Kultur

Die laszive Pose der liegenden Frau und der zur Schau gestellte extrem kleine Fuß senden erotische Signale aus; das Bild stammt aus den 1910er-Jahren. (Foto: Rupprecht Mayer)

30.08.2024

Geknechtet zum Wohlgefallen der Männer

Das Museum Fünf Kontinente in München zeigt bezaubernde chinesische Frauen, die von Hinterglasmalern porträtiert wurden

Dass diese Schönheitengalerie hinter Glas gemalt ist, mag man als geradezu symptomatisch verstehen: Unterstreicht dieser Bildträger nicht augenfällig, dass die porträtierten Frauen gleichsam hinter Vitrinenscheiben zur Schau gestellt sind wie „unberührbare“, dem Alltag enthobene – leicht zerbrechliche – Kostbarkeiten? Diese Frauen Chinas entstammen keineswegs dem „gemeinen (Bauern-) Volk“ – es sind eher Idealbilder der einst geltenden Vorstellungen perfekter Schönheit, denen man in der Ausstellung Betörend schön im Münchner Museum Fünf Kontinente begegnet.

Der Tick mit kleinen Füßen

Das – männlich geprägte – Frauenbild vom 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts (diese Zeitspanne umfassen die Exponate aus der Sammlung Mei-Lin) lässt sich aus Typisierungen zusammensetzen. Etwa die kleinen Füße: Man sieht sie in diesem Sammlungsbestand allerdings seltener, weil es Halbporträts sind oder die Kleidung bodenlang und weit ist. Aber wenn, dann erscheinen die Frauenfüße und die Pantöffelchen, in denen sie stecken und die dann auch bewusst die Blicke auf sich ziehen sollen, unproportional klein – selbst wenn sie keine „Lotosfüße“ sind, die wohl auf einen im 10. Jahrhundert von einem Herrscher in die Welt gesetzten erotischen Schönheitstick zurückgehen: Die Füße schon von kleinen Mädchen wurden gebrochen und abgebunden, damit sie in staksiger Stellung im Idealfall nur 10 Zentimeter lang sind.

Kultivierte Abhängigkeit

Laufen und arbeiten waren dann kaum mehr möglich – diese Frauen wurden teils wortwörtlich auf Händen getragen. Auch langgliedrige, extrem feine Hände mit überlangen gepflegten Nägeln und wohl in langer Prozedur drapierte komplizierte Frisuren unterstreichen dieses „Nichts-tun-Müssen“. So etwas galt als Zeichen elitären Lebensstils (auch von Kurtisanen), was kostbare Kleidung und Attribute der räumlichen Umgebung in den Bildern unterstreichen. Zudem konnten sich Männer, denen solche Frauen „gehörten“, deren Abhängigkeit sicher sein: ein Leben im goldenen Käfig – oder eben in der Vitrine. Erst unter Mao Zedong hatte ab 1949 das Verkrüppeln der Frauenfüße zu funktionslosen Stumpen ein endgültiges Ende. Klar: Ohne Ausnahme sollten alle arbeiten.

Die weibliche – innere und äußere – Schönheit als Thema von Literatur und Malerei hat auch in China eine lange Tradition – mit hin- und herschwankenden Vorzeichen: die Frau mal als Lotosblüte oder Orchidee geradezu hymnisch ins Überirdische gehoben, mal argwöhnisch wegen zu großer Selbstständigkeit, Raffinesse und Macht verleumdet, dann regelrecht degradiert auf eine Stufe mit Vögeln und Säugetieren, deren Betrachtung nur als bloßer Zeitvertreib für reiche Müßiggänger taugte, wie der Landschaftsmaler Mi Fu im 11. Jahrhundert behauptete.

Metaphernreiche Kriterien

Erst waren Frauenbildnisse auf Rollbildern und Paravents stolz vor Mitmenschen präsentiert, dann verwiesen auf Fächer und damit auf einen privaten Gebrauchsgegenstand (Fächer wurdem lange von Männern genutzt) oder auf Nippes, schließlich die Rückeroberung geschätzter Kunst-„Bühnen“ – wie auch der Hinterglasbilder.

Der Kanon von jahrhundertelang gültigen Schönheitskriterien lässt sich aus literarischen Quellen meist metaphernreich herauslesen: schmale Schultern, schlanke Taille, wohlgeformter, weißer Nacken (weiß und lang wie die Larven von Holzkäfern), fein geschwungene Augenbrauen (wie Antennen des Seidenspinners), Grübchen, ausdrucksstarke Lippen, Zähne „wie Melonenkerne“ – die Gesichtsform mit spitzem Kinn ebenfalls in Form eines Melonenkerns galt als besonders anmutig.

