Kultur

Geschmeidig tanzt Salome vor Herodes, in der unteren Szene hält sie eine Schüssel bereit für das Haupt des Johannes. Diese Darstellung aus dem Münchner Goldenen Psalter zeigt wunderbar den Stilwechsel von der romanischen hin zur frühgotischen Buchmalerei. (Foto: BSB)

21.04.2011

Geheimnisvolle Morgengabe

Die Bayerische Staatsbibliothek zeigt in einer Psalter-Ausstellung den Übergang von romanischer zu frühgotischer Buchmalerei

Ein Löwe beugt sich fürsorglich hinunter zu seinem Jungen, haucht ihm Lebensatem ein – dort verbeißt sich eine Katze fest in eine Maus. Mal purzelt ein ungeschickter Igel auf Futtersuche vom Baum, mal hangeln sich wilde Männer affengleich durch verschlungenes Rankwerk. Friedliche Vögel, Hirsche und Insekten tummeln sich in diesem eigentümlichen Kosmos ebenso wie groteske Mischkreaturen, zähnefletschende und zungenbleckende Ungeheuer, die mal elegant schlängeln, dann wieder bizarre Drachenköpfe recken, ihre peitschenden Schwänze bedrohlich peitschen lassen ... Fast meint man das Schreien der Opfer zu hören, die auf Schlachtfeldern gerade niedergemetzelt werden, oder jener sündigen Seelen, die im feurigen Höllenschlund gemartert werden. Indes unbekümmert von der Welt hat es sich ein alter Mann vor dem Kachelofen gemütlich gemacht, schlürft aus einer Schale und wärmt sich die Füße. Sorgenlos vertreiben sich auch Narren die Zeit mit kegeln, würfeln und zechen.
Einem Füllhorn mit Bildern aus einem eigenartigen Zwischenreich von irdischer Wirklichkeit und transzendenter Vision gleicht derzeit die Schatzkammer der Bayerischen Staatsbibliothek in München. Dabei ist es gerade mal ein Dutzend Exponate, das da im schützenden, wohltemperierten Halbdunkel ausgebreitet ist. Aber schon der Titel dieser Ausstellung spricht für sich: Gemalt mit lebendiger Farbe schwärmte Martin Luther in seiner Charakterisierung des Psalters, das er als Kompendium der Bibel schätzte.
Gemäß diesem Motto hat die Bayerische Staatsbibliothek nun einige der prächtigsten Psalter aus ihrem „Tresor“ geholt – Anlass ist die Faksimilierung des Goldenen Münchner Psalters, der als üppigste Psaltergestaltung des englischen Mittelalters gerühmt wird. 91 ganzseitige Miniaturen, eine Fülle von Bildmedaillons und Schmuckinitialen, zum Teil über mehrere Zeilen, obendrein viele Goldgründe: ein solchermaßen aufgemachter Psalter war zu seiner Zeit – der Psalter hat wohl um 1200 eine Oxforder Werkstatt verlassen – einzigartig, übertraf die Konkurrenz in Deutschland, Frankreich oder Italien.
Dabei gab es damals nicht gerade wenige Psalter: Diese Sammlung von Gebeten, Liedern und Gedichten, in denen der Betende Gott lobt, ihm aber auch seine Verzweiflung und Klage anträgt, war beliebt seit dem frühen Christentum und wurde der Renner mittelalterlicher Buchherstellung. Mit ihm verband sich die Vorstellung, durch seinen „Gebrauch“ könne der Gläubige direkt mit Gott in Verbindung treten; das förderte auch die schon recht frühe Übertragung in die Volkssprachen (9. Jahrhundert ins Deutsche). Beliebt waren Psalter in Klostergemeinschaften ebenso wie zur Gestaltung des Gottesdienstes und zunehmend zur privaten Andacht.

