Hätten Sie gewusst, dass einer der vielen Gründe für die Popularität des heiligen Ulrich, dessen Attribute doch Fisch und Evangelienbuch sind, in seinem wirkmächtigen Patrozinium gegen Ratten lag? Ein Säckchen Erde vom Grab des Heiligen in Verbindung mit Gebeten sorgte damals dafür, dass Gebäude von Schädlingsbefall verschont blieben.
Jede Menge kultur- und kunsthistorisch bedeutsamer Exponate, viel Staunens- und Wissenswertes hat die sehenswerte Sonderausstellung Ulrich – genial, sozial, loyal, memorial im Diözesanmuseum St. Afra Augsburg zu dem Heiligen zusammengetragen. Dieser erfuhr 923 seine Bischofsweihe, starb am 4. Juli 973 und wurde bereits 20 Jahre später heiliggesprochen. Die Ausstellung rückt, so formuliert es der Augsburger Bischof Bertram Meier im Geleitwort, das „herausragende sozialcaritative Wirken unseres Diözesanpatrons“ ins Zentrum, der Intellekt mit einer tiefen Christusbeziehung verband.
Himmlisches Zeichen
Bekannt ist das sogenannte Ulrichskreuz, das aus drei Holzpartikeln besteht, die mutmaßlich vom Kreuz Christi stammen – überreicht wurde es ihm der Legende nach während der Verteidigung Augsburgs gegen die Ungarn zwei Tage vor der berühmten Schlacht auf dem Lechfeld aus dem Himmel als Zeichen des Sieges. Um 1320 wurde es in vergoldetes Silber gefasst, weitere 170 Jahre später in ein kunstvoll graviertes, mit Perlen und Diamanten verziertes Kreuzreliquiar eingelassen – ein Goldschmiedemeisterstück und Hingucker in einer der vielen Vitrinen.
Dank bedeutender Leihgaben, die teils erstmals öffentlich zu sehen sind, kuratierte Museumsleiterin Melanie Thierbach mit ihrem Team eine facettenreiche Schau. Als ein Höhepunkt gilt ein archäologischer Schatz: ein silbernes, alt-ungarisches Pferdegeschirr vom Lechfeld, das erst 2011 auf einer Wiese rund 16 Kilometer nördlich von Augsburg entdeckt wurde.
Bereichert mit wertvollen Gemälden wie jenem zu Ulrichs Fischwunder (an einem Freitag verwandelte sich ein Bratenstück in einen Fisch), das Hans Holbein der Ältere 1512 ursprünglich als Flügelinnenseite des Katharinenaltars schuf, mit Skulpturen und liturgischen Artefakten ehrt die Sonderschau den aus hohem alemannischem Adel stammenden, an der St. Gallener Eliteschule ausgebildeten Kirchenmann, der mit seinen gut 180 Zentimetern Körpergröße als ungewöhnlich stattlich galt.
Die Ausstellung schließt ein Defizit im Kontext der 1000-jährigen Ulrich-Verehrung und überrascht mit ihren 88 Exponaten. Durch die vier Aspekte „genial, sozial, loyal, memorial“ ist sie konzeptionell und räumlich schlüssig gegliedert. Das Publikum ist eingeladen, mögliche Antworten auf die ins Zentrum gestellte Frage zu finden, ob sich Ulrich, der „Vorzeigebischof“, mit seiner 50-jährigen Amtszeit heute als Person mit individuellen Charakterzügen begreifen lässt. Die Vita aus der Feder von Ulrichs Mitarbeiter, dem Dompropst Gerhard, macht den ruhmreichen Augsburger Bischof zu einer der wenigen gut erforschten Figuren aus ottonischer Zeit. Aussagekräftige Episoden seiner Vita finden sich insbesondere in barocken Freskenmalereien und spätmittelalterlichen Handschriften. Da Erstere nicht ins Museum zu transferieren sind, nutzte die Kuratorin vor allem die fein illustrierte und aus der Bayerischen Staatsbibliothek entliehene Handschrift aus dem Benediktinerkloster St. Ulrich und Afra aus dem Jahr 1454 als roten Faden. Raffiniert auch als Digitalisat ist sie ein sinnreiches Leitobjekt und gehört mit den 22 Federzeichnungen zum Leben Ulrichs zu den umfangreichsten szenischen Zyklen.
Kampf oder Gebete?
Welche Netzwerke knüpfte und nutzte Ulrich an der Seite von König Otto I. und wie relevant war seine Rolle im Kontext der epochalen Schlacht auf dem Lechfeld im Jahr 955? Bis heute streiten sich die Gelehrten darüber, ob er gekämpft oder gebetet hat. Reichsbischöfe waren damals geistliche Leiter und Hirten ihres Bistums, andererseits mussten sie weltliche Aufgaben als Landesherren in der Verwaltung ihrer Hochstifte übernehmen. „Aus heutiger Sicht ist dieser bis zum Kriegsdienst reichende Aufgabenbereich im Blick auf das Evangelium und die Botschaft Jesu gewiss nicht ideal“, bemerkt Domkapitular Thomas Groll im lesenswerten, knapp 400 Seiten starken Ausstellungskatalog. Darin, ebenso in den vielen Themenführungen und Vorträgen des Rahmenprogramms, lassen sich all die visuellen Eindrücke der Ausstellung und das (Charakter-)Bild Ulrichs vertiefen. (Renate Baumiller-Guggenberger)
Information: Bis 14. Juli. Diözesanmuseum St. Afra, Kornhausgasse 3–5, 86152 Augsburg. www.museum-st-afra.de
Kommentare (0)
Es sind noch keine Kommentare vorhanden!