Kultur

Es ist ein Work in progress: Über François Bouchers "Ruhendes Mädchen" von 1752 breiten sich Bakterienkulturen kunstvoll aus. Natürlich nicht auf dem Original, das in der Alten Pinakothek München hängt, sondern über ein Dia davon. (Foto/Detail: Wolfgang Ganger, 2021)

17.05.2024

Kunstvolle Impfaktion

Wolfgang Ganter ist „Infektionskünstler“. Das Münchner Zentralinstitut für Kunstgeschichte zeigt seine Bilder, auf denen Bakterien wuchern

Zweimal hat sich Wolfgang Ganter schon versehentlich selbst infiziert. Aber das ist länger her, damals war er noch jung und unerfahren. Inzwischen hat er natürlich alles im Griff. Hoffen wir. Auf jeden Fall gut, dass das Robert Koch-Institut nichts von Wolfgang Ganter weiß. Womöglich kriegten die wackeren Gesundheitswarte einen Herzinfarkt, wenn sie erführen, was der 1978 geborene Künstler so alles treibt.

Für Ganter gilt nämlich: Nicht Mord, sondern Infektion ist sein Hobby. Er infiziert oder „impft“, wie er gerne sagt, Diapositive mit Bakterien, die auf der Filmschicht munter draufloswuchern. Bei herkömmlichen Filmen dient nämlich Gelatine als Trägermaterial der lichtreaktiven Chemikalien, und eben diese Gelatine ist offenbar für viele Bakterienarten ein gefundenes Fressen. Gleich einer Nährlösung in der Petrischale wird sie als Delikatesse von den kleinen Rackern weggespachtelt. Und die bilden dann bei ihrer Ausbreitung übers Dia Schlieren und Kreise, Fäden, Flecken und Strahlen, aber auch fein verästelte Strukturen, die an winzige Pflanzen genauso erinnern wie an mathematische Fraktale. Oft leuchten diese Formen in grellen, fast metallischen Farben und manchmal in zarten Pastelltönen, aber bei aller Künstlichkeit muten sie doch immer überraschend organisch an.

Bizarr verfremdet

Bevorzugte „Opfer“ Ganters sind Diapositive, die Gemälde alter Meister wiedergeben wie etwa Dürers Selbstbildnis aus der Alten Pinakothek oder die Venus von Botticelli, die (auf dem Dia) vom Bakterienfraß so bizarr verfremdet werden, dass man schon wieder meint, der mehr oder weniger zufällige Naturprozess, diese bakterielle Bildanalyse, bringe verborgene, rätselhafte Bedeutungsschichten zutage. Weshalb man auch zu Risiken und Nebenwirkungen am besten einen Kunsthistoriker oder Galeristen fragt.

Wir haben es bei Ganter jedenfalls mit der seltenen Spezies eines waschechten Infektionskünstlers zu tun, die im Vergleich zu harmlosen Arten wie dem Verpackungs- oder Entfesselungskünstler doch respekteinflößend wirkt: Ob 1,5 Meter Sicherheitsabstand da wohl genügen?

Aber keine Angst, man braucht weder Schutzanzug noch FFP2-Maske, um Wolfgang Ganters Ausstellung Lokalinfektion im Münchner Zentralinstitut für Kunstgeschichte zu besuchen. Denn die dort ausgestellten Bilder sind ihrerseits nur vergrößerte Digitalfotos, die der Künstler von seinen infizierten und dadurch wunderbar poetisch mutierten Dias gemacht hat. Keimfreier geht’s nicht, die Exponate sind etwa so ansteckend wie eine Abbildung im Pschyrembel (klassisches medizinisches Nachschlagewerk).

Übrigens: In der Regel kann Wolfgang Ganter das Bakterienwachstum, sobald er mit dessen ästhetischer Wirkung zufrieden ist, dadurch stoppen, dass er die Dias aus dem feuchtwarmen Zuchtraum in ein Zimmer mit normaler Temperatur bringt. Allerdings, erzählt er, gebe es auch Bakteriensorten, die davon unbeeindruckt einfach weiterwuchern. Hoffen wir also, dass es dem Kunstimpfer nicht eines Tages geht wie dem Zauberlehrling in Goethes gleichnamigem Gedicht (oder den Forschern in Wuhan): Plötzlich ist das Wachstum bei einer Bazille nicht mehr zu stoppen, sie breitet sich turbomäßig aus seinem Atelier heraus aus und überzieht in kürzester Zeit den ganzen Globus mit einer dicken pelzigen Schicht, wie man es von Pilzen kennt, etwa wenn der Camembert zu lang auf der Heizung liegt. Da wäre dann auch für das RKI „der Kaas gegessen“… (Alexander Altmann)

Information: Bis 28. Juni. Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Katharina-von-Bora-Straße 10, 80333 München. www.zikg.eu

 

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