Kultur

Im Visier des karikierenden Architekten Heinz Birg: Der Kini von vorne in einer nüchternen Aufrisszeichnung. Hier ein Ausschnitt, die Gesamtansicht finden Sie in der Bildergalerie am Ende des Beitrags. (Foto: Heinz Birg)

11.08.2017

Ganz schön vermessen

Mit Arbeiten von Heinz Birg feiert die Galerie im Landesamt für Digitalisierung, Breitband und Vermessung kongenial ihr 20-jähriges Jubiläum

Natürlich vermessen Künstler die Welt. Mit mathematisch-physikalischen Methoden aber (jedenfalls meist) nicht vordergründig, sondern nur als Mittel zum Zweck. Das Zueinander von Flächen und Linien, Prinzipien der Perspektive folgen Regeln, mögen sie dem Betrachter manchmal auch noch so verborgen oder chaotisch erscheinen. Neben der technischen Fähigkeit, ein äußeres Abbild der Welt authentisch aufs (Foto-) Papier oder die Leinwand zu bringen, ist das Spannende am künstlerischen Vermessen das kreative Ausloten, was die Welt in ihrem Innern ausmacht. Und das ist es, wonach Barbara Klumpp entscheidet, was in dieser Galerie ausgestellt wird, egal ob an Wänden oder frei stehend im Raum: Im Bayerischen Landesamt für Digitalisierung, Breitband und Vermessung, in der Münchner Alexandrastraße. Durchaus intuitiv geht sie vor bei der Auswahl, sagt sie – die Kunstwerke müssen sie persönlich ansprechen. Und zeitgenössisch sein. Und vom bloßen Kopieren großer Meister hält Barbara Klumpp überhaupt nichts.

Heikler Spagat

Unbedarft in Kunstfragen ist sie nicht: Neben dem privaten Interesse, ihrer Leidenschaft fürs Fotografieren und ihrer Hauptaufgabe als Assistentin im Präsidentenbüro hat sie quasi Lehrjahre bei Heidi Haffenrichter absolviert: Die einstige Redakteurin, Castingexpertin und Künstlerin hat die Galerie im Landesamt aufgebaut und bis 2009 betreut – „von ihr konnte ich viel lernen, was Qualitätskriterien von Kunst und die Ausstellungsgestaltung angeht.“ Da gilt es, einen heiklen Spagat zu beherrschen: Die Kunst im Amt ist nicht Dekoration – nein, man möchte die Mitarbeiter aus ihrem Arbeitsalltag herausreißen, gerade hier, wo die Vermessung der Welt von reinem Zweck- und Leistungsdenken geleitet ist: Gelegenheit schafft Interesse an Kunst und Kultur, lautete die pragmatische Gleichung des früheren Amtschefs Günter Nagel. Ist man von Kunst umgeben, komme die kritische Auseinandersetzung fast zwangsläufig: Das könne ein Staunen und Bewundern sein – entweder wegen der Ästhetik oder auch des manuellen Könnens wegen. Zum bewussten Wahrnehmen kommt freilich auch manche Ablehnung: „Wenn Kunst von Können kommt, bin ich froh, dass ich nichts kann“, liest man zum Beispiel im Gästebuch. „Einmal habe ich eine Künstlerin mit wunderbar feinen erotischen Werken ausgestellt. Das mache ich nie wieder!“, lacht Barbara Klumpp. Mit Rücksicht auf die emotionale Wirkung von Kunst schwingt noch ein recht simples Kriterium bei der Galerie-Bestückung mit: „Im Winter soll da eher Farbiges, Buntes zu sehen sein. Im Sommer können Monotones, Kunst in Schwarzweiß oder feine Zeichnungen hängen.“ Das behördliche Kunstengagement ist keine reine Insidergeschichte. Die Galerie ist bewusst öffentlich. Anzeigen in Münchner Veranstaltungsblättern und Plakate locken Publikum an, das ansonsten nichts mit dem Landesamt für Digitalisierung, Breitband und Vermessung (LDBV) zu tun hat. „Wir haben einen festen Besucher- und Kundenstamm, wir führen Mailingaktionen durch und veranstalten Vernissagen wie jede andere Galerie“, erzählt Barbara Klumpp. Es wird auch gekauft. Das i-Tüpferl für die Künstler: „Wir dürfen als Behörde keine Einnahmen aus dem Verkauf der Kunst generieren, also bleiben den Ausstellenden 100 Prozent des Verkaufspreises.“ Allerdings bleibt ihnen auch die Verantwortung für ihre Werke zu 100 Prozent: Für Schadensfälle kommt das Amt nicht auf. „Aber in den 20 Jahren sind nur zwei Mal sehr geringe Beschädigungen aufgetreten“, erinnert sich die Galeristin. Gut 300 Quadratmeter Ausstellungsfläche auf zwei Etagen im Altbau des Amtes in der Münchner Alexandrastraße (Lehel), überwiegend große weiße Flächen, viel natürliches Licht in kurzen Gängen und vier nahezu quadratische Foyerplätze seitlich des markanten neubarocken Treppenhauses: Man hat es mit einem wunderbaren Exoten in der Münchner Galerieszene zu tun. Die Künstler wissen darum – die Bewerbungsliste um eine der drei Ausstellungen pro Jahr ist lang. „Gerade musste ich eine Künstlerin aus der Schweiz auf das Jahr 2022 vertrösten.“ Es gibt hin und wieder Anfragen von Künstlern jenseits der bayrischen Grenzen – überwiegend ist die Galerie aber eine Arena fürs Heimspiel von Künstlern aus München und Oberbayern, die meisten sind Mitglieder im Berufsverband Bildender Künstler.

