Kultur

Judith Oswald schuf ein beeindruckendes Bühnenbild. Hier eine Szene mit Nora Buzalka und Franz Pätzold als Manuela und Abel Rosenberg. (Foto: Thomas Aurin)

06.10.2017

Im Sog des Bösen

Ingmar Bergmans „Das Schlangenei“ bleibt in der Bühnenfassung des Münchner Cuvilliéstheaters zu zaghaft

Hereinspaziert, hereinspaziert, meine Herrschaften! Im schönsten Rokoko-Zirkus der Welt, dem Münchner Cuvilliéstheater, treten auf: der Elefantenmensch, die achtfache Frau Holle sowie der Geköpfte, der singt „Gern hab’ ich die Frauen geküsst“. Die Hauptsensation des Abends ist aber das Bühnenbild von Judith Oswald. Es sieht aus, als blicke man ins Innere einer Balgenkamera: in einen schwarzen Guckkasten, einen rechteckigen Tunnel, der sich perspektivisch steil nach hinten verjüngt und durch diese Trichterform einen beträchtlichen Sog entwickelt. Um den dunklen Sog des Bösen, diesen gar schauerlichen Seelenabgrund, den wir alle in uns tragen, wir geworfenen Geschöpfe, geht es an diesem Abend. Man sieht schon, das klingt alles sehr nach Grübelei, nach Tiefsinns-Innenschau, sehr skandinavisch, fast wie Kierkegaard, wie Strindberg oder Ibsen – und die Richtung stimmt: Das Stück ist von Ingmar Bergman. Das Schlangenei heißt der Film, den der große schwedische Regisseur 1977 in München drehte. Eine Bühnenfassung dieses Films ist jetzt am Bayerischen Staatsschauspiel zu sehen, wo Bergman viele Jahre als Regisseur tätig war. Erzählt wird im Schlangenei eine Geschichte aus dem Jahr 1923, als in Deutschland Inflation herrschte und Hitler zu putschen versuchte. Sie handelt von dem Trapezkünstler Abel Rosenberg, der mit seinem Bruder Max und dessen geschiedener Frau Manuela in Berlin strandet. Aber als sich Max unerwartet erschießt und im Umfeld Abels weitere rätselhafte Todesfälle auftreten, gerät er in den Blick von Inspektor Bauer, dem Kriminalpolizisten unseres Vertrauens, der diese vermeintlichen oder tatsächlichen Morde aufzuklären versucht.
Wer der Täter ist, sei nicht verraten, denn wer den Film und also die Lösung nicht kennt, kann diese Aufführung durchaus als unterhaltsamen Bühnenkrimi nehmen. Zumal der großartige Oliver Nägele hier den Ermittler im Trenchcoat spielt.

Aufgeblähte Kolportage

Weil die Thriller-Handlung aber einerseits mit der politischen Apokalypsestimmung der frühen Weimarer Republik kurzgeschlossen und andererseits ins existenzielle Schuld- und Schicksalsdrama hochgeschraubt wird, entsteht eine ziemlich aufgebläht wirkende Kolportage, deren halbgarer Symbolismus schon dem Film nicht gut tat. Regisseurin Anne Lenk hat sich wohl bemüht, auf die Stärken des Theaters, also auf seine Künstlichkeit, zu setzen, bleibt dabei aber zu zaghaft. Zwar gelingen ihr immer wieder wunderbar surreale Tableaus, zumal der Bühnentunnel bei entsprechender Beleuchtung wie eine Folge gestaffelter Bilderrahmen aussieht, in denen Varieté-Girls (Nora Buzalka), Artisten, Beichtväter, graue Mäuse (Ulrike Willenbacher) oder Heiligenfiguren als ikonische Gespenster aufleuchten. Dennoch bleiben diese Bilder als kurze Blitze des Wahnhaften im zunehmend psychotischen Alltag der Wirtschaftskrise eingebunden in die realistische Erzählhaltung des Abends, die auch der präsente Franz Pätzold als Hauptdarsteller bedienen muss: Sein Abel Rosenberg ist ein James-Dean-hafter Kettenraucher und einsamer Wolf im Dickicht der Städte. Der Salto mortale ins Groteske gelingt dieser Inszenierung, die lieber mit Sicherheitsnetz arbeitet, nicht. (Alexander Altmann)

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