Bebilderte Leselernhilfe

Auch wenn sich die Frage des Analphabetismus weniger stellt, weil viele Psalter sowieso als „Bilderbibeln“ und mitunter sogar als Lese-Lehrbuch mit beigefügtem Alphabet konzipiert waren, so war der Besitz eines solchen Werkes vor allem eine Frage des Vermögens. Im Falle des Münchner Goldenen Psalters tendiert die Forschermeinung in die obersten Ränge. Er könnte einer Dame des Hochadels gehört haben: Infrage käme Margaret de Lacy, die den Psalter von ihrem Ehemann Walter II. de Lacy zur Hochzeit bekommen haben könnte. Den weiblichen Bezug interpretiert man aus grammatikalischen Besonderheiten und aus der Dominanz heroischer Frauenfiguren des Alten Testaments im Bildprogramm.
Nicht, dass die adlige Dame deswegen weniger fromm gewesen sein muss – aber in ihrem Luxusbuch (dessen ursprünglicher Einband als mögliche Datierungsquelle verloren gegangen ist) hat sie nur selten geblättert. Die Morgengabe wurde vielleicht schon damals als Familienschatz gehütet und zum Erbgut gezählt. Das könnte auch der Grund dafür sein, dass der Psalter zur Mitte des 14. Jahrhunderts aufs Festland kam, und zu Beginn des 17. Jahrhunderts über dynastische Verbindungen in Besitz der Wittelsbacher. Welchen Wert man dem Band am Münchner Hof beimaß, mag belegen, dass Kurfürst Karl Theodor dem durchreisenden Papst Pius VI. im Jahr 1782 in der Hofbibliothek auch diesen Psalter stolz vorlegte.
Ebenfalls ein Hochzeitsgeschenk könnte der Isabella-Psalter sein. Hier ist man sich relativ sicher (unter anderem wegen entsprechender Wappendarstellungen), dass er einmal Königin Isabelle de France gehörte, der Frau König Edwards II. von England. Auch dieser Psalter, zwischen 1303 und 1308 angefertigt, stammt aus einer englischen Werkstatt, aus der Diözese York.
Kunsthistorikern ist der Goldene Münchner Psalter vor allem auch deswegen ein außerordentliches Schmuckstück, weil er – vermutlich von drei Malern gestaltet – den Übergang von romanischer zu frühgotischer Buchmalerei dokumentiert. Diese Genese veranschaulicht die Staatsbibliothek mit einem Dutzend weiterer Exponate, die meist als Säkularisationsgut nach München kamen.
Dem Goldenen Münchner Psalter als Höhepunkt quasi „vorgeschaltet“ ist der Eberhard-Psalter aus dem frühen 11. Jahrhundert, entstanden vermutlich in Süd- oder Ostbayern. Aufgrund der „redaktionellen“ Zusammenstellung mit Heiligenlitanei und athanasischem Glaubensbekenntnis, geht man davon aus, dass dieser Psalter in Gottesdiensten Verwendung fand. Gleichwohl ist er mit Gold, Silber und Purpur gestaltet und hat aufwändige Initialverzierungen in damals typischem Rankflechtwerk samt Drachen und Löwen. Eingefügt sind auch zwei ganzseitige Miniaturen, die Christus und König David zeigen – den altestamentarischen König in typischer Pose mit Musikinstrument, gilt er doch als „Erfinder“ des Psalter und gehört deshalb typischerweise zum Bildprogramm eines jeden Psalters.

Musikalisches Multitalent

Als Musiker ist David meist mit Harfe dargestellt. Ein Blatt des Würzburger Psalter (um 1260/65) zeigt ihn in mehreren Medaillons als musikalisches Multitalent mit einer ganzen Reihe von Zupf- und Streichinstrumenten und einem Glockenspiel. Freilich wird auch der heroische David im Kampf mit Löwe und Bär abgebildet, oder der machtbewusste König, der den Befehl zu töten gibt.
Der noch gezügelten Lust am auch stilistischen Fantasieren lassen die Maler zunehmend freien Lauf, wie die Psalterbeispiele bis zum 16. Jahrhundert zeigen. Sie verlassen nach und nach das streng Hierarchische im Bildaufbau, die feierlich-starre Zeichenhaftigkeit und Flächigkeit romanischer Illustrationen. Sie üben – vor allem in der wunderbaren Gestaltung der Initialen – naturalistischen Realismus und perspektivischen Bildaufbau, modellieren mit Licht und Schatten, lassen ihre Figuren individueller und weicher werden, versetzen sie in höfisches Ambiente und kleiden sie auch schon mal in die zeitgenössische Mode mit hochgebundenem Gürtel und überlängten Ärmeln. Das Haar wird nicht mehr schematisch mit Wellen durchzeichnet: Man erkennt lockiges, glattes oder geflochtenes Haar. Die Ornamentik sprengt das romanisch-geometrische Muster, wuchert floral und zoomorph; groteske Kreaturen waren eine Spezialität vor allem der englischen Buchmaler jener Zeit.
Selbst nach Erfindung des Buchdrucks, und obwohl Psalter neben der Gutenbergbibel zu den frühesten Druckerzeugnissen gehören, wurden von diesen Andachtsbüchern weiterhin Exemplare handschriftlich auf Pergament angefertigt. Ausgestellt als reich illustrierter Schlusspunkt der Ausstellung ist der Ottobeurener monastische Psalter von 1583/84. Wunderschön, wie hier der Illustrator beispielsweise bei der Darstellung der Vertreibung aus dem Paradies in malerischem Schwung die Seiten verbindet. Dieser Psalter ist zudem ein gutes Beispiel für die Verbindung von Text, Illustration und Noten. Denn schließlich sollten die vielen Bezüge zu Musikanten in den Bildern den Gläubigen animieren, ebenfalls im Gesang den Lobpreis zu suchen. (Karin Dütsch)

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