Kultur

Der Verführer Jupiter (Jochen Kupfer) mit Calisto (Julia Grüter) vor der Schulklasse. (Foto: Ludwig Olah)

29.11.2019

Komik und tiefe Gefühle

Jens-Daniel Herzog begeistert und berührt mit seiner Nürnberger Neuinszenierung von Francesco Cavallis Barockoper „La Calisto“

Mühe, Gegenwartsbezüge zu finden, hatte das Staatstheater Nürnberg nicht. „Wer lügt, gewinnt“, steht schon im Programmheft zu La Calisto, und man weiß, wer aktuell gemeint ist. Dazu Umweltzerstörung und #meToo von der Antike bis heute. Deswegen ließ Regisseur Jens-Daniel Herzog als Hausherr Francesco Cavallis venezianische Oper ziemlich genau 368 Jahre nach der Uraufführung nicht im offenbar schon zu antiken Zeiten vertrockneten Kleinasien spielen. Sondern logisch, schnörkellos und ohne alle Regietheater-Verrenkungen in einem italienischen Lyzeum für Mädchen.

Schauplatz Lyzeum

Dort hatte er dann Schülerinnen als Nymphen, eine korrekt frisierte und liebestolle Direktorin alias Göttin Diana und die Visitation vom Kultusministerium. Mit der schleicht sich Göttervater Jupiter in dieses Butterfass der Erotik, dort begegnet ihm La Calisto als Umweltaktivistin – und bald stehen beide nackt unter der Dusche.

Herzog hat das alles aus der barock verbrämten Antike, aus Giovanni Faustinis Libretto und Venedigs damaliger Gesellschaft in diesem Werk des Monteverdi-Schülers und -konkurrenten Cavalli realisiert. Ihm gelingt auf diesen Spuren und zusammen mit dieser Musik des 17. Jahrhunderts eine herrliche Mischung aus Komik und tiefen Gefühlen, Realität und Travestie, Kabarett und Mythos, die bestens unterhält und berührt.

Cavalli hatte einst 1860 Lire für seine Partitur bekommen. Genauso viel wie die Sänger und Sängerinnen der Hauptpartien. Allerdings musste er sich noch 40 Lire pro Abend am Cembalo dazuverdienen. Die Sänger und die äußerst agile Statistinnengruppe sind am Staatstheater Nürnberg ohne Ausnahme genauso ihr Geld wert.

Man erlebt eine sängerisch wie darstellerisch erstklassige Besetzung, die den dreistündigen Abend ohne Arien, sondern in Cavallis typisch rezitativischem Stil trug: Jochen Kupfer als Jupiter, Almerija Delic als Direktorin/Diana, Emily Bradley als rachsüchtige Göttergattin Juno und der komödiantisch unübertreffliche Martin Platz als Nymphe Linfea mit der Angst vor sexueller Vertrocknung im Schulsekretariat. David DQ Lee ist ein hingebungsvoller Counter als Hausmeister und Opfer von Dianas bisexuellen Gelüsten. Die werden auch dem „süßen und einfachen Mädchen Calisto“ (Faustini) zum Verhängnis, das der Göttin ihre Jungfräulichkeit weiht – die sie allerdings schon an Jupiter verloren hat. Julia Grüter ist eine Idealbesetzung für dieses Schulmädchen-Konzept zwischen Selbstbewusstsein und Hingabe und mit einem genauso lyrischen wie tragfähigen Sopran.

Faszinierend an diesen frühen Barockopern ist, dass musikalisch alles möglich ist. So sieht das offenbar auch Wolfgang Katschner. Er ist nicht nur der versierte Dirigent der Nürnberger Aufführung. Er hat aus dem Philharmonischen Staatsorchester auch eine in besten Barockfarben musizierende Truppe geformt: mit Barockposaunen, Zinken, Flöten, Gitarren, Cembali und einem Violone – sowie zusätzlicher Musik von Cavalli-Zeitgenossen für den authentisch und venezianisch klingenden Anfang, für Aktschlüsse und szenische Übergänge. Die sind in Mathis Neidhardts wandlungsfähigem Bühnenbild und unter den drastischen Übertiteln ohne alle Holprigkeiten möglich und beweisen Liebe bis ins kleinste Detail.

Klaps auf den Po

Auch in der Schlussapotheose, wo die von allen missbrauchte, geschundene Calisto zuerst in eine Bärin, dann in ein Sternbild verwandelt wird. Jupiter hatte ihr den Platz am nördlichen Firmament im Sternenatlas aus der Schulbibliothek vorher gezeigt und ein wunderbares Schlussduett im Stil von Monteverdi mit ihr gesungen. Aber mit einem Klaps auf den Hintern der rachsüchtigen Ehefrau stielt er sich schäbig von der Bühne. Auch damit sah das Nürnberger Publikum die bisher beste und schlüssigste Inszenierung aus Herzogs Hand. (Uwe Mitsching)

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