Kultur

Bis Mitte Mai möchte man die modernen Rollregale im neuen Außendepot gefüllt haben. (Foto: STAM)

29.04.2022

Ein XXL-Umzug

Fast 60 000 Kartons im Gepäck: Das Staatsarchiv München bezieht ein nach seinen Bedürfnissen eingerichtetes Außendepot in Neufahrn

Dreimal umziehen ist so schlimm wie einmal abbrennen“, meinte einst der amerikanische Schriftsteller Benjamin Franklin (1706 bis 1790). Bei Christoph Bachmann löst dieser Vergleich das blanke Grauen aus: Als Leiter des Staatsarchivs München mag er sich eine Feuerkatastrophe in seinem Reich gar nicht erst vorstellen. Aber selbst wenn dieser Bildvergleich für ein größtmögliches Chaos stehen mag: Auch dieses wischt er beiseite. Was ist schon ein Umzug mit 59 875 Kartons?

Mit einem fast überlegenen Lächeln ruft er an seinem Bildschirm schier endlos lange Tabellen auf: Für Umzugsgenervte unvorstellbar exakt hat Christoph Bachmann mit Kolleginnen und Kollegen des eigenen Archivs (Julian Holzapfl, Claudia Mannsbart) sowie des Hauptstaatsarchivs (Andrea Schiermeier, Andrea Sturm, Thomas Roman) den Umzug von Archivdepots geplant und berechnet – derzeit läuft tatsächlich alles wie am Schnürchen, versichert er entspannt.

Sinnvoll portioniert

Da gibt es eine Zählertabelle, eine Umzugsportionstabelle und eine Plantabelle, ein dicker Ordner mit unzähligen Laufzetteln liegt griffbereit auf dem Schreibtisch. Die Zählertabelle stellt eine Bestandsübersicht dessen dar, was gerückt werden soll. Besonders aufwendig wurde die Umzugsportionstabelle erstellt: Die zusammengehörigen Archivalien wurden in nummerierte Portionen zusammengefasst, 673 Nummern sind es geworden. Eine solche Portion kann mal nur einen Archivkarton umfassen wie von der Verkehrspolizeiinspektion Rosenheim, dann aber auch 6900 Kartons: Das ist der größte Brocken, und man hat dieses Konvolut an Unterlagen aus dem Amtsgericht München, konkret dem Nachlassgericht, extra in fünf Portionen aufgeteilt.

Anhand dieser Portionstabelle hat sich das Archivteam ans diffizile virtuelle Einsortieren in die neuen Rollregale gemacht. Eine Plantabelle entstand, aus der wiederum Grafiken generiert werden konnten, die auf einen Blick ersichtlich machen, was in welches Regal und Fach kommen soll. „Neue Blechung“ liest man da auch bisweilen: Das bedeutet, dass Regalböden Sonderformaten angepasst werden müssen.

Die Plantabelle ist auch die Basis der Laufzettel für jede Portionsnummer, die Beschäftigten der spezialisierten Umzugsfirma ebenso wie den Aus- und Einräumenden auf einen Blick anzeigen, wie viele Archivkartons zur jeweiligen Portion gehören, wo sie sich am alten Standort befanden und wo sie am neuen eingeräumt werden müssen. Anders als früher sind die neuen Regale fortlaufend nummeriert, man unterteilt nicht mehr zusätzlich in Raumnummern. Die originalen Bezeichnungen der einzelnen Archivalien bleiben indes unverändert.