Visionen eines Architekten

Heinz Birgs erster Kontakt mit dem LDBV liegt schon Jahrzehnte zurück – damals noch bedingt durch seinen ursprünglichen Beruf als Architekt. Den hat er an den Nagel gehängt, als seine zweite Berufung als Karikaturist immer bestimmender wurde. Zeichnerisch und satirisch nahm er die Politik aufs Korn – die Süddeutsche Zeitung druckte die Arbeiten regelmäßig ab. Fast zwangsläufig kam die Verbindung zur Architektur: Politischer Stadtbauplanung setzte er seine eigenen spöttischen Visionen entgegen. Es war längst überfällig, Heinz Birg (Jahrgang 1941) auch in der Galerie in der Alexandrastraße auszustellen – man möchte schwärmen, dass seine Kunst die Vermessungsbehörde geradezu idealtypisch ästhetisch beseelt. Die Exponate umfassen einen Zeitraum von rund vier Jahrzehnten – man kann die sukzessive künstlerische Vermessung der Welt von außen nach innen beobachten: Wie der Blick des Architekten vedutenhaft einzelne Bauwerke, Orte und Landschaften erfasst, darin die typischen Strukturen und Landmarken in erster Linie der Kulturlandschaften sucht. Mal ist es eine Landstraße bei Bernau, die an einem kleinen Heuschober eine Kurve macht, als wollte (oder müsste) sie das Existenzrecht dieses unscheinbaren Baus respektieren. Dann sind es Innenansichten von Städten jenseits der Postkartenperspektive: An der Promenade einer italienischen Seestadt verschwindet die pittoreske Häuserzeile hinter einem unspektakulären, obendrein leeren Gemüsestand. In Venedig zitiert der extrem fokussierte Blick in einen Hinterhof das gedrängte Beinander von Nebenarchitekturen verschiedener Generationen: Der Rest eines Fachwerks korrespondiert mit einem Stützgerüst, dazwischen unterschiedliche Schlottypen, die von Werkstätten und Gewerben erzählen, von der Alltagsarbeit hinter dem die städtische Schauseite dominierenden Campanile, den man vage in einem Durchblick ausmachen kann. Und um den herum man die innerstädtische Weite eines Platzes vermuten darf.
Dass ein solcher seinerseits spannende geometrische und beziehungsreiche Strukturen haben kann, zeigt Heinz Birg zum Beispiel in einer Aufsicht des Platzes vor dem Campanile in Siena: Streng radial laufen weiße Linien auf dem menschenleeren, ziegelroten Platz am Turm zusammen – den man hier in seiner die Bürgerstadt überragenden Mächtigkeit aber nur am Schattenwurf erahnen kann: ein spannendes Spiel zwischen Anziehung und Ehrfurcht gebietender Distanz lässt sich interpretieren. Ganz anders ein nächtliches Großstadtmotiv: Wie in einer starken Sogwirkung dreht sich eine Straße zu einem Platz ein, die Häuser scheinen nur mühsam den Fliehkräften standzuhalten: ein einziger großer Wirbel – in Öl auf Palette gemalt und wie in Manier der „Blaue-Reiter“-Künstler.

