Kultur

Lanzelot (Elif Esmen) im Kampf mit dem Drachen (Ute Fiedler). (Foto: Jan-Pieter Fuhr)

08.10.2021

Fabelhaft böse

Die Märchenkomödie „Der Drache“ auf der Augsburger Brechtbühne im Gaswerk begeistert dank verblüffend aktueller Bezüge

Märchen sind zeit- und auch schonungslos, wenn es darum geht, den Gegensatz von Gut und Böse auszumalen. Kein Wunder also, dass ein formal als Märchenkomödie definiertes Stück wie Der Drache, das Jewgeni Schwarz zu Beginn der 1940er-Jahre wohl als Reaktion auf das Terrorregime Stalins schrieb, fast 80 Jahre später inmitten vehement geführter pandemischer (Impf-)Freiheitsdiskurse zum „Spieglein, Spieglein…an der Wand“ taugt.

1944 in Leningrad uraufgeführt, wurde Der Drache zur Parabel auf den Hitlerfaschismus interpretiert. Bereits der erfolgreichen Inszenierung von Benno Besson am Deutschen Theater Berlin gelang 1965 die Ausweitung als Parabel auf den Totalitarismus in all seinen Spielarten. In der Augsburger Inszenierung von Andreas Merz-Raykov verteidigt der Drache, der seit 400 Jahren unangefochten eine Stadt beherrscht, seine Macht als diabolische Sado-Maso-Gestalt im Latex-Look und ist mit Ute Fiedler stark besetzt.

Weltretter mit Smartphone

Jedes Jahr fordert der Drache die schönste Jungfrau zum persönlichen Genuss. Diesmal ist Elsa an der Reihe, die tänzerische Ambitionen pflegt, mächtig mit ihrem Opfer-Schicksal hadert und von Florian Gerteis mit fragiler Anmut sehr intensiv verkörpert wurde.

Mit dem Smartphone bewaffnet, erfüllt Lanzelot (Elif Esmen) seine Mission als Drachentöter eher kalkuliert und entspannt. Sie/Er ist dort zur Stelle, wo geholfen werden muss, und tritt selbstbewusst gegen alle an, die „den Menschen verstümmeln und ihn quälen“. So startet Lanzelot zunächst eine Online-Petition zum Verbot fossiler Brennstoffe. Bald nimmt der „Weltretter“ mit Erstaunen wahr, wie gut sich die Bewohnerinnen und Bewohner mit ihrem Drachen-Regime und den damit verbundenen „Maßnahmen“ arrangiert haben und diese als komfortable Sicherheitslösung zum Schutz gegen feindliche Angriffe schönreden und verteidigen. Da sind der Bückling Charlesmagne, der devot-bedrückte Vater (Sebastian Müller-Stahl) von Elsa, der hysterisch-neurotische und überambitionierte Bürgermeister samt seinem Lakaien-Sohn (Kai Windhövel und Patrick Rupar) und nicht zuletzt der hellsichtige Kater (Andrej Kaminsky), der sein Motto wahrt: „Liegt man warm und weich, soll man schlummern und schweigen.“

Auf der clever entworfenen Bühne (Ausstattung: Jan Hendrik Neidert, Lorena Diaz Stephens) wurde rasch in den Turbogang geschaltet: Als grell überzeichnete, gekonnt mit Slapstick und dramaturgisch geistreich involvierter Live-Musik (Stefan Leibold) bereicherte Lehrstunden in Sachen Diktatur und Machtmechanismen samt entsprechend ausgeprägter Untertanenmentalität hielt diese Schauspielpremiere zumindest bis zur Pause die Spannung aufrecht. Großen Anteil am Erfolg hatte ein Ensemble, das trotz verschärfter Kostümkonditionen – wattierte Ganzkörperanzüge, die im „Unschuldsweiß“ das Innere nach außen stülpten – in einem schweißtreibenden Parforceritt durch die rot leuchtende Gefahrenzone in Form eines überdimensionierten Auges tobte und für diverse Spiel- im-Spiel-Phasen effektvoll auch die Vorderbühne besetzte.

Ein wahrhaft märchenhaftes Ende fiel aus, selbst wenn der Bürgermeister, der freudig die Drachennachfolge antrat, entlarvt, Lanzelot am Ende als Retter bejubelt und „nur“ Elsas Würde geopfert wurde. Denn Teile des „Drachensystems“ tragen alle in sich und so bleibt der Umgang mit der Freiheit und dem Offensichtlichen weiterhin eine herausfordernde Aufgabe. (Renate Baumiller-Guggenberger)

 

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