Kultur

Moderne Dienste rund um die Altertumsforschung: Für einen entsprechenden Fachinformationsdienst bekommt die Bayerische Staatsbibliothek DFG-Förderung. Auf unserer Fotomontage haben wir der Entwicklung schon mal vorgegriffen und Thukydides, den Begründer der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung, und Homer, den Dichter der „Odyssee“ mit Tablets ausgestattet, damit das Erforschen der Geschichtsschreibung künftig besser läuft. Die beiden Statuen gehören zu dem Figuren-Quartett am Eingang der Staatsbibliothek. (Fotos: Bayerische Staatsbibliothek, Dütsch, Montage: Paetzmann)

29.01.2016

Homer muss umdenken

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat ihre Förderpolitik für Bibliotheken radikal geändert – künftig zählt vor allem der Servicegedanke

Aus ist’s mit dem liebgewordenen Selbstläufer: Es gibt kein Geld mehr für  Sondersammelgebiete an Bibliotheken. Stattdessen fördert die Deutsche Forschungsgemeinschaft Fachinformationsdienste. Die Bibliotheken sollen ihren Bestand nicht mehr ausbauen, sondern für die Spitzenforschung modern aufbereiten. Der erste Aufruhr über die „E-Policy only“ hat sich gelegt. Die Bayerische Staatsbibliothek profitiert sogar von der Neuerung. Das Buch stirbt – und damit die Bibliothek. Mit „Stoff“ unterversorgt, verkümmern auch ganze Wissenschaftszweige, allen voran jene, die sich mit Geistes-, Sozial- und Kulturgeschichte befassen.
Nein, zu diesem Menetekel apokalyptischen Ausmaßes ist es nicht gekommen – die Wogen haben sich geglättet, seitdem die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) angekündigt hat, ihre Förderprinzipien auf den Kopf zu stellen: Geld kriegen Bibliotheken nicht mehr für die Bestandsmehrung, sondern für Serviceleistungen. Das rührt am Selbstverständnis – der Förderer, mehr noch der Geförderten. „Wir sind ganz glücklich“, sagt aber Klaus Ceynowa, der mit seinem Haus einer der am meisten Betroffenen vom Paradigmenwechsel ist: Er ist Chef der Bayerischen Staatsbibliothek – diese ist eine der ganz großen „Wissensspeicher“ in Deutschland, und von Anfang an regelmäßig von der DFG gefördert. Auch jetzt noch: 6,8 Millionen bekommt sie in den nächsten drei Jahren: „Das ist mehr, als wir früher von dort bekommen haben“, freut sich der Generaldirektor.

Notgemeinschaft wollte Lücken schließen

Nach einer Übergangsphase sind zum Jahreswechsel endgültig aus den von der DFG so titulierten Sondersammelgebieten (SSG) Fachinformationsdienste (FID) geworden. Es ist keine bloße Umbenennung. Die SSG waren im Nachkriegsdeutschland ins Leben gerufen worden, um gravierende Lücken in der internationalen Wissenschaftsliteratur zu schließen. Großer Leitgedanke war, eine vollständige Sammlung mit Werken für hochspezialisierte wissenschaftliche Disziplinen aufzubauen – ein Werk sollte zumindest einmal in Deutschland vorhanden, erschlossen und überregional ausleihbar sein. Das ergab eine Art verteilte, virtuelle Nationalbibliothek. Zum Schluss waren daran 36 Bibliotheken mit 110 Sammelschwerpunkten beteiligt – die DFG förderte davon 27 Bibliotheken mit 86 Sondersammelgebieten. Gut 75 Prozent der Erwerbungskosten konnten aus DFG-Mitteln bestritten werden – allerdings durften damit eben nur ausländische Titel angeschafft werden. Den Rest, vor allem für die Versorgung mit deutschen Veröffentlichungen, mussten die Institutionen selbst tragen. Das System funktionierte fünf Jahrzehnte hervorragend, deckte Fächer und Regionen gleichermaßen gut ab. Dann die „digitale Revolution“ – die DFG ließ in den Jahren 2010/11 ihre Förderpraxis evaluieren. Das Ergebnis: Der zunehmend digitale „Content“, die elektronischen Medien und das wissenschaftliche Arbeiten mit ihnen konnten im SSG-System nicht mehr abgedeckt werden. Das betraf vor allem die „jüngeren“ naturwissenschaftlichen Disziplinen – es schien, als wären die SSG in erster Linie für die Geisteswissenschaften da. Die DFG erarbeitete recht schnell eine neue Strategie und nannte sie „Fachinformationsdienste für die Wissenschaft“. Zunächst schien es so, als ob der Spieß umgedreht würde: „E-Policy only“ wurde als neue Leitlinie ausgegeben, die Bibliotheken sollen sich vornehmlich um elektronische Titel bemühen. Aber die Forschungslandschaft ist inhomogen, was den Umgang mit Medien angeht: Die Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften sind noch immer mehr vom Print geprägt. Würden sie also zu lästigen, vernachlässigten Stiefkindern der DFG-Alimentation werden?