Im Prinzip handelt es sich bei dem ganzen Projekt nicht nur um den Umzug des Depots von der Lagerung in Oberschleißheim, wo der Mietvertrag nach 15 Jahren auslief, zum neuen Außendepot in Neufahrn: Nein, man hat die Gelegenheit genutzt, auch die Bestände innerhalb des Depots in der Münchner Schönfeldstraße sowie zwischen Haupthaus und Außenstelle neu zu ordnen. „Wir führen gerade sinnvoll zusammen, was im Laufe der Jahre verstreut gelagert war. Baupläne fand man bei uns im Haus zum Beispiel an drei verschiedenen Stellen“, führt Bachmann beispielhaft an. Seine Tabellen verraten aufschlussreich, wie die aktuellen Verteilströme sind: Direkt vom alten Außendepot in Unterschleißheim ins neue nach Neufahrn ziehen 27 586 Kartons um, nach München werden 12 694 Kartons umgesiedelt. Von dort, also aus dem Depot im Haupthaus, wiederum werden 19 595 Kartons nach Neufahrn verschickt.

Altbestände in München

Generell sollen jetzt sämtliche Altbestände, also Archivalien vor 1803, im Depot des Haupthauses verwahrt werden. „Da sind die Lagerungsbedingungen für dieses sensible Gut einfach am besten.“

Was nicht den Schluss nahelegen soll, dass das neue Domizil im Münchner Vorort Neufahrn nur ein „windiger Schuppen“ sei. Ganz im Gegenteil, Christoph Bachmann schwärmt von der neuen Adresse: Was die Fläche mit bis zu 7000 Quadratmetern angeht, sei sie zwar vergleichbar mit dem alten Standort in Unterschleißheim, „aber der neue Vermieter hat uns eigens auf unsere Bedürfnisse hin professionelle moderne Rollregale installiert“, was die Handhabung bei den Aushebungen extrem erleichtere. Der Vorstellung halber: Insgesamt werden alljährlich rund 36 000 Aushebungen vorgenommen (Haupthaus und Außendepot), in den beiden Corona-Jahren waren es halb so viele.

Zudem sei in dem ebenerdigen Depot (das Hauptstaatsarchiv zieht in den ersten Stock ein) nun die Raumaufteilung optimal, was die Logistik verbessere, sagt Christoph Bachmann und zählt neben den Hallen für die Regale auch einen gesonderten Raum für Planschränke und neben kleineren Büroräumen auch zwei Quarantäneräume auf: „Damit Archivgut, bei dem Kontaminationsverdacht besteht, sofort abgesondert werden kann.“ Auch ist jetzt genug Platz vorhanden fürs Digitalisieren: „Das wollen wir mit neuem Hochleistungsequipment künftig selbst vermehrt durchführen und nicht mehr alles an externe Dienstleister abgeben“, sagt Bachmann.

Lob für den Vermieter

Voll des Lobes ist der Archivleiter für die Initiativen des Hausherrn in Sachen spezielle Klima- und Hygieneanforderungen ebenso wie beim Insektenmonitoring, das in einem Archiv besonders hohe Ansprüche stellt. „Unter anderem wurde der ganze Boden mit Epoxidharz präpariert. Dadurch kann er schneller hygienisch-gründlich gereinigt werden. Insekten und andere Viecher haben es nicht so leicht, zu verschlupfen.“

Angenehm empfindet Christoph Bachmann auch die passende Nachbarschaft, die eine Nische im Angebot für großräumige Lagerungen signalisiert, nämlich für Kultureinrichtungen: Das Archiv der Erzdiözese München und Freising hat sich dort eingemietet, ebenso die Bayerische Staatsbibliothek, die Bayerische Staatsoper bringt dort Requisiten unter, und auch die Polizei hat dort eine Dependance – freilich ist sie nicht für die Sicherheit des Anwesens zuständig, denn dafür sorgen moderne Alarmsysteme.

Im vergangenen Jahr hat das Planungsteam im Archiv seine Arbeit aufgenommen – der physische Umzug der annähernd 60 000 Archivkartons allein des Staatsarchivs ist derzeit voll im Gang und soll nach insgesamt sechs Wochen Mitte Mai abgeschlossen sein. Die Ausleihe findet übrigens währenddessen trotzdem statt, nur bei Archivalien, die gerade bewegt werden, verzögert sich das Ausheben, bis sie eben am neuen Standort einsortiert sind. (Karin Dütsch)

 

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