Kultur

Wer sagt, dass Gott ein Mann ist? Autorin Miroslava Svolikova lässt als höchste Wesenheit drei Frauen (Clara Kroneck, Marie-Paulina Schendel, Katharina Brenner) über die Welt sinnieren. (Foto: Martin Kaufhold)

04.02.2022

Du sollst dir kein Bild von mir machen!

Zwei Premieren am Bamberger E.T.A. Hoffmann Theater befassen sich mit Gott und der Welt

Am Anfang war das Staunen, sagt man über den Beginn der Philosophie des Menschen. Für Gott steht jedoch das Wort am Anfang: „Er sagte“, heißt es in der Bibel.

Miroslava Svolikova sieht das in ihrem neuen Theaterstück alles etwas anders. Bei ihr gibt es das Staunen auch auf göttlicher Seite. Gott definiert sie weiblich: Gott ist drei Frauen. Dafür hat sie die Formel Gi3F ersonnen, so der Titel ihres Stückes. Diese drei Frauen wundern sich manchmal darüber, was so passiert, insbesondere auf diesem Planeten Erde, und was „das Mensch“ alles dort unten treibt. Die drei schauen zu, unterhalten sich, deklamieren und agieren in einer Art Universum, dargestellt als schwarzer Raum, in dem nicht gerade Sternchen, dafür aber Kugeln in verschiedenen Größen wie Himmelskörper starr herumhängen und -stehen.

Dieser Ansatz ist einigermaßen inspirierend, wenn auch nicht ganz neu und etwas undifferenziert. Jeder weiß, dass es zwischen Himmel und Erde mehr gibt als selbst leuchtende oder angestrahlte runde Körper, nämlich Phänomene, über die sich wohl selbst die alten Göttinnen und Götter gewundert hätten: Pulsare, Schwarze Löcher, Antimaterie, Kometen und so fort.

Außerdem sah sich Gott schon im Buch Genesis in der Mehrzahl, als er sagte: „Lasst uns den Menschen machen.“ Darüber hinaus ist er absolut, vollkommen – und deshalb logischerweise an nichts gebunden, auch nicht an ein Geschlecht.

Freilich will die Bibel dieses eigentlich unfassbare und widersprüchliche göttliche Wesen in Bildern begreiflich machen und benutzt dafür die überlieferte Vorstellung von einem Mann, einer Vaterfigur zum Beispiel. Das heißt aber noch lange nicht, dass es falsch war, wenn sich alte, längst vergessene Kulturen, wahrscheinlich sogar die ältesten, Göttinnen als höchste Wesenheiten vorgestellt haben.

Insofern erscheint es tatsächlich inspirierend, heute wieder drei Frauen als Göttinnen auf die Bühne zu stellen und sie über die Dinge des Lebens, über Anfang und Ende sowie sich selbst eine geistige Auseinandersetzung führen zu lassen. Die Frauen Svolikovas sind von einer sehr präsenten Weiblichkeit, vor allem wenn sie in ihren schwarzen Domina-Kostümen aus knappen Lederstücken, Strapsen und durchsichtigen Stoffen im Studio des Bamberger E.T.A. Hoffmann Theaters nah an die ersten Publikumsreihen herankommen.

Noch stärker drängt sich aber der Mensch in Gestalt des beeindruckenden Schauspielers Ansgar Sauren auf, der seine ganze Geschichte einschließlich der alten Mythen in sich steigernden Kaskaden dem Publikum entgegenbrüllt. Vielleicht muss es uns wirklich noch einmal unausweichlich eingehämmert werden, dass wir furchtbare Kriege führen, die Erde ausbeuten und sie wahrscheinlich letztendlich durch Atombomben vernichten werden. Recht armselig liegt sie zeitweise auf der Bühne herum, diese Erde, gespielt von Oliver Niemeier – vom Göttinnentrio kaum noch gewürdigt. Jede der Göttinnen hat einen eigenen Charakter: ängstlich, eher kalt oder warmherzig.

Das Interessanteste an der ganzen Geschichte ist jedoch eines: Worauf hat die junge, erfolgreiche und preisgekrönte Autorin ihr Augenmerk am meisten gerichtet? Auf Klimapolitik, Gesundheit oder Geschlechtszugehörigkeit, wie es dem Zeitgeist entspräche? Nein: Sie interessiert sich für die Religion! Am Ende denken wir darüber nach, wie wir uns gegenüber den Göttinnen verhalten sollten, was sie denken und fühlen – und ob sie uns vielleicht doch wieder lieben?

„Gott ist nicht schüchtern“

Wenn dem wirklich so wäre, sähe die Welt wohl anders aus. Diesen Eindruck gewinnt man zumindest angesichts der Darstellungen in Olga Grjasnowas Roman Gott ist nicht schüchtern, den Sibylle Broll-Pape und Petra Schiller auf die Bühne im großen Haus des E.T.A. Hoffmann Theaters gestellt haben. Sie zeigen den unmenschlichen Terror, den der gegenwärtige syrische Machthaber gegen Dissidenten ausübt, der sich gleichzeitig, wirklich in keiner Weise schüchtern, von einem Großteil der Bevölkerung vergöttern lässt. „Götterbilder“ von ihm kleben an Hauswänden und Anhänger skandieren propagandistische Parolen. Im Grunde beschämend für ihn.

Dieses Theaterstück betont die Seite des Terrors. Dessen Durchführung und Hintergründe werden erzählt, berichtet oder in Dialogen von fünf Figuren verhandelt: Diese sind zwei Frauen und drei Männer aus Syrien. Ihre Biografien unterscheiden sich, gemeinsam haben sie ihre Jugend, ihre Bildung und die Zugehörigkeit zur oberen Gesellschaftsschicht. Am Anfang tritt beispielsweise Hammoudi auf (überzeugend gespielt von Daniel Seniuk), der seit einiger Zeit in Paris als Schönheitschirurg arbeitet und dort mit einer Freundin zusammenlebt. Er wollte nur kurz in die Heimat zurückkehren, um seinen Pass verlängern zu lassen. Unversehens gerät er in die Fänge der Behörden eines Staates, den er als kulturell lebendig und vielfältig kennengelernt hatte, der aber inzwischen mit den grausamsten Methoden gegen Männer, Frauen und Kinder wütet, manchmal ohne dass diese Widerstand geleistet hätten oder überhaupt auffällig geworden wären.

Wie sollen auch Kinder – wenn sie nicht gerade auf Demonstrationen instrumentalisiert werden – politischer Vergehen bezichtigt werden können? Es ist in Teilen unsäglich, welche Gräuel im Stück als Botenberichte zur Sprache kommen und so das Gemüt eigentlich noch massiver angreifen als beispielsweise eine Filmdokumentation, ähnlich wie die Zerfleischungsszene in Heinrich von Kleists Penthesilea. Innerlich bittet man, dass die bei der Premiere anwesenden Staatsminister*innen auch einmal das Bamberger Ankerzentrum für Geflüchtete überprüfen lassen mögen.

Denn wem die Flucht übers Meer ins vermeintliche Paradies Europa gelingt, dem drohen – wie in der letzten Szene reflektiert – wiederum Entfremdung, Einsamkeit und Hilflosigkeit. Aber auch gebürtige Europäer*innen empfinden freilich schon lange jenes Freud’sche „Unbehagen in der Kultur“, genauso wie Goethe, der sich bereits als Dreißigjähriger sah „als einer, der sich aus dem Wasser rettet“. Mit Bescheidenheit und Schüchternheit ist sie wohl immer und überall verbunden, die göttliche Weisheit. (Andreas Reuß)

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