Geld gibt es jetzt auch für Personal und Technik

Die DFG verabschiedet sich von folgenden grundlegenden Prinzipien: • Gefördert wird nicht mehr regional flächendeckend – es braucht quasi nicht an jeder Ecke einen Leuchtturm.
• Vorsorgender Bestandsaufbau und Vollständigkeit sind Kriterien von Gestern. Freilich gibt es noch immer Mittel für den Erwerb von Printobjekten, nur eben nicht mehr prioritär. Die Argumentation für einen Titel, der aller Wahrscheinlichkeit nach vielleicht erst nach vielen Jahren seinen ersten Leser findet, wird schwer. Angesichts der auch im wissenschaftlichen Publizieren herrschenden Informations- und Datenfülle ist es ohnehin utopisch, jemals einen vollständigen Bestand erreichen zu können. Jetzt heißt es: Der Forschung den zeitgemäß strukturierten Zugang zur Informationsfülle zu schaffen – und zwar eng ausgerichtet an der aktuellen und konkreten Nachfrage aus der Wissenschaft.
Dazu wurden die Bestimmungen erweitert: Jetzt dürfen auch in Deutschland erschienene Titel erworben werden, freilich nur für die Spitzenforschung, also keine Lehrbücher oder Werke für die Grundlagenforschung. Eine gravierende Auswirkung der Änderung: Die Verlässlichkeit der Reservoirfunktion eines „Wissensspeichers“ ist dahin.„Nehmen wir zum Beispiel die Osteuropaforschung“, erklärt Klaus Ceynowa: „Die ist kein Massenfach und noch sehr vom Print bestimmt. Es ist oft nicht einfach, an einschlägige Forschungsliteratur zu kommen. Die entsprechende Verlagslandschaft ist sehr kleinteilig, die Titel gibt es meist nur in äußerst kleinen Auflagen, und die sind schnell vergriffen. Da kann es auch mal vorkommen, dass ein Mitarbeiter vor Ort sich die Titel organisiert und im Koffer hierher bringt.“

Mit Wissenschaftlern Projekte austüfteln

• Gefördert werden nicht pauschal Sammlungsgebiete wie „Vor- und Frühgeschichte“ oder „Geschichte Frankreichs und Italiens“ (beide ehemalige SSG an der Bayerischen Staatsbibliothek) – jetzt müssen konkrete Projekte definiert werden. Und bei denen geht es um einen Mehrwert – in Form von Diensten. • Das ist personalintensiv: DFG-Mittel dürfen deshalb auch für Personal, Software und technische Infrastrukturmaßnahmen hergenommen werden; früher war das nicht möglich. An der Bayerischen Staatsbibliothek können so nun beispielsweise ein Portal zur Technik- und Wissenschaftsgeschichte, eine Rezensionsplattform speziell für die Landesgeschichte, eine nationale Aufsatzdatenbank für die Osteuropaforschung sowie Services zum elektronischen Publizieren und zur Archivierung von Forschungsdaten der geförderten Fächer entwickelt werden. „Das entspricht“, so Klaus Ceynowa, „exakt unserem Mantra: Content in Context – also die Integration wissenschaftlicher Fachinformation in innovative digitale Dienste.“