Die Motive, die man in dieser Ausstellung hinter Glas gemalt sieht, waren in China schon vorher vertraut: Bilder solcher schönen Frauen („meiren hua“) wurden auch gerne mit erotischen Signalen versehen: die lässig liegende Frau oder der direkte Blickkontakt mit dem Betrachter – ist es Koketterie, wenn der Blick haarscharf vorbeigeht? Als verführerisch galten auch nackte Arme, eine S-förmige Körperlinie und vor allem der geschminkte „Kirschmund“: ein roter Tupfen in der Mitte der Unterlippe.

Und dann die Sprache der Blüten: Als die „Vier Edlen“ galten Pflaumenblüten, Orchideen, Bambus und Chrysanthemen – sie standen für Keuschheit, Bescheidenheit, Eleganz und reine Gesinnung. Immer wieder sieht man üppig gefüllte Pfingstrosen (Päonien), die Reichtum, Glück oder eine hohe gesellschaftliche Stellung – auch schon die Aussicht darauf – signalisierten. Blüten sind ins Haar oder an die Ohren gesteckt, sie zieren Textilien, Fächer oder sind Raumschmuck.

Kulturimport aus Europa

Abgesehen von der inhaltlichen Interpretation der Exponate, zu der die Ausstellungstexte und der Begleitkatalog Hilfe bieten, ist die Hinterglasmalerei als Kunstform in der chinesischen Kunstgeschichte interessant: Sie ist ein europäischer Kulturimport. Schon einige Jahrhunderte in der Alten Welt bekannt, soll der Hof in Peking erst im 17. Jahrhundert durch ein Diplomatengeschenk von dieser Maltechnik erfahren und sich sogleich für das faszinierende Spiel von Glas, Farbe und Licht begeistert haben. Fortan gab es kaiserliche Aufträge an heimische Künstler, ebensolche Hinterglasbilder zu malen. Dieses Metier beherrschten die chinesischen Maler bald so gut, dass sie nicht nur für den heimischen gehobenen Käufermarkt malten, sondern geschäftstüchtig auch für den Export nach Europa: und zwar auf von dort importiertem Flachglas auch Motive europäischer Meister, etwa Kupferstiche von François Boucher oder David Teniers – und das in hoher Präzision, teils sogar seitengleich und in jener subtil lasierenden Malweise, für die die chinesische Kunst berühmt war. Billigware war das nicht: Nach rund 12 000 Seemeilen erreichte sie primär eine elitäre Käuferschicht.

Von Drucken verdrängt

Aber lange sollte dieses Geschäft nicht florieren: In Europa war die Hinterglasmalerei mit entsprechendem Motivwandel (Religiöses, Volkstümliches) seit dem 18. Jahrhundert auf dem Weg zur Volkskunst für jedermann und wurde im 19. Jahrhundert angesichts neuer Drucktechniken unbedeutend. Für ein Intermezzo reaktivierten sie Anfang des 20. Jahrhunderts Mitglieder etwa des Blauen Reiters.

Auch in China produzierten Hinterglasmaler zusehends für den heimischen und erschwinglichen Kunstmarkt – günstiger hieß auch in nicht mehr so aufwendiger Malweise. Die Bilder sind plakativer, das subtile Spiel ineinanderverlaufender Farbaufträge, die gerade Gesichter fein modelliert erscheinen lassen, sieht man seltener. Die Kleidung ist einfacher, oft nur einfarbig mit eher nichtssagenden monotonen Mustern und wenig überzeugenden Faltenwürfen. Mit der zeitaufwendigen reichen Verzierung der Textilien auf früheren Hinterglasbildern hatten die Künstler noch ihr Können beim mehrschichtigen Malen „verkehrt herum“ demonstriert.

Auch in China wurden mehr und mehr Drucke favorisiert. Letztlich behalf sich mancher Künstler Anfang des 20. Jahrhunderts damit, nur noch farbige Drucke hinter Glasscheiben zu kleben – in der Ausstellung sieht man ein besonders schlampiges Beispiel: Die Frauenfigur ist nicht einmal exakt ausgeschnitten, der gemusterte Hintergrund des Druckblatts ist noch sichtbar.

Und das Schönheitsideal hatte sich auch längst gewandelt: Der europäische Frauentyp, wie ihn Reklamebilder transportierten, war auch im Reich der Mitte in. (Karin Dütsch)

Information: Bis 19. Januar. Museum Fünf Kontinente, Maximilianstraße 42, 80538 München. www.museum-fuenf-kontinente.de

 

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