Kultur

In Marion Motins "Le Grand Sot" sieht man Streetdance zu Ravels Boléro. (Foto: N. Mackay)

30.06.2023

Freude an freien Bewegungen

Das Ende der Hierarchie: Das Bayerische Junior Ballett und das Bayerische Staatsballett begeistern in „Sphären.01“

Das Münchner Prinzregententheater sollte vor allem auch eine Bühne für den Tanz werden – so Wunsch und Plan von August Everding (1928 bis 1999), der ab 1982 neben all seinen Pflichten und Aktivitäten als Generalintendant der Bayerischen Staatstheater für die Renovierung dieser 1900/01 von Max Littmann erbauten Spielstätte kämpfte. Und es muss Anfang der 1990er-Jahre gewesen sein, als die Ballettakademie der Musikhochschule München eine Vorstellung gab – dank Akademie- und Staatsballettleiterin Konstanze Vernon. Veranstalter war die von Vernon gegründete Heinz-Bosl-Stiftung. Getanzt wurden unter anderem Unisono von Hans van Manen und George Balanchines Die vier Temperamente. Bis sich jedoch die Sparte Tanz im Prinzregententheater als fester Programmpunkt etablieren konnte, sollte es noch eine Weile dauern.

Ab 2017 gab der damalige Staatsballettchef Igor Zelensky Jungen Choreografen (so lautete zunächst der Veranstaltungstitel) die Chance, sich im „Prinze“ auszuprobieren. Und allmählich, sicher auch durch gastierende Compagnien, ist für dieses Haus ein auf Tanz neugieriges Publikum gewachsen. Das aktuelle Programm zur Eröffnung der diesjährigen Opernfestspiele war wieder ausverkauft.

Tanzsprache der Zukunft

Wobei Zelenskys Nachfolger Laurent Hilaire das frühere Konzept offensichtlich aufgibt. Er beabsichtigt, jeweils gemeinsam mit einem Kurator „Verbindungen innerhalb einer choreografischen ,Sphäre‘ aufzuspüren und daraus Elemente einer möglichen tänzerischen Sprache der Zukunft abzuleiten“. Auch wenn das etwas abgehoben klingt: Sphäre.01 ist ein Volltreffer. Der international gefragte Marco Goecke, bei diesem Sphären-Auftakt Hilaires Kurator, zeigte zudem sein All long dem day (2015).

Gleich erkennbar ist Goeckes hypnotisierender Marionettenstil, den er hier nochmals hochspannend variiert. Das Zwölferteam des Bayerischen Junior Balletts gleitet, schneidet, saust in Wettkampftempo durch das immer wieder anders rhythmisierte, schier wahnsinnige Vokabular: Arme, die wie Zangen in die Luft greifen oder im Ellbogengelenk rotieren; Füße, die klassische Schritte gleichsam häckseln. Und zwischendurch mischt sich auch eine elegante Arabesque ein. Das alles fliegt grandios dahin, getanzt in Soli- oder Gruppenformationen.
Dann die drei Gäste bei Sphären.01, die jeweils fürs Bayerische Staatsballett choreografierten, alle drei mit erstaunlich viel kreativer Profi-Erfahrung, überdies international unterwegs: Nicolas Paul, hervorgegangen aus dem Ballett der Pariser Oper, kreierte L’éternité immobile. Der Spanier Fran Diaz, zuletzt Tänzer bei Goecke in Hannover, entwarf The Habit. Marion Motin studierte die erste Sequenz ihrer Arbeit Le Grand Sot (Der große Depp) von 2021 ein.

Auffallend: Alle jeweils vom Band zugespielten Musiken – ob Sinnerman der Jazz- und Gospelsängerin Nina Simone oder John Taveners geistliche Komposition The hidden face – geben nie im traditionellen Sinn den Takt vor, sondern liefern unabhängig Tempo, Rhythmus und Atmosphäre. Ebenfalls auffallend: Es gibt hier keine Solist-Gruppe-Hierarchie mehr – nur noch die tänzerisch bewegte Gemeinschaft.

Last, not least: An diesem Abend herrscht – sichtbar zur Freude des Staatsensembles – durchgehend eine Freiheit der Bewegung, von der (Neo-)Klassik bis zur Bodenakrobatik, von olympiareif herumquirlenden Pirouetten bis zu ausgefeilter, roboterähnlicher Gestensprache.

All dies sind nun keineswegs Neuigkeiten im zeitgenössischen Ballett und Tanz. Aber mit der hier getroffenen Auswahl von Choreografien fällt diese Entwicklung zu einer Pluralität der Formen besonders ins Auge. Natürlich hat jedes Stück dennoch seinen eigenen Charakter, inspiriert von einer Grundidee.

Magisches Licht

Bei Nicolas Paul ist es die Wahrnehmung der Zeit, die er einzufangen sucht in vielfach gedoppelten Schattenbildern seines achtköpfigen Staatsballettensembles auf großer Leinwand. Mit einer anderen Achtercrew lockt Fran Diaz in eine befremdliche psychedelische Stimmung. Für beide Kreationen entwarf der Münchner Christian Kass magisches Licht.
Marion Motin holt in Le Grand Sot dann zurück in die Realität. Ihr Zwölferteam wandelt Ravels Boléro zur Streetdanceshow. Da gibt’s kein Solo auf zentralem Podium – die Straßenmeute ist der Star. Hinreißend urkomisch! (Katrin Stegmeier)

Information: Am 23. und 24. September nochmals zu sehen beim „Unicredit Septemberfest“ der Staatsoper. Goeckes The Habit ist nochmals zu sehen bei der Heinz-Bosl-Ballett-Matinee am 5. November und am 3. Dezember im Münchner Nationaltheater.

 

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