Großer Frust bei den ersten Anträgen

In der ersten Antragsrunde 2013 lehnte die DFG-Genehmigungsgremium sieben von zwölf Einreichungen ab. Der Aufruhr war groß. In den Geistes- und Kulturwissenschaften grummelte man: Was sollen Dienste ohne Inhalte? Lieber doch umgekehrt! Beispielhaft das Problem der Bayerischen Staatsbibliothek: Der Antrag zur Musikgeschichte, einem traditionellen SSG an Europas größter musikwissenschaftlichen Bibliothek, fiel zwar nicht komplett durch, wurde aber grob zusammengestutzt. Die BSB hatte natürlich die geforderte Nachfrage der Wissenschaft dargelegt – der einschlägige Fachbeirat hatte befunden, dass der Disziplin weiterhin am meisten mit dem konsequenten Bestandsaufbau gedient ist. Doch genau das entsprach nicht mehr den neuen DFG-Richtlinien. Mittel von dort gibt es allerdings für den Aufbau des virtuellen Archivs. Pauschale Bilanz: Nach Änderung der DFG-Förderpraxis ist der Etat für Erwerbungen um bis zu 30 Prozent geschrumpft. „Wir haben lernen müssen“, sagt Klaus Ceynowa. Das SSG-Förderprinzip mit seinen jährlichen Förderanträgen sei quasi ein ritualisierter „Selbstläufer“ gewesen und habe die Solidarität in der Bibliothekslandschaft befördert – nun müssten die Bibliotheken findig (und zeitintensiv) immer neue Projekte austüfteln und damit gegeneinander ins Rennen um Unterstützung gehen. Zum Start der neuen DFG-Förderpolitik durften die ehemaligen SSG-Institutionen unter eine Schutzglocke: Mit ihren ersten Anträgen und den Folgeanträgen nach drei Jahren müssen sie noch nicht Konkurrenz fürchten – doch dann ist es vorbei mit dem Privileg: Dann kann es prinzipiell passieren, dass auch einmal die BSB mit ihren Projekten zur Musikwissenschaft leer ausgeht und eine bis dahin in diesem Fach eher unbeschlagene Bibliothek den Zuschlag für ein Projekt bekommt. „Natürlich können und wollen wir unser über Jahrzehnte aufgebautes Profil nicht von einzelnen Projekten abhängig machen und alle paar Jahre neu ausrichten“, sagt Klaus Ceynowa. „Wir sind auch ohne DFG-Förderung verpflichtet, bestimmte Gebiete fortzuführen, allerdings dann aus Eigenmitteln. Und das bedeutet definitiv: nicht so umfangreich.“ So hat die BSB aus eigenem Etat die musikwissenschaftliche Bestandserweiterung bestritten, als die DFG teilweise aus diesem Posten ausgestiegen ist. Klar, dass die 130.000 Euro dafür per anno an anderer Stelle schmerzlich fehlen. Die Bayerische Staatsbibliothek hat sich deshalb noch strenger als schon zuvor selbst evaluiert: Was wird kaum nachgefragt, was ist andererseits stets vergriffen? Auf welche Beschaffung kann verzichtet werden, weil der Titel anderswo vorgehalten wird? Auch was die Personalpolitik angeht, müssen sich Bibliotheken auf Veränderungen einstellen: „Die Tendenz zu mehr projektbezogenen, also zeitlich befristeten Verträgen wird noch mehr zutage treten“, ist sich Klaus Ceynowa sicher. „Natürlich kann man einen Fachreferenten für Musikwissenschaften nicht einfach Apps für die Osteuropaforschung programmieren lassen. Mit freien Mitarbeitern können wir da besser reagieren. Insgesamt können wir uns durch das FID-System sogar mehrere neue Stellen mit Zeitvertrag leisten.“

Drohen die Kleinen auf der Strecke zu bleiben?

