Kultur

Klaus Florian Vogt und Johanni van Oostrum überzeugen als Lohengrin und Elsa. (Foto: Wilfried Hösl)

09.12.2022

Konventionen kühn gesprengt

Der neue „Lohengrin“ an der Bayerischen Staatsoper: So frisch kann Wagner klingen

Als im Juli 2009 unter Kent Nagano die Vorgängerproduktion Premiere hatte, wurde ein neues „Traumpaar der Oper“ gefeiert: Für Startenor Jonas Kaufmann war es damals der erste Lohengrin überhaupt, an seiner Seite Anja Harteros als Elsa. Lange ist das her, trotzdem genießt diese Lohengrin-Inszenierung vor allem in der Münchner Opernschickeria bis heute Kultstatus. Für eingefleischte Kaufmann-Fans ist und bleibt dessen Rollendebüt sogar unerreicht.

Umso größer war der Unmut, als sich der Münchner Staatsopernintendant Serge Dorny erlaubte, eine Neubefragung dieser Oper von Richard Wagner zu wagen. Das Ergebnis spricht für sich: Es hat sich nicht nur voll und ganz gelohnt, sondern tat not. Einen medienwirksamen Hochglanzglamour wie Kaufmann und Harteros vermögen zwar Klaus Florian Vogt und Johanni van Oostrum nicht zu verströmen. Dafür aber setzten sie in der Premiere im Münchner Nationaltheater wohltuend eigene, andere Akzente.

Deutscher Belcanto

Da ist Vogt: Sein helles, leichtes, glasklares Timbre verlebendigt stilgenau, wie sehr Richard Wagner mit dieser Partie eine Art deutscher Belcanto vorschwebte. Dafür stand allein die auch dynamisch differenzierte, klangsinnliche Gralserzählung. Über die baritonale Färbung von Kaufmanns Tenor konnte man damals hingegen streiten; sie passte nur bedingt zur Titelpartie, denn sie ist nicht mehr ganz lyrisch und noch nicht ganz heldentenoral. Genau dies machte Vogt jetzt stilgenau hörbar. Man mag darüber streiten, ob es besonders originell ist, diese Partie mit Vogt zu besetzen, aber es gibt rein stimmlich gegenwärtig keinen passenderen Lohengrin.

Mit ihrem hellen, schlanken, agilen Timbre zeichnet zudem Johanni van Oostrum gesanglich eine gänzlich andere Elsa als damals Harteros. Der auffallende Kurzhaarschnitt betont obendrein die unterschiedliche Rollenauffassung. Noch im ersten Aufzug wirkt diese Elsa allein optisch emanzipierter und burschikoser, als es die Rolle eigentlich erlaubt. Schon im zweiten Aufzug spiegelt sich indessen im hellen Timbre und äußeren Erscheinungsbild eine fast schon kindliche Naivität wieder.

Umso glaubwürdiger fällt diese Elsa auf das böse Spiel der Ortrud (Anja Kampe) herein. Die gesangliche Begegnung zwischen diesen beiden Frauen, bald ein veritables Stimmenduell, avanciert zu einem bleibenden Erlebnis. Jedes einzelne Wort wird in Bedeutung und verborgener Intention durchleuchtet. Unter François-Xavier Roth schattiert das Bayerische Staatsorchester mit differenzierter Phrasierung die Farbgebungen zwischen der hellen Unschuld von Elsa und der unheilvoll verdüsterten Ortrud sinnstiftend aus.

Gleichzeitig zeichnet Kampe ihre Ortrud nicht einfach als böses Weib. In ihrer verhärmten Bitterkeit ist sie mitunter genauso bemitleidenswert wie Telramund (Johan Reuter). Sie sind das perfekte Gegenpaar zu Lohengrin und Elsa, was die Regie von Kornél Mundruczó subtil aufgreift. Als die Trauung von Lohengrin und Elsa vollzogen wird, geht Ortrud auf Telramund zu und umarmt ihn. Damit sagt sie ihm wortlos, dass ihre Zeit noch kommen werde. Und tatsächlich: Über der Bühne (Monika Pormale) thront ein kleiner, böser Beelzebub in gotischem Stil. Während der Trauung öffnet sich das von Ausstatterin Anna Axer Fijalkowska entworfene Brautkleid Elsas zu einem sonnengleich strahlenden Reif. Zu Beginn des dritten Aufzugs steht Elsa allein auf der Bühne – im Brautkleid. Der goldene Reif sinkt hernieder und mit ihm ihr eigenes Glück.

Passend illustriert

Schon im ersten Aufzug wird deutlich, dass Mundruczós Regie ein System zeichnet, in dem Heinrich der Vogler totalitär herrscht (stimmlich etwas wackelig: Mika Kares). Inmitten des weiß gekleideten Volkes von Brabant wirkt Elsa mit ihrer schwarzen Kleidung wie ein schwarzes Schaf. Diese Menschenherde wird nicht zuletzt vom Heerrufer stramm geführt (einnehmend: Andrè Schuen). Eine bahnbrechende Neudeutung ist das nicht, dafür aber eine flüssig erzählende, passend illustrierte Regie.

Auf jeden Fall ist diese Neuproduktion auch szenisch weitaus ergiebiger als der vormalige Münchner „Häuslebauer“-Lohengrin von Richard Jones. Zur Erinnerung: Eine gefühlte Ewigkeit musste man zuschauen, wie sich Lohengrin und Elsa ein trautes Heim zimmern: gähn!

Das eigentliche Wunder hat jedoch Roth mit dem Orchester und dem sich steigernden Chor vollzogen. Mit fließenden Tempi machte er geradezu beispielhaft hörbar, wie diese Musik zwischen kammermusikalischer Reduktion und großflächiger dramatischer Verdichtung changiert. Gleichzeitig ließ Roth vielfach einen entschlackt schwebenden Klangzauber entfalten. So frisch, befreit und historisch informiert kann Wagner klingen: Wahnsinn! (Marco Frei)

 

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