Kultur

Ausschnitt aus "Straße XX" (2011) von Volker Stelzmann. (Foto: Ilona Ripke)

16.04.2021

Distanzierte Analyse

Volker Stelzmanns Bilder in der Kunsthalle Schweinfurt erzählen von Isolation und entmenschlichten Räumen

Volker Stelzmann ist ein Meister der figürlichen Malerei. Menschen stehen im Mittelpunkt der teils großformatigen oder mehrteiligen Bilder, die der 80-Jährige in der Kunsthalle Schweinfurt ausstellt. Dort hängen die farbkräftigen Mischtechniken: gemalt in Eitempera, im Wechsel mit Harzölfarben, lasierend aufgetragen und von großer Leuchtkraft. Die Darstellung der Menschen erscheint glatt, wirkt sachlich distanziert. Menschen unserer Zeit werden meist in der Mehrzahl, oft in Untersicht, gezeigt, ohne dass sie „realistisch“ oder individuell gemeint sind. Durch Längung der Gliedmaßen, mit expressiver Gestik, durch Verdichtung und Verschränkung in überfüllten Großstadtszenen oder in künstlich ineinander verwickelten und übersteigerten Bewegungen wird der Mensch als einsames, innerlich isoliertes Wesen ohne echte Kommunikation gezeigt.

Ein Raum, in dem diese Wesen ohne Bindung zueinander stehen, ist nicht zu verorten. Die Großstadt Berlin, wohin Stelzmann, ein Vertreter der jüngeren Leipziger Schule, schon vor der Wende aus der DDR gezogen war, ist erfasst in überfüllten Straßenszenen als menschenvoller, aber entmenschlichter Raum. Auch die Sphäre der Kunst wie in Varieté ist kein Ort der Begegnung, vielmehr deuten die verdrehten Positionen, der Stand kopfüber sowie die Unbestimmtheit der Androgynität, obendrein die Hervorhebung von Säge und Messer auf eine Gefährdung menschlicher Existenz hin.

Stelzmann begibt sich malerisch auf seinen Bildern auch in die kunstgeschichtliche Erinnerung hinein. So versammeln sich wie um ein aufgelöstes Abendmahl seine Vorbilder, eine Gesellschaft von Männern in resignierten Gesten, erstarrten, eben abgebrochenen Handlungen, nie einander zugewandt, mit skeptisch beobachtenden Blicken, und bilden eine Große Konspiration, wie das Gemälde betitelt ist; der Künstler selbst befindet sich klein in der rechten Ecke mit seiner Frau.

Diese „imaginären Malergesellschaften seiner Mentoren und Ahnen“ beschwören das Mysterium der Kunst, wie es in einem Katalog von 2009 heißt. Eine dieser Vorgängergestalten ist zum Beispiel der exzentrische Manierist Jacopo da Pontormo (1494 bis 1551). Auf sakrale Mystik weist Matthias Grünewald (ungefähr 1480 bis 1530) hin. Otto Dix (1891 bis 1969) und Giorgio de Chirico (1888 bis 1978) fungieren als Vertreter der Moderne.

Häufig stellt sich Stelzmann auf seinen Selbstbildnissen ernst, mit forschendem Blick, dar, etwa im Spiegel, wenn er als leblose Maler-Puppe vor der Leinwand sitzt oder den Pinsel in der dünnen, überlängten Hand hält – die andere Hand aufs Herz; im Hintergrund liegen Totenköpfe, so, als wollte er durch seine Werke fast beschwörend etwas schaffen, das die Endlichkeit des Daseins überwindet.

Sturz ins Grenzenlose

Mit seinen Zeichnungen und Grafiken schlägt Stelzmann ein Thema an, das den Menschen als Stürzenden und Sinkenden in einem grenzenlosen, unheimlichen Raum zeigt und so seine Verunsicherung, sein Ausgeliefertsein an ein nicht Benennbares andeutet. Vielleicht deshalb hat sich Stelzmann auch mit religiösen Motiven befasst, greift Vorbilder wie Grünewald auf oder setzt sich intensiv auseinander mit künstlerischen, bewunderten „Wahlverwandten“, etwa dem Manieristen Pontormo. Dessen Jüngstes Gericht mit dem Fallen der Körper im leeren Raum greift er auf als Gleichnis für die Welt der Laster, Obdachlosigkeit und des Verlorenseins in den Städten, in der Gesellschaft mit ihrem „bodenlosen“, letztlich unsicheren Lebensgefühl, für die Existenz von Menschen, die ohne „Hüllen“ dem Untergang entgegengetrieben scheinen.

Abgerundet wird das Bild von Stelzmanns Schaffen durch Porträts und symbolträchtige Stillleben in der Sparkassengalerie Schweinfurt. (Renate Freyeisen)

Abbildung:
Volker Stelzmann im Selbstporträt (2010). (Foto: Ilona Ripke)

Information: Bis 30. Mai. Kunsthalle, Rüfferstraße 4, 97421 Schweinfurt. Aktuelle Öffnungszeiten unter www.kunsthalle-schweinfurt.de
Dort auch unter Ausstellungen/Volker Stelzmann digital eine Online-Führung durch die Schau.

 

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