Ständig neue Projekte gemeinsam mit Wissenschaftlern erarbeiten – ein großes Haus wie die Bayerische Staatsbibliothek mit den großen Exzellenzuniversitäten im Rücken tut sich mit dem neuen Management leichter als kleinere Bibliotheken. Die Unibibliotheken in Saarbrücken und Erlangen-Nürnberg zum Beispiel konnten und wollten nach den neuen Spielregeln nicht mehr mithalten: Traditionell wurden sie als SSG in den Fächern Philosophie und Psychologie unterstützt. Ihre Ressourcen reichen aber nicht aus, um jetzt Dienstleister für Spitzenforschung zu sein, die vielleicht gar nicht mal an ihrem Heimatstandort stattfindet. Ihre Universitäten machen da nicht mit. „Jetzt liegen diese Fächer auf der Straße“, sagt Klaus Ceynowa. Einen Hintergedanken gibt er preis: „Vielleicht können wir da zumindest partiell über andere Förderer einspringen?“

Auch die Großen suchen Kooperationspartner

Damit sich das FID-System letztlich nicht zum (mehr oder weniger) eleganten Werkzeug entwickelt, die Zahl der Antragsteller auszudünnen, sodass sich die Förderung auf die „happy few“, die wenigen großen Institutionen konzentriert, müssen sich die Bibliotheken mehr zusammentun. Derzeit sind 31 Institutionen am FID-System beteiligt – zwölf davon sind Kooperationsprojekte. Auch die Bayerische Staatsbibliothek gehört dazu: In zwei der aktuell vier geförderten FID arbeitet sie mit der Uni Heidelberg und dem Deutschen Museum zusammen. (Karin Dütsch)

DFG: Mächtiger Verein
Als „Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft“ 1920 gegründet, wurde 1929 aus ihr die „Deutsche Gemeinschaft zur Erhaltung und Förderung der Forschung“, kurz (Deutsche) Forschungsgemeinschaft – um 1949 erneut als „Notgemeinschaft“ wiederbegründet zu werden. Zeitgleich wurde der wissenschaftspolitisch orientierte Deutsche Forschungsrat ins Leben gerufen. 1951 taten sich beide Organisationen zur Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zusammen.
Die DFG ist ein gemeinnütziger Verein (Geschäftsstelle in Bonn), getragen wird er von Bund und Ländern. Der „Pakt für Forschung Innovation“ (2005) garantiert der DFG – wie auch anderen außeruniversitären Einrichtungen – eine Etatsteigerung von jährlich drei Prozent. 2014 vergab die DFG Fördermittel in Höhe von 2,73 Milliarden Euro für: Einzelprojekte, Verbundprojekte (Forschergruppen, Graduiertenkollegs, Sonderforschungsbereiche, Forschungszentren) sowie Infrastruktur. Im Fokus steht auch die Nachwuchsförderung. Antragsberechtigt sind Institutionen, aber auch einzelne Wissenschaftler (ab der Promotion).
Entscheidendes Gremium der DFG ist der Senat (39 der 96 Mitglieder) mit seinen Kommissionen und Ausschüssen – dort wird die Wissenschaftspolitik der DFG bestimmt und die Mittelvergabe entschieden. >

Info: www.dfg.de

FID-Mittel für die Staatsbibliothek
Mit drei Anträgen und folgendem Dienstleistungsangebot war die Bayerische Staatsbibliothek in der aktuellen Förderstaffel erfolgreich:

Im FID Altertumswissenschaften – Propylaeum baut sie gemeinsam mit der Unibibliothek Heidelberg ein zeit- und medienübergreifendes Informationsangebot auf.

Beim FID Geschichtswissenschaft arbeitet sie mit dem Deutschen Museum zusammen und will ein Fachportal für regional übergreifende Fragen aufbauen. Er sollen Serviceleistungen entstehen, die dann aber nicht nur der Technikgeschichte, sondern der gesamten geschichtswissenschaftlichen Forschung zugutekommen.

Der FID Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa ist die große Stärke der BSB – hier müssen mehrere wissenschaftliche Disziplinen bedient werden. Die BSB will die Infrastruktur noch breiter aufstellen und modernisieren. >

Info: Eine Übersicht über alle aktuell geförderten FID-Projekte unter: http://www.dfg.de/download/pdf/foerderung/programme/lis/uebersicht_laufende_fid_projekte_2016.pdf

Abbildung:
Klaus Ceynowa ist seit einem Jahr Generaldirektor der Bayerischen Staatsbibliothek. Er sieht in der DFG-Neuausrichtung viel Gutes. (Foto: Bayerische Staatsbibliothek)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Soll das Gesetz für mehr Barrierefreiheit gelockert werden?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
X
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2024

Nächster Erscheinungstermin:
28. November 2025

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 29.11.2024 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.