Kultur

Cengiz Görür, Pascal Fligg und Mauricio Hölzemann in den „Goldberg-Variationen“, die eine herrliche Satire auch auf den Theaterbetrieb sind. (Foto: Arno Declair)

31.07.2020

„Griaß eich, es freut mich, dass wir wieder anfangen“

Das Münchner Volkstheater beginnt vorzeitig die neue Saison mit George Taboris „Goldberg-Variationen“ und Laura Naumanns „Das hässliche Universum“

Eine Amsel singt, Gerüche von der nahen Brauerei ziehen einem in die Nase, der Wind raschelt in den Blättern: Freilufttheater ist immer eine reizvolle, aber auch heikle Angelegenheit. Ähnlich wie bei Kindern und Tieren auf der Bühne, kommt die Kunst gegen das Ablenkungspotenzial der Natur nur schwer an.

So ist es auch diesmal im Innenhof des Münchner Volkstheaters, wo Hausherr Christian Stückl Die Goldberg-Variationen inszenierte, George Taboris 1991 uraufgeführte, herrlich unkorrekte Religions- und Kunstgroteske. Und ist es nicht zu verständlich, dass Stückl damit quasi einen biblischen Stoff gewählt hat? Nachdem sich heuer schon seine Oberammergauer Passionsspiele verflüchtigten, darf man es ihm ruhig gönnen, wenn er wenigstens im Volkstheater ein bisschen Kreuzigung spielt.

„Es ist vollbracht“, hätte er also sagen können – oder aber „zefix Halleluja“, doch stattdessen wandte Stückl sich mit den Worten „Griaß eich, es freut mich, dass wir wieder anfangen“ ans Publikum und eröffnete damit die neue Spielzeit am Volkstheater. Deren Beginn hat der Intendant umständehalber in die sonst spielfreie Sommerzeit vorverlegt. Denn wer weiß schon, was im Herbst kommt und welche Überraschungen die Seuche sowie Ritter, die uns vor ihr retten, noch bereithalten.

Da saß das Publikum also (einzeln oder zu zweit) in recht entspannter Atmosphäre an locker verteilten Tischchen und blickte auf eine Bühne unter freiem Himmel, die als Bühnenbild eine Bühne im Theater zeigt. Hier kobolzt Regisseur Jay (Pascal Fligg zwischen Despot und beleidigter Leberwurst) bei der Probenarbeit herum, denn er will die ganze Bibel inszenieren, von Adam und Eva bis Golgatha. Klar, dass dieser größenwahnsinnige Plan ins Chaos mündet, zumal sein Ensemble aus zickigen Diven beiderlei Geschlechts besteht (Timocin Ziegler, Luise Deborah Daberkow als „Provinzduse“) oder aus ehrgeizigen Nachwuchsmimen (Cengiz Görür).

Regieassistent Goldberg schließlich (Mauricio Hölzemann als halbgläubiger Jude mit Kippa), der ewige Handlanger, hat die ganzen Aggressionen des Dauerunterschätzten aufgestaut.

Kämpfe und Krämpfe

Die biblische Schöpfung mit der Kunstschöpfung auf der Bühne kurzzuschließen ist ein genialer Komödientrick und ergibt eine teils großartige, teils (wie öfter bei Tabori) etwas schlampig ausgeführte Satire auf den Theater- und Probenbetrieb, auf die Eitelkeiten, Egomanien, Empfindlichkeiten aller Beteiligten.

Aber das Stück ist beiläufig auch eine illusionslose Schilderung jener Machtverhältnisse, Kämpfe, Krämpfe und Abhängigkeiten, die im Theater noch greller zutage treten als in jeder anderen hierarchischen Struktur – von der Firma bis zur Familie.

Die saftige, typische Stückl-Inszenierung mit farbigem Licht und spritzendem Gartenschlauch, die man an diesem Abend zu sehen bekommt, ist sicher nicht die fulminanteste Aufführung, die das Stück bisher erlebte; dazu fehlt es an Tempo und boulevardeskem Hochdruck, auch ein bisschen mehr Irrwitz, ein paar zusätzliche Drehungen an der Absurditätsschraube hätten nicht geschadet.

Aber vielleicht macht doch der Zwang, Abstand zu halten, manches an körperlicher Aktion unmöglich, was eben sehr wohl nötig wäre, um Rumsteh-Theater zu vermeiden. Aber es wäre auch keine Lösung, im Gegenzug die Abstandsregeln szenisch ostentativ auszustellen, quasi ein grelles Theater der Distanz vorzuführen, weil dadurch jede Inszenierung bloß monothematisch auf einen Reflex der aktuellen Situation eingeengt würde. Dass man in dieser Situation nicht die gleichen ästhetischen Maßstäbe anlegen kann wie unter Normalbedingungen, versteht sich von selbst. Die sogenannte neue Normalität ist eben gerade keine Normalität, und dass dies (ungewollt) in der Kunst direkt sichtbar wird, scheint so dringend geboten wie folgerichtig.

Insofern war Stückls Saisonauftakt doppelt erfreulich: zum einen, weil wieder Theater gespielt wurde, noch dazu ein witziges, anregendes Stück. Zum anderen, weil sich zeigte, dass die Kunst, auch wenn sie leicht stolpert und ruckelt, eben darin viel wichtigere, weil wahrhaftigere Einsichten zu artikulieren hat als jede Talk- oder Newsshow.

Fulminante Untergangsfarce

Von der biblischen Genesis ist es nur ein geistiger Katzensprung zum naturwissenschaftlichen Universum – und damit zur zweiten Premiere am Volkstheater innerhalb weniger Tage: Das hässliche Universum heißt Laura Naumanns Untergangsfarce von 2017, die – nicht im Freien – die israelische Regisseurin Sapir Heller als wunderbar absurde, rasante Social-Media-Revue auf die Bühne brachte.
„The Goodbye Show“ steht in rosa Neonschrift über der Szene, die ansonsten bis zur Brandmauer offen und ziemlich leer ist. Dafür kommen einem die vier Gestalten (oder sind es Avatare?), die hier ein fulminantes Schauspielfeuerwerk zünden, irgendwie bekannt vor: Vincent Sauer sieht aus wie Freddie Mercury von Queen, Nina Steils ähnelt stark der Malerin Frida Kahlo, Silas Breiding ist ein blonder Siegfried, der sein Schwert am Klavier ablegt, ehe er schwungvoll in die Tasten greift, und Anne Stein soll mit Cowboystiefeln, Atombusen und Blondmähne vermutlich die Countrysängerin Dolly Parton darstellen. Natürlich nur rein äußerlich, denn die vier geben abwechselnd eine „alleinerziehende Mutter mit drei Kindern“, einen „engagierten Bürger“ oder ähnliche pseudosoziologische Klischeefiguren der Gegenwart.

Dementsprechend konfektioniert sind auch die Chat-Phrasen („voll schön, wie ihr alle dabei seid“, „irgendwie ist es auch ergreifend“), mit denen sie kommunizieren, sodass folgerichtig alles in einer veritablen Götterdämmerung samt Weltenbrand endet. Großes Theatervergnügen, das noch dadurch gesteigert wird, dass jede zweite Stuhlreihe fehlt: Welch ein befreites Sitzgefühl!
(Alexander Altmann)

Abbildung: Sieht so aus, ist er aber nicht: Vincent Sauer ähnelt Freddie Mercury in der Social-Media-Revue „Das hässliche Universum“.    (Foto: Arno Declair)   

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