Kultur

Schauspieler Stefan Merkis Rezitation untermalt die Poesie des Rilke-Texts ohne schwülstigen Ablomp. (Probenfoto: JCOM)

30.04.2020

Eine Stimme, die nicht verstummt

Gedenkkonzert zur Befreiung des KZ Dachau vor 75 Jahren mit Viktor Ullmanns "Die Weise von Liebe & Tod des Cornets Christoph Rilke"

„Reite, reite, reite durch den Tag, durch die Nacht, durch den Tag“, und „der Mut ist so müde geworden und die Sehnsucht so groß“ – so beginnt Rainer Maria Rilke seine Erzählung „Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“. Und der 1898 in Teschen geborene Viktor Ullmann hat sie zu einem Melodram umgestaltet, hat zu knapp der Hälfte dieser Bilder aus alten Kriegszeiten Musik komponiert. In Abwandlung des ursprünglich vorgesehenen Programms hat Daniel Grossmann diese eindringliche „Weise“ für das „Gedenkkonzert zum 75. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau“ ausgewählt und mit seinem Jewish Chamber Orchestra Munich und dem Schauspieler Stefan Merki als Rezitator einstudiert: Die Livestream-Übertragung aus der „Kammer 4“ der Münchner Kammerspiele war ein eindringliches Erlebnis.

Der Stream zum Gedenkkonzert bleibt auf der Kammerspiel-Seite bei Vimeo für einen Monat online: https://vimeo.com/413208300

Aber an erster Stelle bewunderte man angesichts der vielen Absagen, die nur die Corona-Verbote im Kopf haben, Grossmanns beharrlichen Mut, nicht auch noch diesen Gedenktag in den Papierkorb für nächstes Jahr zu werfen: nicht verlieren, nicht verschieben – das mochte seine Devise gewesen sein.

 Das ursprünglich vorgesehene Programm mit anonymen Stücken aus Auschwitz oder Henrik Krols „Arbeitslager Marsch“ ließ sich, noch dazu in der KZ-Kirche Heilig Kreuz in Dachau, nicht realisieren.

Das Ullmann-Melodram war würdig und passend mehr als ein Ersatz. Seine andere Kammermusik, besonders seine Opern („Der Kaiser von Atlantis“) sind in den letzten Jahren viel gespielt worden, kurz vor seiner Ermordung 1944 in Auschwitz hat er den „Cornet“ vollendet. Vielleicht im Glauben an die Befreiung durch die alliierten Truppen, wahrscheinlicher noch als Abschiedsgruß an seine verstorbenen Eltern (so Grossmann in seiner Einführung). Der Vater war im Kaiserreich  militärisch geprägt, Ullmann selbst kämpfte ein Jahr lang im Ersten Weltkrieg.

Viel wichtiger aber ist, dass man im „Cornet“ in aller Deutlichkeit seine Prägung durch die europäische Musikkultur der Jahrhundertwende und der folgenden Jahrzehnte hört. Auch mit dieser vielfarbigen Besetzung, u. a.  Akkordeon, Posaune, Saxophon: illustrierend, interpretierend zu diesem Rilke-Text mit seinen jugendstiligen, symbolistischen Schwärmereien: „…wenn blonde Knaben die schönen Schalen bringen, von saftigen Früchten schwer“. Solche Szenen und Bilder finden in Ullmanns Klangfarben ihre Entsprechung, auch in der Attacke der gestopften Blechbläser.

Ganz in dieser poetischen wie musikalischen Welt war Ullmann intensiv zuhause, alle Musiker des JCOM zauberten lyrische Träume in den nüchternen Raum der „Kammer 4“, wo man unter Einhaltung der Abstandsregeln gleichwohl eine Atmosphäre schuf, in der die Trompeten wie bei Mahler tönen. Ullmann hat mit seiner Auswahl von zwölf Textstücken  eine schlüssige Abfolge geschaffen und sie jeweils sehr charakteristisch vertont, Stefan Merki trug den Text sehr poetisch und ohne jeden schwülstigen Aplomb vor: ein intensives Gedenken an Rilke und Ullmann, an dessen Nähe zu Anthroposophen und Freimaurern, in Erinnerung an die Deportation, die Rückkehr vom Katholizismus zu den jüdischen Wurzeln, die ihn nach zwei Jahren Theresienstadt und drei Monaten Auschwitz in den Tod durch die Nazis führten. Und eine Stimme, die auch an diesem Gedenktag nicht verstummt ist. (Uwe Mitsching)

Abbildung:
Das Jewish Chamber Orchestra Munich bei der Probe zum Gedenkkonzert - mit gebührendem Sicherheitsabstand. (Foto: JCOM)

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