Soziales scheint durch

Heinz Birgs Erforschungen von Strukturen der gebauten Umwelt sind nur selten nüchterne Abbildungen der technischen Bauleistung – das soziale Moment scheint immer wieder durch: Im strengen Liniengitter eines Pfahlbaus in einem Elendsviertel von Salvador de Bahia (Brasilien) sieht man eine schrottverbeulte grüne Autotür wohl als Haustür eingefügt. Zunehmend blitzen Humor, Spott und Ironie in Heinz Birgs Arbeiten durch. Dann sieht man auf einer italienischen Piazza die Mobilmachung – ein Chaos von PKWs. Aus ist’s mit dem beschaulichen Flanieren. Auch auf dem Petersplatz in Rom sieht man keine Scharen von Gläubigen, die auf das Erscheinen des Pontifex warten – nein, ein dichter Autostrom lässt keinen Zentimeter Platz für Fußgänger. Alle Wege führen nach Rom, titelt Heinz Birg.

An Klischees kratzen

Die Vermessung der Welt in ihrem Inneren: Bei all den künstlerischen Forschungstouren durch die Welt gelingt das Heinz Birg am besten und in phantastischer Weise in Bayern, vor allem in seiner Heimatstadt München: Er kratzt an Klischees und wohlfeiler Überhöhung von manchem Mythos. Da ergänzt er fast unauffällig die Ansicht des mittelalterlichen München nach der Schedelschen Weltchronik um den Olympiaturm, im Hintergrund ist ganz klein ein Hochhäuserhügel auszumachen – und Engel tragen die „welschen“ Hauben der Frauenkirche davon. Die allmähliche Erosion des alten Stadtbildes beschleunigt die Aufgehende Trabantenstadt, wie eine andere Aquarellzeichnung überschrieben ist: Hochhäuser, zur Sonnenhalbkugel geformt, drängen am Horizont hell leuchtend über dem mittelalterlichen München empor. Einen modernen Architektur-Alb(p)traum sieht man im Freizeitpark Königssee: Hinterm Kirchlein St. Bartholomä ziehen sich dicht gestaffelt Hochhäuser die Bergflanke empor. Manchem mag auch Heinz Birgs Version der Staatskanzlei am Münchner Hofgarten als Horrorvision erscheinen: Links und rechts des Kuppelbaus ragen schlanke Minarette auf. Wir begegnen auch bayerischen Typen: der molligen Bedienung mit den Armen voller Maßkrüge – so gutgelaunt und so voll eingeschenkt möchte man gerne sein Bier vorgesetzt bekommen. Neben einem mürrisch dreinschauenden Farbigen in Tracht (Wiesnblues) hängt das Doppelporträt von Zwei Halunken: Die Inkarnation der mauschelnden Schlitzohrigkeit, als wären es die Typen einer bayerischen Commedia dell’ arte. Auch vorm „Märchenkönig“ macht Heinz Birg nicht Halt: Ganz nüchtern skizziert er ihn wie in bautechnischen Aufrissen: Von vorne, von der Seite, von hinten und von oben. Er orientiert sich an einem bekannten Foto, das den alternden, recht massigen Ludwig II. in Lodenmantel und Hut zeigt. Hier versinkt der König im schweren Mantel wie in einer Zwangsjacke – nur an der klaffenden Schoßfalte, die das Hermelinfutter verrät, kann man den Ausbruchversuch aus der Bürde vermuten. Krönungsloden (Botero) nennt Heinz Birg dieses Ensemble.

Profi-Lichtsystem nötig

Gerade wenn sie vor diesem sehr fein gezeichneten Arrangement steht, das sie mit den anderen Bayern-Motiven räumlich zu einem eigenen Kapitel zusammengefasst hat, wird die Galeristin Barbara Klumpp verhalten kritisch: „Hier fällt besonders auf, dass unser Beleuchtungssystem nicht optimal ist.“ Klobige Strahler an zu weit abgehängten Schienen und allzu fokussierte Energiesparlichtkegel mindern leuchtende Farbigkeit und betonen Spiegelungen, nehmen den herrlich von natürlichem Licht durchfluteten Galerieräumen die spezielle Aura: „Wenn ich mir zu unserem 20-jährigen Jubiläum etwas wünschen dürfte“, sagt Barbara Klump leise, „dann wäre es tatsächlich ein zeitgemäßes Lichtsystem, das auch in anderen professionellen Galerien zu sehen ist.“ (Karin Dütsch) Information: Bis 29. September. Galerie im Landesamt für Digitalisierung, Breitband und Vermessung, Alexandrastraße 4, 80538 München. Mo. bis Do. 8-16 Uhr, Fr. 8-14 Uhr. Abbildung: Modern und nicht abgekupfert – das sind die Kriterien von Barbara Klumpp bei der Kunstauswahl für die Galerie im Vermessungsamt.    (Foto: Jan Kopp)

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