Kultur

Die Stadelkulisse ist idealer Schauplatz für die Grobheiten unter den Kleinbürgern, die nach etwas Wohlstand gieren. (Foto: Sandra Then)

31.01.2020

Gehässiger Machtkampf

Holzschnitthafte Wucht: „Der starke Stamm“ am Münchner Residenztheater

Den Spruch von den Brettern, die die Welt bedeuten, hat Bühnenbildner Paul Zoller diesmal wörtlich genommen. Ein riesiges Stadeltor, durch dessen Ritzen fahles Licht dringt, wuchtete er ins Münchner Residenztheater: das passende Setting für Marieluise Fleißers brutales Volksstück Der starke Stamm (1950). Denn so roh und ungehobelt wie die Bohlen des Tores wirken die Menschen hier.

Der titelgebende Stamm ist eine Sippschaft verarmter Kleinbürger in der Provinz, die nach einem Zipfel Wohlstand gieren und dabei zu Hyänen werden. Sie versuchen sich wechselseitig auszunehmen, über den Tisch zu ziehen – oder zu heiraten, was dasselbe ist unter Verhältnissen, in deneni Beziehungen zwischen Menschen nur noch Geschäftsbeziehungen sind.

Nach dem Tod seiner Frau hat sich beim Sattlermeister Bitterwolf (Robert Dölle) als ungebetener Gast seine Schwägerin, die dubiose Spielautomatenunternehmerin Balbina (Katja Jung), einquartiert. Einmal hört man sie hinter der Bretterwand mit ihrem Gockel sprechen, so liebevoll sanft, wie sie mit keinem Menschen redet. Und erst, wenn sie gleich darauf mit dem blutigen Beil in der Hand hereinkommt, wird klar, dass sie das Tier soeben geschlachtet hat.

Materielle Abhängigkeiten

Es ist ein verstörend komisches Bild, das zeigt: Zärtlichkeit ist in dieser Welt allenfalls ein taktisches Mittel zum Zweck. Ansonsten kommt sie nicht vor unter all diesen „hoglbuachanen“ Überlebenskämpfern, die sich ständig Grobheiten ins Gesicht sagen; Grobheiten, die auch schockieren, weil sie Wahrheiten sind.

Der gehässige Machtkampf, den hier jeder gegen jeden ausficht, rührt daher, dass in dieser Mischpoke alle wechselseitig voneinander abhängig sind – materiell. Darum hat auch jeder gegen jeden etwas, weil jeder gegen jeden etwas in der Hand hat. Nur der Onkel aus Rottenegg (Arnulf Schumacher), von dem immer wieder geraunt wird, ist steinreich. Prompt röhrt er am Schluss mit weißer Langhaarmähne auf einer Harley heran, um wie ein Deus ex Machina allen die Leviten zu lesen.

Nun sind die Texte der Fleißer so stark, dass sie praktisch immer funktionieren – als schroffe Sprachskulpturen. Insofern muss auch eine brav traditionelle Inszenierung wie die von Hausregisseurin Julia Hölscher nicht langweilig sein, und tatsächlich fasziniert dieser Abend durch lapidare, holzschnitthafte Wucht und eindringliche Bilder.

Trotzdem bleibt ein leichtes Unbehagen: Läuft hier nicht alles zu glatt? Wird Fleißers Rumpel-Syntax nicht ein bisschen zu gefällig präsentiert, wo doch in diesem verrenkten Kunstbairisch sich die seelische Verrenktheit entfremdeter Individuen spiegeln soll, die durch die Umstände ihrer Menschlichkeit beraubt sind? Da passt es nicht ganz, dass die Worte in dieser Aufführung tendenziell eher deklamiert, als unter Schmerzen herausgewürgt werden. Denn durch diese Professionalität bekommen sie einen Drall ins Pathetische. Es ist das Pathos des Archaischen, Elementaren, Urwüchsigen, das da plötzlich wetterleuchtet, obwohl gerade das nichts zu suchen hat in einem Stück, das Brutalität und Härte eben nicht der „menschlichen Natur“ anrechnet, sondern im Gegenteil als Resultat ökonomischer Nöte und Machtverhältnisse entlarvt. (Alexander Altmann)

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