Kultur

Martin Hausberg (der Kerkermeister), Sophie Mitterhuber (des Bauern Tochter, genannt „die Kluge“) und Matija Mei(´c) (der König). (Foto: Staatstheater am Gärtnerplatz/Christian POGO Zach)

11.10.2019

Die Schneekönigin

Carl Orffs „Die Kluge“ am Gärtnerplatztheater

Sie ist ganz in Weiß gekleidet, aber unschuldig wie die „Kindliche Kaiserin“ ist sie nicht. „Klug sein und lieben kann niemand auf der Welt“, so die schlaue Bauerstochter. Aus ihrem Mund gesprochen, ist das die bittere Wahrheit. Während „die Kluge“ diese Worte singt, nimmt sie die Krone des Königs an sich. Langsam schreitet sie zum Thron herauf, setzt sich nieder und rückt die Krone auf ihrem Kopf zurecht – eiskalt, ohne innerliche Regung.

Dieses Finale ist der stärkste Moment in der Neuinszenierung von Carl Orffs Oper Die Kluge nach einem Märchen der Gebrüder Grimm, die Lukas Wachernig für die Studiobühne des Gärtnerplatztheaters in München ausgeklügelt hat. Hier wird vollends deutlich, dass diese „Kluge“ mehr eine Schneekönigin ist. Jedenfalls sind ihr echte Gefühle im Grunde fremd. Und wie Sophie Mitterhuber diese eiskalte Kluge singt und spielt, das lässt buchstäblich das Blut gefrieren.

Cholerischer König


In der Höhe entwickelt der Sopran der Österreicherin einen feinen Lyrismus, der im nächsten Moment zugleich unnahbar stählern wirken kann. Gleichzeitig füllt ihre Stimme eine Tiefe aus, die mitunter verdüstert klingt. Das passt zum Rollenverständnis der Klugen, wie es in dieser Produktion gelebt wird. Aus dem ungerecht herrschenden, cholerischen König (witzig und ausdrucksstark: Matija Mei(´c)) macht die Kluge das, was sie in der Lesart von Wachernig selbst nicht ist: einen Gefühlsmenschen. Dabei suggeriert die Ausstattung von Stephanie Thurmair das Gegenteil. Die Kluge müsste eigentlich die Gute sein, weil sie als Einzige ganz in Weiß gekleidet ist. Alle anderen Personen tragen Schwarz. Die Bühne von Thurmair ist ein metallisches Gittergerüst, das schräg nach oben ansteigt. Ganz oben thront der König, unten ist der Kerker. Dort haust gleich zu Beginn der Bauer und zugleich Vater der Klugen (sonor: Christoph Seidl).

Er sitzt zu Unrecht hinter Gittern, was seine kluge Tochter vorausgeahnt hatte. „O, hätt ich meiner Tochter nur geglaubt!“, jammert er unaufhörlich. Der König wird neugierig und lässt die Kluge zu sich kommen. Er gibt ihr drei Rätsel auf, die sie alle löst. Prompt nimmt er sie zu seiner Frau. Schon bald muss sie feststellen, wie ungerecht der König generell Urteile fällt. So spricht er dem Maulesel-Mann (Daniel Gutmann) und nicht dem Esel-Besitzer (Juan Carlos Falcón) ein Fohlen zu, obwohl Maulesel unfruchtbar sind.

Der König entscheidet eben mehr aus dem Bauch heraus. Mit seinen „Drei Strolchen“ (Gyula Rab, Stefan Bischoff und Holger Ohlmann) ist der Maulesel-Besitzer ein Sympathieträger. Einige Witze wirken arg in die Jahre gekommen. Dafür aber haben es manche Wahrheiten in sich – gerade vor dem Hintergrund der Nazi-Zeit, als dieses Werk entstanden ist.

Auf Augenhöhe musiziert


„Wer die Macht hat, hat das Recht, und wer das Recht hat, beugt es auch, denn überall herrscht Gewalt!“, heißt es etwa. Leider war die Textverständlichkeit nicht immer gegeben. Dabei wurde für diese Produktion das Orchester konsequent entschlackt. Hierzu haben Wilfried Hiller, ein Schüler und Freund des 1982 verstorbenen Orff, sowie Paul Leonard Schäffer eine „reduzierte Fassung“ kreiert.
Der Auftrag kam vom Gärtnerplatztheater. Neu ist diese Idee nicht: Es gibt auch eine Fassung für zwei Klaviere und Schlagzeug. Hier sind es ein Streichquintett, solistische Bläser und Schlagwerk. Mehr braucht man nicht, um dieselben Wirkungen zu erzielen wie im Original von 1943. Die Uraufführung dieser reduzierten Fassung profitierte von der famosen Ausgestaltung der Gärtnerplatz-Musiker.
Unter der umsichtigen Leitung von Andreas Kowalewitz wurde das kammermusikalische Profil der Bearbeitung klug geschärft und ganz genutzt. Zwar hätte manche Ironie deutlicher herausgestellt werden können, aber: Dafür wurde unter Kowalewitz auf Augenhöhe musiziert. Diese Fassung gehört auf CD dokumentiert.
(Marco Frei)

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