Kultur

Lima, eine Stadt in der Wüste: Luftaufnahme von informellen Siedlungen am Fuße der Anden in Lima, 2012. (Foto: Evelyn Merino-Reyna)

14.07.2017

Grausige Idylle

Das Architekturmuseum der TU München zeigt in Fotografien die Kehrseiten massiver Verstädterung

Jetzt gibt es Schockbilder also nicht nur auf Zigarettenschachteln, sondern auch im Kunsttempel. So bei der Ausstellung draußen/out there, die das Architekturmuseum der TU München in der Pinakothek der Moderne präsentiert: Gleich beim Betreten der Schau steht man vor dem Riesenfoto eines leblosen Flusses zwischen Tropenvegetation, an dessen Ufern sich ekelerregende Müllberge dahinziehen. Fehlt nur noch ein Warnhinweis in der Art „Achtung! Diese Ausstellung will Ihr Weltbild verändern.“ Denn laut Untertitel soll es hier um „Landschaftsarchitektur auf globalem Terrain“ gehen, und da denkt unsereiner natürlich an Parks, weite Rasenflächen, sanfte Hügel, üppige Blütenpracht. Aber weit gefehlt! Mit solchen Kleinbürgeridyllen von gestern macht diese Ausstellung radikal Schluss. Schonungslos, wie’s ihre Art ist, zertrümmern die weltläufigen Kuratoren unseren naiven Provinzlerglauben ans Gute, Wahre und Schöne.

Unwirtliche Bauplätze

Denn Landschaft, erfährt man, ist heute vor allem Stadtlandschaft: „Wir erleben derzeit die größte Verstädterungswelle, die die Menschheit je gesehen hat“, erklärt Christian Werthmann, Professor für Landschaftsarchitektur in Hannover und einer der Kuratoren der Schau. Weil aber all die Zuzügler vom Land in der Stadt irgendwo wohnen müssen, errichten sie im Eigenbau notdürftige Behausungen.
Als Platz für diese „informellen Bauten“, wie man Slums vornehm nennt, kommen meist nur Flächen infrage, die deshalb noch frei sind, weil man dort eigentlich gar nicht wohnen kann: Überschwemmungsgebiete von Flüssen wie in Jakarta (Indonesien) oder bergrutschgefährdete Hänge wie in Medellín (Kolumbien). Ein weiteres Hauptproblem neben diesen lebensgefährlichen Standorten ist der Mangel an „Entsorgungs-Infrastruktur“: Nicht nur die Slums, auch die Häuser der Reichen haben oft keinen Kanalisationsanschluss, was dann selbst im Urlaubsparadies Bali dazu führt, dass zur Traumkulisse eine buchstäblich beschissene Kehrseite gehört: Was im Luxushotel oben in die Toilette geht, wird unten einfach ins benachbarte Reisfeld gespült. Guten Appetit! Aber es gibt Hoffnung. Denn die Schau zeigt auch, wie unsere wackeren Landschaftsarchitekten all diese Probleme in fernen Erdteilen erfolgreich angehen. Da erfährt man, dass im chinesischen Changde dank deutscher Nachhilfe das „Schwammstadt-Konzept“ verwirklicht ist, bei dem Abwasser durch einen Pflanzenfilter geklärt wird, der zugleich als erholsamer Uferpark entlang des städtischen Flusses dient.
Um andere Wasserprobleme geht es hingegen in Lima, denn die Hauptstadt Perus ist „die trockenste Megacity der Welt“. Um dem Wassermangel abzuhelfen, hatten findige Landschaftsarchitekten die Idee mit den „Nebelfängern“, aufgespannten feinen Netzen, die Feuchtigkeit aus dem reichlich vorhandenen Nebel in Lima filtern. Insgesamt wirkt die Schau trotz edler Vitrinen und Topografiemodelle also eher wie eine Dokumentation avancierter Entwicklungsprojekte. Obwohl dergleichen schwer auszustellen ist und leicht so trocken wirkt wie der Boden in Lima, weil der Besucher ohne Lektüre nichts kapiert, vermitteln Fotos und Filme doch auch einen recht sinnlichen Eindruck. Dazu gibt es attraktive Exponate wie „typische Haushaltsabfälle“ – oder einen alten Damenschuh von einer Müllkippe bei Madrid. Dort existiert nämlich seit 60 Jahren das größte Slumgebiet Europas, dessen Bewohner (zu denen neuerdings auch immer mehr verarmte Mittelstandsbürger zählen) vom Müllsammeln und -recyceln leben. Eine Nachricht, die mindestens so erschreckend wirkt wie Schockbilder. (Alexander Altmann) Information: Bis 20. August. Architekturmuseum der TU München in der Pinakothek der Moderne, Barer Straße 40, 80333 München. Tgl. außer Mo. 10-18 Uhr, Do. 10-20 Uhr. www.architekturmuseum.de Abbildung:
Wohin mit dem Müll? Im indonesischen Jakarta lagert man ihn am Ciliwung River ab. (Foto von 2001: Jörk Rekittke)

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