Kultur

Dichter und Spitzel treffen aufeinander: Roland Avenard und Michael Heuberger als Hrabal und Dutky. (Foto: Sarah Rubensdörffer)

12.06.2015

Im Spitzelwahn

Mia Constantine zieht die Zuschauer in Bernhard Setzweins "Hrabal oder Der Mann am Fenster" am Theater Regensburg schnell in den Bann

Da kommt an einem Wochenende allerhand Skurriles zusammen: Dass sich G7-Demonstranten im Polizeiauto zum Einsatz fahren lassen konnten, zum Beispiel. Und so eine Uraufführung wie die von BSZ-Autor Bernhard Setzweins Stück Hrabal oder Der Mann am Fenster, wo ein Spitzel immer noch observiert wird, obwohl doch das Objekt seiner Neugier längst tot ist.
Setzwein liebt solche Situationen, schreibt Stücke wie Zucker. Eine diabetische Farce – und jetzt diesen Einakter, den das Theater Regensburg am Haidplatz auf die Bühne brachte und wo der Zuschauer die ersten 20 (von 70) Minuten auf der kleinen Bühne gar nichts sieht. Jedenfalls fast nichts: höchstens ein paar Dachbodenkonturen oder Stapel von Gerümpel. Dafür hört man, wohlgemerkt live gesprochen, den Spitzel Dutky, der den Dichter Bohumil Hrabal beobachtet und jede Kleinigkeit stasimäßig dokumentiert.

Knisternde Atmosphäre

Diesen Hrabal hat es tatsächlich gegeben (1914 bis 1997). Seine Romane liegen in einer dicken Dünndruckausgabe bei Suhrkamp vor, und Bernhard Setzwein (geboren 1960 in München, lebt in Waldmünchen) war von Jugend an von ihm fasziniert. Gerade von diesem Kafkaesken, Absurd-Skurrilen, das jetzt auch sein eigenes Stück bestimmt.
Dass man sich in die Atemzüge, das Geknister auf dem Spionage-Dachboden (besonders wenn es ruhig ist, „ist gewaltig was im Busch“) nur einhört, dass man sich dabei selber wie ein Spion fühlt, war eigentlich Setzweins Absicht nicht: Er wollte sein Stück ganz normal beginnen lassen, mit Dutky leibhaftig beim Observieren und getreulich an den eigenen Regieanweisungen entlang. Aber Regisseurin Mia Constantine hat Lauschtheater daraus gemacht (Setzwein versöhnlich: „Wenn man schon Revolution im Stück propagiert, muss man auch mal was Revolutionäres hinnehmen“) – zumindest für das erste Drittel des Stücks.
Im zweiten kommt es zur Begegnung Dutkys mit der Leiterin des Tourismusbüros von Kersko – da ist Hrabal schon tot. Dutky hat sich zwar gewundert, dass er nichts von ihm sieht und hört (auch nicht von seinem Führungsoffizier in der Kreisstadt), fand aber gerade das als besonders bemerkenswert und spionagewürdig: „Nur weil sich nichts rührt, heißt das nicht, dass nichts geschieht.“ Aber da war Hrabal längst zu einem Nationaldichter geworden, dem Kersko ein Museum widmen will. Mia Constantine lässt dieses Gespräch hinter der Bühne ganz real spielen und projiziert es für den Zuschauer auf einen Gazevorhang.
Schließlich kommt es zur Begegnung Dutky/Hrabal – endlich auch auf der Bühne: Wer weiß da, wer von den beiden nun schon tot ist?
Ein Plot ist das, der es in sich hat: Anspielungen auf das Spitzelsystem nicht nur im ehemaligen Ostblock, auf den Kadavergehorsam von Befehlsempfängern wie Dutky, Skurriles in der guten alten Schwejk-Tradition. Der Ribisl-Obstwein aus der zweiten Szene gäre genauso heftig, wie der Stoff des Stücks in ihm gegärt habe, so Setzwein. Das allerdings, was Dutky über Jahre hin gesammelt hat, ist über das Küchenbuffett der Frau Nachbarin nicht hinausgekommen. Hrabal hat inzwischen Berlin und Padua besucht, die Ehrendoktorwürde bekommen – Dutky hängt immer noch am Astloch.

Die Sinne sind gefordert

Erst nach Hrabals Selbstmord (Sprung aus dem fünften Stock) lernt Dutky ihn leibhaftig kennen: „Ich hätte vielleicht doch mal eines seiner Bücher lesen sollen.“
Der Kunstgriff von Mia Constantine, drei Szenen mit drei verschiedenen Darstellungsarten zu koppeln (Hör-, Video-, Schau-Spiel) bringt ein Moment von Distanz und Verfremdung in die Vorlage. Und verschafft den Schauspielern (Pina Kühr, Roland Avenard, Michael Heuberger), auch dem Publikum ganz unterschiedliche Erwartungshaltungen und Sinneserfahrungen. Dass man sich als Zuschauer vornimmt, endlich auch mal etwas von diesem Bohumil Hrabal zu lesen, war sicherlich nicht Setzweins letzte Absicht. > uwe mitsching

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