Kultur

Maximilian Pulst als Don Carlos und Lisa Mies als Eboli. (Foto: Konrad Fersterer)

21.09.2022

Ideal und Realität im Mühlrad der Geschichte

„Don Karlos“-Premiere im Nürnberger Schauspielhaus

Eine ruhige Ecke im Palacio Real von Aranjuez: Die letzten Tage in der Sommerresidenz des königlichen Hofs sind angebrochen, der Kronprinz genießt die Sonne. Aber sein Beichtvater weiß: „Wir sind vergebens hier gewesen.“ Denn das Mühlrad der Probleme hat sich auch hier weitergedreht, angetrieben von den Protagonisten in Friedrich Schillers dramatischem Gedicht Don Carlos, Infant von Spanien. Der König mit einer jungen französischen Prinzessin verheiratet, die erst seinem Sohn versprochen war, eine himmelhoch jauchzende Freundschaft dieses Carlos mit einem Marquis von Posa, der Freiheitskampf der spanischen Niederlande, eine in Carlos verliebte Hofdame, die auch vom König geliebt wird.

Was sich in den Geschichtsbüchern schon verwickelt genug liest, ist bei Schiller ein Drama, das sich in der Exposition wie ein raffiniert gestricktes, boulevardeskes Intrigenstück gibt. Dann aber Realität und Ideal, Weltpolitik und Weltanschauungen, Menschenwürde und kriegerisch-politische Kälte aufeinander prallen lässt. Im Nürnberger Schauspielhaus war die Inszenierung von Jan Philipp Gloger die Erfüllung seines Versprechens, auch mit auf heute zugeschnittenen Klassikern das Publikum wieder ins Theater zu bringen. Er hat sich für seine geschickt gekürzte Fassung, die auf das gesamte Hofschranzen-Personal verzichtet, von Marie Roth rotierende Bühnenwände bauen lassen, die von den Schauspielern vorangetrieben werden und die schnell die vielen Schauplatzwechsel ermöglichen.

Die Enge, in die sich die Kontrahenten treiben, die großen Thronsäle, die vielen Türen und auch die Beichtstühle, in denen Geheimstes ausgesprochen wird. Schiller selbst hatte in seinen „Briefen über Don Carlos“ besonders Erklärungsbedarf hinsichtlich der von ihm erfundenen Figur des Marquis von Posa gesehen. Gloger greift das geschickt auf: Der Verkünder der Menschenrechte, der Kämpfer für die Freiheit der Niederlande ist eine zwielichtige Figur. Wirklich ein Vorkämpfer der Menschlichkeit und Gedankenfreiheit oder verwirklicht er persönliche Machtspiele?

Und so ist die Rolle in Nürnberg auch nicht mit einem Heldendarsteller besetzt, sondern mit dem agilen, schlanken Yascha Finn Nolting, der sich in alle Herzen einschleicht – des Königs, der Königin, besonders in das des emphatischen Thronfolgers: „Ich brauche Liebe“, ist das Credo von ihnen allen. Maximilian Pulst, nach vier Jahren in Nürnberg inzwischen am Wiener Burgtheater, spielt ihn als Jüngling mit kaum beherrschten Emotionen, eingefallener Brust, dem man eine Rolle in der spanischen Politik wirklich nicht zutraut.

König Philipp (Janning Kahnert) ist bei Gloger ein sehr viriler, schon grauhaariger Mann, raubtierhaft und in den besten Jahren, der unter der politischen und menschlichen Einsamkeit im Escorial leidet und vom Verdacht der Untreue seiner jungen Frau getrieben ist. Vieles vom politisch-menschlichen Intrigenwerk lässt Gloger ohne imperiales Pathos und Getöse spielen, in privatem, geschäftsmäßigen Plauderton, manchmal so intim, dass man Zuflucht zu den englischen Übertiteln nimmt. Schade, dass die packende Wirkung der Schlussszene mit dem Großinquisitor verschenkt wird. Aber der lauthalse Schlussapplaus signalisiert: Glogers und Schillers Botschaft ans Publikum ist angekommen. (Uwe Mitsching)
 

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