Kultur

Ein Motiv aus Valentin Goppels Serie "Fleeting" mit Szenen von der Flucht aus der Ukraine nach Polen. (Foto: Valentin Goppel)

12.01.2024

Eigene Wirklichkeiten

Eine Ausstellung in Regensburgs Leerem Beutel zeigt, wie die Fotografie künstlerisch Realität abbildet

Man hat sich lang darauf verlassen, dass eine Fotografie Wirklichkeit darstellt – und tut das gerne noch heute, obwohl Fotografien längst mannigfach manipuliert worden sind und werden können und damit ihrerseits manipulieren. Jedes Foto birgt in sich dieselbe Frage, die sich bei Kunst – Gemälden, Plastiken, Installationen – auch stellt, nämlich inwieweit sie auf ihre Art Realität abbildet. Oder eben interpretiert, analysiert, verändert, negiert.

Zu Beginn ihrer epochalen Erfindung war die Fotografie unschlagbar bei der Wiedergabe vorgefundener Sujets; schnell hat sich deshalb die Kunst aus dem Staub der Nachbildung gemacht in ganz eigene Wirklichkeiten. Allerspätestens mit Einzug der künstlichen Intelligenz läuft ihr die Fotografie dorthin nach. Oder beackert zumindest ein viel weiteres Feld als zuvor. Ein Feld, das auch eine Ausstellung in Regensburgs Städtischer Galerie im Leeren Beutel beweist. Das Internationale Festival fotografischer Bilder präsentiert dort das Darktaxa-Project: The Regensburg Constellation. Vielschichtig wird gezeigt, wenn technisch veränderbare Abbildungen und das Abgebildete längst keine analoge Bildebene mehr ergeben wie etwa ein Spiegel, sondern zwangsläufig das Potenzial zum Fake haben.

Trügerische Momentfotos

Da sind einerseits Menschen, die glauben, mithilfe ihrer Smartphones Momente des erlebten Augenblicks dauerhaft festhalten zu können, doch andererseits hinterfragt die Kunstszene längst, was auf derartigen Datenträgern überhaupt Realität sein kann. Ein gutes Dutzend Künstlerinnen und Künstler setzen sich in der Ausstellung mit solchen Häppchen aus Vorgegebenem auseinander. Achim Mohné hat beispielsweise für die Ausstellung ein Video mit Fahrten durch ein dreidimensionales Stadtmodell von der Städtischen Galerie und ihrer städtebaulichen Umgebung auf der Basis von Fotografien und Google Earth produziert: Es entstand eine komplexe, parallele Realität.

Computergenerierte Wirklichkeiten ergeben in der Ausstellung einen Blick auf Darstellungsmöglichkeiten, die wie Archäologie der Zukunft wirken. Dabei wird viel künstlerischer Subtext auf die technischen Möglichkeiten und Machbarkeiten verlagert: von Augmented Reality (AR) bis zu Generative Adversarial Networks (GAN), einem Prozess des maschinellen Lernens der künstlichen Intelligenz. Das nutzt beispielsweise Anna Ridler, indem sie aus selbst fotografierten Bildern echter Tulpen mit GAN eine ideale schwarze Tulpe entwickelt.

Zu sehen sind in der Ausstellung auch Fotoserien, die im Rahmen von „Schmidt Contemporary“ des Berliner Lette-Vereins entstanden sind: von jungen Fotografinnen und Fotografen ganz im Sinn von Michael Schmidt (1945 bis 2014), der in fotografischen Serien Alltag und Gegenwart dokumentierte und daraus politische Botschaften destillierte. In Regensburg ausgestellt sind Arbeiten wie die von Juan Camilo Roa aus der Serie Kleine Typologie des immer werdenden Zustands Berlins: die Bundeshauptstadt im sich beständig verändernden Bauprozess. Lucia Jost reagiert mit ihrer Serie Frei-Heit und der Dokumentation von Deutschlands Gegenwart auf Schmidts seinerzeit ähnlich angelegte Fotoserie Ein-Heit.

Aus Regensburg stammt der Fotograf Valentin Goppel, der mit seinen Serien ebenfalls Gegenwart dokumentieren und thematisieren will, was auf den Wahrnehmungsschirm der Öffentlichkeit gehört. In seinen Fotos der Reihe Fleeting hielt er das Schicksal von Familien fest, die vor dem Ukraine-Krieg nach Polen geflüchtet sind. Goppel kommt dem ursprünglichen Impetus der Fotografie, Wirklichkeit abzubilden, durch den schnappschussähnlichen Charakter seiner Bilder, die völlig unverstellt die Emotionalität einer Ausnahmesituation abbilden, recht nahe: ein Junge in einem Swimmingpool voller Stofftiere, ein radschlagendes Kind und ein Mensch im Rollstuhl, zwei Kinder in einer Menschenmenge auf dem Weg in die EU – Menschen in existenzieller Not. Eben auch das gehört in eine Ausstellung zeitgenössischer Fotografie: die klassische Fotoreportage. (Christian Muggenthaler)

Information: Bis 4. Februar. Städtische Galerie Leerer Beutel, Bertoldstraße 9, 93047 Regensburg.

 

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