Auch Ausstellungen haben oft ihre Geschichten und Darsteller. Zum Beispiel zwei Maler und einen Bergsteiger – die Regie teilen sich ein Galerist und ein Museumsdirektor. Die haben auch den Plot und einen zugkräftigen Titel erfunden: Gipfeltreffen heißt die Begegnung von Ernst Ludwig Kirchner und Bernd Zimmer. Der „Berg-Papst“ Reinhold Messner hält seine segnende Hand darüber.
Die stumme Hauptrolle aber spielt das Tinzenhorn bei Davos. 3173 Meter ist es hoch. In der Ausstellung des Buchheim-Museums am Starnberger See ist sein Auftritt variantenreich.
Kirchner (1880 bis 1938), ein Klassiker des deutschen Expressionismus’ und Zimmer, Jahrgang 1948 und weltweit bekannter Verfechter des Neo-Expressionismus’, sind die Protagonisten dieses Berg-Dramas. Zimmer war in Berlin einer der „Jungen Wilden“ in der Tradition der Künstlergruppe „Die Brücke“. Geboren ist er in Planegg bei München, heute ist er im oberbayerischen Polling zuhause – nur 30 Kilometer vom Buchheim-Museum entfernt.
Kirchner und Zimmer: Für beide Maler ist das Tinzenhorn ein besonderer Bezugspunkt in ihrem Künstlerleben geworden. Wenn man Glück hat, ist Zimmer gerade im Buchheim-Museum und erzählt, wie es zu diesem faszinierenden Ausstellungsprojekt kam: Er sei schon oft bei Freunden in Davos gewesen, habe Bekanntschaft mit diesem Berg geschlossen – und auch mit Kirchners Beziehung dazu.
Kirchner erwandern
Bernd Zimmer ist in den vergangenen beiden Jahren Kirchners Blicken auf den Berg nachgewandert: zu Fuß, mit Foto, Pinsel und Zeichenstift. Schnell hat auch er gespürt, dass dieses Tinzenhorn nicht irgend ein Schweizer Berg ist. Schon Thomas Mann hatte es beschrieben: „überirdisch, wallhallmäßig, unzugänglich“, mit einem Wort: „Der Zauberberg!“
Und Bernd Zimmers Gemälde sehen aus, als ob der Maler die Worte des Dichters in Bilder umsetzen wollte. Um zu beschreiben, wie er das macht, würde man sagen: „explosiv, gewittrig, vulkanisch, eruptiv“.
Aber zunächst weiter mit der Ausstellungsstory: Daniel J. Schreiber, der Buchheim-Direktor, wollte ohnehin Holzschnitte ausstellen, war deswegen in Kontakt mit einem Münchner Galeristen, hörte von Bernd Zimmers Gipfel-Tour – „Da machen wir doch etwas ganz anderes“, zitiert ihn Zimmer. Aus den eigenen Buchheim-Beständen, von Münchner und Schweizer Leihgebern ließ sich Kirchners Berg-Sucht dokumentieren. Und Zimmer hat in weniger als zwei Jahren seine typischen großen Formate geschaffen: „Ich bin ein fleißiger Maler.“
Und da sieht man sie nun nebeneinander: Kirchners Bilder aus Davos (bis in die Dreißigerjahre hinein), Zimmers Farbexplosionen rund ums Tinzenhorn - und Reinhold Messner läuft einem als Schirmherr der Ausstellung auch noch über den Weg.
Vielleicht ist es gut, wenn man die Ausstellung durch den Hintereingang betritt und zunächst den kleineren Formaten Zimmers begegnet: Felsen-Eruptionen in verschiedenen Varianten, verschiedenen Farben – und direkt gegenüber die Schwarz-Weiß-Holzschnitte Kirchners, mal mit den Hütten einer Alm, mal mit dem ausdrucksvollen Kopf eines Senners, aber immer mit dem „Zauberberg Tinzenhorn“ im Hintergrund. Auch wenn der an diesem realen geografischen Ort gar nicht zu sehen ist, wie Zimmer weiß.
Gewaltige Ausbrüche
Ganz im Gegensatz zu Zimmers gewaltigen Ausbrüchen ist der Berg bei Kirchner in den Frieden eines Alpsonntags einbezogen, eingegliedert in einen Berghorizont für gemütlich feiernde, hingelagerte Menschen. Da ist man dann bestens vorbereitet für die überwältigenden Formate im Mittelpunkt der Ausstellung.
Manches davon hat man schon in der großen Expressionisten-Ausstellung im Buchheim-Museum im vergangenen Frühjahr gesehen – die Buchheim-Bestände konnten gleich am alten Platz hängenbleiben. Etwa die gigantische Schilderung der Gebirgsnatur, wie sie der Chor von Davos-Frauenkirch als Bühnenbild für eine Aufführung bei Kirchner bestellt hatte, oder der Große Wald.
Jetzt aber hängt das alles in der Nachbarschaft von Bernd Zimmer: Wie der allein schon den Weg zum Tinzenhorn, die magischen Pfade durch das Unterholz schildert, ist geheimnisumwoben wie der Berg selbst: Licht, das in Waldszenen glitzert, vom Laub gefiltert, von einem Waldsee reflektiert wird: Effekte, die Zimmer auch durch seine Farbschüttungen erreicht.
„Edelweiß und Almrausch“ hatten sich einst die braven Choristen von Ernst Ludwig Kirchner gewünscht – Zimmer malt die ganze Vielfalt der Waldvegetation. Durch die nähert man sich Bild für Bild dem isoliert thronenden Tinzenhorn, über das Lichtstürme hinwegfegen, Sterne glitzern, zu dessen Füßen explodieren Farben.
„Kirchner reloaded“, nennt Zimmer diese Bilder, mit denen er für seinen Neo-Expressionismus kämpft, in denen man auch die Spuren seiner Amerika- oder Fernost-Aufenthalte wiederfindet. „Reloaded“ soll da „übersteigert“ heißen – wie friedlich wirkt Kirchners Balkonszene von 1935 hingegen mit einem idyllisch domestizierten Tinzenhorn im Hintergrund. Dagegen stehen Zimmers schroffe Pinselführung und seine fast filmischen Visionen. Menschen spielen bei ihm überhaupt keine Rolle – Kirchner sieht sie oft in Harmonie mit der Davoser Szenerie.
Bei aller Unterschiedlichkeit: In der Magie ihrer Farben für diesen Zauberberg, da begegnen sich die beiden Künstler bei diesem faszinierenden Gipfeltreffen. (Uwe Mitsching)
Bis 11. Oktober. Buchheim Museum, Am Hirschgarten 1, 82347 Bernried. Di. bis So. und Fei. 10 – 18 Uhr. www.buchheimmuseum.de
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