Kultur

Auch wenn die im Stream übertragenen "Montagskonzerte" der Bayerischen Staatsoper auf fast leerer Bühne und in Mini-Besetzung stattfanden: Auch sie sind jetzt gestrichen. (Foto: Wilfried Hösl)

03.04.2020

Ein Haus auf Umwegen

Das Münchner Nationaltheater in Corona-Zeiten

Die Erklärung liest sich wie eine Kapitulation. „Leider sieht sich die Bayerische Staatsoper gezwungen, Marina Abramovićs Opernprojekt 7 Deaths of Maria Callas, das in den letzten Wochen in Form von Workshops in Kleinstgruppen vorbereitet wurde, auf einen späteren Zeitpunkt zu verlegen", heißt es in einer Pressemitteilung vom Mittwoch. Auch die live im Internet übertragenen „Montagskonzerte“ mit Klassik-Stars und Tänzern des hauseigenen Staatsballetts würden nicht mehr fortgesetzt.

Das Spiel ist aus, der Vorhang fällt. Auch das Nationaltheater in München muss sich nun dem neuartigen Coronavirus endgültig geschlagen geben.

Diese Kehrtwende ist erstaunlich, denn bis dahin hatte Staatsopernintendant Niklaus Bachler an der geplanten Abramović-Premiere, die am 11. April ohne Publikum über Live-Stream im Internet übertragen werden sollte, festgehalten.

Aber ab sofort wäre die „Beteiligung von Orchester und großer Bühnencrew" notwendig gewesen, heißt es weiter. Alternativen seien „nicht verantwortbar", so die abschließende Begründung.

Dem öffentlichen Druck gebeugt

Das hätte man schon in der vorigen Woche wissen können, als die Orchesterproben in die Dienstpläne geschrieben wurden. Es scheint vielmehr der öffentliche und interne Druck gewesen zu sein, der zu diesem Umdenken führte – oder besser: dies erzwungen hat.

Denn Bachler gibt sonst niemals klein bei, aber selbst ein Machtmensch kann an dem winzigen Krankheitserreger nicht vorbeiregieren. Das Virus lässt sich nicht einschüchtern.  Für Bachler ist das ein herber Schlag. Bis zur Niederlage hatte Bachler mit allen Mitteln gekämpft. Selbst grosse Geschütze hatte er in seinem Kampf gegen das Cornonavirus aufgefahren.

Als sich in den sozialen Netzwerken und auf Internetforen zusehends kritische Stimmen über seine Corona-Politik mehrten, feuerte er scharf zurück: mit Nazi-Jargon. Alle „selbsternannten Blockwarte" sollten sich „ab sofort anderen Thematiken" widmen, holte er in einer Münchner Zeitung aus. „Oder, noch besser: einfach mal schweigen". In der zitierten Pressemitteilung vom Mittwoch entschuldigte sich Bachler: für „eine scharfe Formulierung meinerseits, die ich im Eifer des Gefechts getätigt habe". Noch am Montag hatte Bachler auf Nachfrage diese Wortwahl relativiert. In „weiterer Folge“ sei dieses Zitat „aus dem Zusammenhang gerissen und in falschen Bezug gesetzt" worden.

Der Minister distanziert sich

Sein Dienstherr, Bayerns Kunstminister Bernd Sibler, sieht das von Anfang an ganz anders. „Diese Wortwahl entspricht nicht meinem persönlichen Stil und ist meines Erachtens der jetzigen Situation auch nicht angemessen", ließ Sibler am Montag auf Nachfrage durch sein Pressebüro feststellen.

Mit seinem Verhalten in der Corona-Krise hat Bachler indessen auch die Bayerische Staatsregierung faktisch in Erklärungsnot gebracht. Dabei ist die Sache eigentlich klar. „Staatliche Theater, Konzertsäle und Opernhäuser sind in Bayern nach aktuellem Stand bis zum 20. April 2020 geschlossen", ist auf der Internetseite des Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst zu lesen. „Auch der Proben- und Vorbereitungsbetrieb wurde vorübergehend eingestellt."

Doch ganz so klar ist die Sache eben nicht: Einzeln und auf freiwilliger Basis könne durchaus geprobt werden, erklärt das Pressebüro des Kunstministeriums. „Dabei findet keinerlei unmittelbarer Körperkontakt statt. Die erforderlichen Mindestabstände und Hygienemaßgaben werden eingehalten und der Betriebsarzt ist eng eingebunden." Genau darauf konnten sich die Bayerische Staatsoper und das Bayerische Staatsballett bislang berufen.

„Die Maßnahmen sind mit dem Betriebsarzt und dem Sicherheitsingenieur der Bayerischen Staatstheater abgestimmt, werden von diesen beobachtet und laufend neu bewertet", ließ Bachler noch am Montag durch sein Pressebüro erklären. „Es finden keine Proben statt, bei denen die vorgeschriebenen Mindestabstände nicht eingehalten werden können." Offenbar gab es gravierende Zweifel, gerade auch im Haus selber.

Tendenz zu  "Corona-Ferien"?

Aus Mitarbeiterkreisen war zuletzt zu hören, dass bisweilen „erheblicher Druck" ausgeübt werde. Die Staatsoper habe die „geltende Rechtslage“ verdeutlicht, ließ Bachler hierauf erwidern. Es habe Tendenzen gegeben, „Corona-Ferien“ zu machen und im Zuge dessen zu verreisen. „Grundsätzlich ist jeder Mitarbeiter der Staatsoper zur Arbeit verpflichtet – auch wenn die Staatsoper derzeit nur sehr eingeschränkte Arbeitsmöglichkeiten anbieten kann."

Es sei „mehrfach an die Belegschaft kommuniziert" worden, unter anderem in einer großen Personalversammlung, dass jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter bei Bedenken eingeladen ist, sich mit dem direkten Vorgesetzten abzustimmen. „Meines Wissens wurden für all diese Fälle Lösungen gefunden." Offenbar ging es intern im Haus eben nicht so friedvoll zu, und ob tatsächlich alle Regeln zur Corona-Eindämmung eingehalten wurden: Auch daran gab es Zweifel.

Jedenfalls ist es am Dienstagvormittag zu einer Polizeirazzia im Ballett-Probenhaus gekommen. In der langen Geschichte des traditionsreichen Nationaltheaters ist das ein Novum. „Wir müssen aufpassen, dass die pandemische Krise keine Krise unserer Institutionen, unseres Charakters und unserer Gesellschaft wird", betonte Bachler schließlich per Presseerklärung. Diese Krise ist längst da, allen voran am Münchner Nationaltheater.

Dabei wäre es durchaus möglich, tolle Projekte in Corona-Zeiten zu schnüren. Das zeigen die anderen Staatstheater und staatlichen Orchester in Bayern. Warum wurden beispielsweise keine Live-Streams in Sachen Unterricht und Musikvermittlung geschnürt? Immerhin sitzen derzeit zahllose Kinder und Jugendliche daheim. Man könnte Instrumente vorführen und Werke erklären. Das würde auch die Eltern entlasten. Auch die Senioren in den Heimen, die völlig isoliert sind, würden sich über ähnliche Angebote freuen. Solche Projekte braucht jetzt die Welt. (Marco Frei)

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