Kultur

22.12.2014

Gefühle von der Stange

Luc Perceval hat James Joyce' "Exiles" an den Münchner Kammerspielen wohltuend dekonstruiert

Spielt dieses Stück auf dem Jupiter? Der hat ja bekanntlich viele Monde, und wie Monde wirken auch die sieben Kugellampen, die über der Bühne spacig orange leuchten und langsam ihre Bahnen ziehen wie Himmelskörper im Weltraum. Zu all dem passt, dass die Akteure an Wesen vom andern Stern erinnern.

Aber diese Aliens irgendwo zwischen Rumpelstilzchen und Androiden sind die Personen aus James Joyce' einzigem Theaterstück Exiles, das vor 95 Jahren an den Münchner Kammerspielen uraufgeführt wurde. Eben dort hat Regisseur Luk Perceval das Frühwerk des Iren jetzt wieder ausgegraben und wohltuend dekonstruiert.

Die Bühne ziert das Riesenporträt eins Hundes, der die Zuschauer herzerweichend anschmachtet und als treues Tier wohl den Kontrast zu dieser Geschichte voller Untreue bildet: Schriftsteller Richard führt mit seiner Frau Bertha eine offene Beziehung, weswegen er was mit Beatrice hat, der Cousine seines besten Freundes Robert, welcher seinerseits mit Bertha anbandelt.

Diese zwei ineinander verschachtelten Dreiecksgeschichten erinnern an ein Beziehungsdrama im Strindberg-Stil, und welch wirre Überspanntheit in solchen Psychokisten steckt, hat Perceval instinktsicher gespürt. Darum zeigt er lauter Figuren, die längst aus ihrer „Mitte“ gefallen sind: Sie artikulieren keine authentischen Gefühlsregungen, sondern scheinen die Versatzstücke ihres Innenlebens von der Stange zu wählen.

Leider ohne jedes Stilgefühl, und so kombinieren sie ihre Prêt-à-porter-Emotionen ganz zufällig: Wenn Robert (Kristof Van Boven) eine Liebeserklärung machen will, führt er einen absurden, urkomischen Veitstanz auf. Zärtlichkeiten kommen im Ton kühler Gleichgültigkeit daher, und von Schreckensereignissen berichtet Beatrice (Marie Jung) mit beiläufiger Heiterkeit. Sylvana Krappatsch als Bertha brilliert und erschreckt uns durch Lach-Schreikrämpfe, die ins Entmenschte, Animalische tendieren, und Stephan Bissmeier, ohnehin ein Meister der verschlurften Langeweile, steht mit James-Joyce-Frisur rum wie ein sediertes Fragezeichen, wenn er nicht grad seine Beine verknotet.

Kurzum, nichts passt hier zusammen: Der Tonfall der gesprochenen Sätze konterkariert ihren Inhalt, die Worte widersprechen den Gebärden. Alles ist eine einzige Dissonanz - so wie die mal wilde, mal einschmeichelnde, aber immer virtuose Katzenmusik, die Dine Doneff am Kontrabass - nein, nicht spielt, sondern fast schon tanzt und die jetzt einmal nicht nur Stimmungsbeiwerk ist, sondern der Aufführung eine Art gestisches Gerüst gibt.

Überhaupt erinnert das, was an diesem Abend geboten wird eher an zeitgenössische Musik: Die Bewegungen wie die Stimmakrobatik der Akteure sind linkisch verrenkter Rhythmus und Klang, indes ihre Sätze, längst als Gerede enttarnt, zum weißen Hintergrundrauschen der Sprachlosigkeit mutieren.

Diese wunderbar artifizielle Phasenverschiebung der Gefühle ist so tragisch wie saukomisch - und steht leider nur eine halbe Stunde lang auf dem Programm. Denn dann schaltet der Regisseur plötzlich um auf den Sirup-Modus, so dass sich die Aufführung bis kurz vor Schluss irrwitzig zäh dahinzieht. Den Abstand zwischen den Dialogteilen kann man jetzt fast in Lichtjahren messen, so lang sind die Pausen, so weit sind die Figuren von sich und den anderen entfernt. Kein Wunder, dass man sich da auch als Zuschauer zeitweise innerlich wegbeamt. (Alexander Altmann)

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