mann eine ungleich dichtere, glaubwürdigere Dringlichkeit.

Der Roman Kehlmanns argumentiert hingegen aus der recht bequemen und sicheren Rückschau eines Menschen, der Mitte der 1970er-Jahre geboren wurde. Umso moralinsaurer, teils auch überheblicher und selbstgerechter wirken manche Passagen. Davon ist auch die Bühnenfassung von Stückl nicht ganz frei.

Wie im epischen Theater

Als Pabst-Assistent Franz Wilzek erinnert sich Nils Karsten an die Ereignisse, wohingegen Jawad Rajpoot als Rosenzweig bisweilen dezidiert kommentiert: wie in Brechts epischem Theater. Das wirkt mitunter arg dozierend. Die plakative Musik von Tom Zimmer unterstreicht die kommentierende Wirkung. Das behindert einen Abend, der sich im theatralischen Sinn eigentlich sinnlich geriert. Die Ausstattung und Bühne von Stefan Hageneier schenkt den Darsteller*innen einen konzisen Rahmen. Ob Nina Noé Stehlin als Leni Riefenstahl oder Nils Thalmann und Maximiliane Haß als fieses Haushälterpaar: Es wird durchwegs wunderbar gespielt.

Doch die nachhallende Frage des Abends stellt sich im eigenen Kopf. Wie würde man selbst in solchen Zeiten handeln? Die gegenwärtigen Entwicklungen im In- und Ausland lassen diese Frage aktueller denn je erscheinen. (Marco Frei)

 

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