Kultur

Schräges Spiel: Jean-Luc Bubert als Zyklop Polyphem (links) und Sebastian Wendelin als Odysseus. (Foto: Arno Declair)

29.01.2016

Effektvolle Riesensause

Münchner Volkstheater bringt Homers "Odyssee" in zauberhafter Turbofassung – doch man wundert sich über manche Plumpheit

Zuerst stehen sie da wie antike Statuen, wie starre Skulpturen aus einem Tempelgiebel. Und einer von ihnen beginnt auch noch, Homer auf Griechisch zu rezitieren: „Andra moi ennepe, Mousa ...“ Seltsam nur, dass sie alle ihren Konfirmationsanzug tragen. Mit diesen dünnen Schlipsen aus den 50ern. Oder kommen sie gerade von einer Beerdigung? Das würde passen, denn an Toten herrscht ja kein Mangel in der Odyssee, die jetzt am Münchner Volkstheater in einer achtzigminütigen Turbofassung über die Bühne geht. Zu diesem Zweck lösen sich die Skulpturen-Darsteller bald aus ihrer Erstarrung, und was dann folgt, ist meisterhafter Theaterzauber: ein phantasievoller, süffiger Bilderreigen, eine märchenhafte Abenteuergeschichte mit ungeheuer effektvollen Szenen im farbigen Gegenlicht, mit heftigem Meeresrauschen in Dolby Surround, mit zirkusreifen Klettereien an riesigen Eisenstangen, die auch Lanzen, Ruder, Kielmasten, Schaukeln und Blasinstrumente sein können. Dazu einige hauchdünne Plastikplanen, Konfetti, die Meeresgischt andeuten, und am Ende ein Dauerregen von Dollarscheinen als Zeichen für die Prasserei der Freier: Mehr braucht es nicht auf einer ziemlich leeren Bühne (Markus Pötter), um die poetisch-wilde Sagenwelt zu evozieren, in der Odysseus zehn Jahre auf dem Meer und an fremden Gestaden herumirrt, ehe er heim darf nach Ithaka. Ob diese „naive“ Schauspiel-Phantastik die archaisch-vitale Erzählfreude des Mythos vergegenwärtigen soll? Als Theater für Kinder und Jugendliche ist die Inszenierung großartig – auch wenn es Regisseur Simon Solberg nicht lassen konnte, ein wenig den Oberlehrer zu spielen: Am Bühnenrand werden rechts und links Landkarten aus dem Geschichtsatlas projiziert und dazu alle möglichen Kriege von Troja über die Kreuzzüge bis in die Gegenwart des Irak und Afghanistans aufgelistet.

Wie Helge Schneider

Aber selbst diese gut gemeinte, betuliche Didaktik fällt kaum ins Gewicht gegen die Riesensause, die seine Akteure auf dem Abenteuerspielplatz der Bühne veranstalten dürfen: Jean-Luc Bubert spielt mit Sonnenbrille und Zauselhaaren den menschenfressenden Zyklopen Polyphem, lässt ihn aber mit nuschelnder Fistelstimme sprechen, dass er sich wie Helge Schneider anhört. Luise Kinner gibt die Zauberin Kirke als Persiflage eines herrlich durchtriebenen Weibchens. Odysseus (Sebastian Wendelin) und die übrigen Gefährten (Jakob Gessner, Moritz Kienemann) sprechen immer wieder Passagen aus der Odyssee ganz originalgetreu ins Mikrophon, um zwischendurch dann in flapsigen Alltagsjargon zu fallen. Wenn Odysseus am Schluss, nachdem er die Freier gemeuchelt (hier: mit Wasser aus Plastikflaschen bespritzt) hat, dann unvermittelt noch einen Friedensappell loslässt und warnt, dass Gewalt immer nur Gegengewalt erzeugt, dann ist das zwar inhaltlich sympathisch, wirkt aber so pädagogisch aufgesetzt, dass man über diese ästhetische Plumpheit nur staunen kann. Zumal die saftige Action-Story, die hier zuvor über die Bühne ging, eigentlich etwas ganz anderes behauptet hatte. (Alexander Altmann)

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