Kultur

Sprecherkarte (Ausschnitt) von Josef Stolzing-Cerny. (Foto: Staatsarchiv München)

15.01.2016

Herr Staatsfeind

Archivexperte Peter Fleischmann hat die Landsberger Häftlingsakte von Adolf Hitler ausgewertet


Lange Zeit war er verschollen, erst vor wenigen Jahren auf einem Flohmarkt aufgetaucht, aus dem Auktionshandel gerettet und als deutsches Kulturgut unter Schutz gestellt: der Personalakt Hitlers aus seiner Haftzeit in Landsberg am Lech. Archivexperte Peter Fleischmann hat ihn ausgiebig analysiert. Der Putsch am 8./9. November 1923 war misslungen, die Flucht und der Unterschlupf in Uffing hatten nichts genützt – Adolf Hitler wurde gefasst. Er wurde in Schutzhaft genommen – das bedeutet nicht, dass man ihn, sondern den Staat vor ihm schützen wollte. Eigentlich hätte er wegen Hochverrat vor den Staatsgerichtshof in Leipzig gestellt werden müssen, doch Bayern hatte den Prozess an sich gezogen. Letztlich erhielt er fünf Jahre Festungshaft, das Urteil sah die vorzeitige Entlassung nach sechs Monaten vor, Hitler posierte vor den Anstaltstoren dann neun Monate später. Der „Staatsfeind Hitler“ wurde in Landsberg inhaftiert, registriert als Häftling Nr. 45. Auch für ihn legte man natürlich eine Haftakte an. Peter Fleischmann hat sie ausgiebig analysiert und nun eine kommentierte Edition herausgegeben. Fleischmann war von 2010 bis 2012 Leiter des Staatsarchivs München, wo die Hitler-Akte aufbewahrt wird, jetzt ist er Chef des Staatsarchivs Nürnberg.

Zehn Tage Hungerstreik

Schon nach drei Tagen in der Landsberger „Festung“ wechselte Hitler in den Status eines Untersuchungshäftlings. Er war schnell frustriert und trat in einen zehntägigen Hungerstreik. Fünf Kilogramm weniger – doch bis April hatte er schon wieder ordentlich zugelegt: 73 Kilogramm wog er bei Einlieferung, 68 am Ende des Hungerstreiks und im Frühjahr 1924 gar 77 Kilogramm (bei 175 cm Körpergröße). Kein Wunder: Schmalhans saß bei Hitler nicht mit auf der Zellenpritsche. Er war nämlich in „Ehrenhaft“ und musste sich deshalb nicht mit dem Essen aus der Gefängnisküche begnügen. Vielleicht hätte die ihm ernährungsphysiologisch zwischendurch ganz gut getan? Zwei bis drei Flaschen Bier täglich (ein Liter auf eigene Rechnung war erlaubt), andauernd Spiegeleier, 34 Kilogramm Butter, 45 Kilogramm Zucker –  und das in der Zeit zwischen Juli und Dezember 1924.

Zu viele Besucher

Auch solche Aufzeichnungen sind in der aufgetauchten Haftakte vermerkt, genauso der amtsärztliche Befund „linksseitiger Kryptochismus“: Der linke Hoden war im Hodenkanal eingeschlossen – ein häufiger Grund für Zeugungsunfähigkeit. Neben Daten zu seinem Gesundheitszustand enthält die Akte eine Menge anderer Belege dafür, wie es Hitler in der neunmonatigen Haft erging. Aufschlussreich sind die Sprechkarten, aus denen man rekonstruieren kann, wer ihn besuchte. Es waren zu viele Gäste – doch der Landsberger Gefängnisdirektor Otto Leybold drückte aus Sympathie einmal mehr die Augen zu. Schließlich wurde es Hitler selbst zuviel: Über die völkische Presse verkündete er einen Stopp seiner Empfänge. Peter Fleischmann hat die Besucherdaten ausgewertet: Jeder Zweite Gast kam aus München, 80 Prozent aus Bayern – darunter auch viele „einfache Leute“, vor allem aber Parteibonzen und namhafte Unterstützer des „Staatsfeindes“. Wie verbrachte Hitler seinen Gefängnisalltag? Das Prinzip der Ehrenhaft erlaubte eine wohnliche Einrichtung der Zellen, auch Anstaltskleidung musste nicht getragen werden. Und so sieht man in Fotografien, die heute in der Staatsbibliothek München archiviert sind, den Häftling Hitler auch mal in Tracht beim Spaziergang im Garten der Anlage, mal beim gemütlichen Zeitungslesen, mal an einem Tisch mit Tischdecke und Blumen in trauter Runde mit anderen abgeurteilten Putschisten wie Hermann Kriebel und Rudolf Heß, auch sein Chauffeur Emil Maurice ist ihm stets zur Seite.

Krude Gedankenarbeit

Schwerarbeit hatte „Herr“ Hitler – wie er laut Bestimmungen für Ehrenhäftlinge angesprochen werden musste  – nicht zu verrichten: Es herrschte kein Arbeitszwang. Hitler leistete vor allem Gedankenarbeit, recht krude: Während seiner Haftzeit in Landsberg begann er Mein Kampf zu schreiben. Für Heß und Maurice gab es daraus abendliche Vorlesungen. Hitler verfasste auch Briefe – natürlich mussten sie von der Gefängnisleitung kontrolliert werden. Viele wurden hinausgeschmuggelt, einige wurden abgefangen – auch sie sind in der Personalakte Hitlers erhalten. Aber nicht alles, was in dem gerade noch rechtzeitig vor dem Auktionsverkauf geretteten Konvolut heute enthalten ist, gehörte ursprünglich und offiziell in eine solche Haftakte. Vermutlich hat derjenige, der das Dokument in den Fünfzigerjahren aus der JVA entwendet hat, noch einige „Devotionalien“ des prominenten Häftlings mit dazu getan. „Bereinigt“ wird die Haftakte aber nicht, sie wird so, wie sie heute ist, im Staatsarchiv München aufbewahrt, wo Teile daraus derzeit in einer Ausstellung zu sehen sind. Das Staatsarchiv München hat übrigens die Haftakten auch von anderen Putschisten, die in Landsberg inhaftiert waren – sie waren nie entwendet worden. Auch die Haftakte Hitlers, die von der Staatsanwaltschaft angelegt wurde, ist dort archiviert. (Karin Dütsch) Ausstellung bis 29. Januar im Staatsarchiv München, Schönfeldstraße 3, 80539 München, Mo. bis Do. 8.30-16 Uhr, Fr. 8.30-13.30 Uhr. Peter Fleischmann (Hg.), Hitler als Häftling in Landsberg 1923/24, 552 Seiten, 59 Euro. Ph. C. W. Schmidt Verlag, Neustadt an der Aisch. ISBN 978-3-87707-978-2 Abbildung:
Eine Nobelkarosse für Hitler am Tag seiner Haftentlassung.   (Foto: dpa)

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