Kultur

Ohne Lucky Punch hilft nur Durchboxen. Marc Ritter fühlt sich wie in der vierten Runde. (Foto: Thomas Sehr)

12.04.2013

"Lokalpolitik wie bei uns"

Marc Ritter ist mit seinen "Hartinger"-Fällen ein Shootingstar der Krimiszene mit regionalem Touch

Münchens Krimifestival war im März – aber so erfolgreich, dass es sich geradezu zum Ganzjahresevent mausert. Das Lesepublikum giert nach dem Bösen und den Autoren, die es so prickelnd bannen. Leseveranstaltungen sind oft in Nullkommanichts ausgebucht. So wie bei Marc Ritter, ein Senkrechtstarter mit Krimis aus Garmisch-Partenkirchen.
BSZ Herr Ritter, Ihr Held, der Lokalreporter Hartinger, wird in Garmisch-Partenkirchen ganz schön fertig gemacht. Der politische Filz, den Sie beschreiben, transportiert plakativ ein Franz Josef Strauß-Bayern-Klischee. Ist das nicht zu billig?
Marc Ritter Ich habe nichts gegen Klischees. Die haben einen wahren Kern. Sie sind Schablonen, die Wahrheit auf einer anderen Ebene transportieren. Und sind deshalb gut übertragbar. Selbst bei Lesungen in Norddeutschland habe ich gehört: „Das ist Lokalpolitik wie bei uns.“ BSZ Sind da die Garmisch-Partenkirchner nicht angefressen?
Ritter Keineswegs! Die Leute haben ja Abstand zu sich selbst, sind aufgeklärt. (Lacht) Selbst in Garmisch-Partenkirchen. Auch dort ist spätestens mit der Olympiabewerbung eine richtige Streitkultur entstanden. Und mein Bürgermeister ist natürlich ganz anders als der aktuell amtierende Thomas Schmid. Der Ministerpräsident, übrigens ein Niederbayer, hat nicht einmal einen Namen. Er straußt, stoibert, seehofert – er becksteint vielleicht etwas weniger. So wie der ist, gibt es keinen in Wirklichkeit. Er ist mein Ministerpräsident. BSZ Nicht nur die aktuelle politische Szene spielt rein, es geht auch um die vergangene.
Ritter Ja, jede der Hartinger-Geschichten wurzelt in einem anderen Jahrzehnt. In Josefibichl waren es die 40er Jahre und die Nazizeit, in Herrgottschrofen sind es die 50er Jahre und die Besatzungszeit, im nächsten Buch werden es die 60er Jahre mit dem Bauboom und den hässlichen Häusern sein, die es auch in Garmisch-Partenkirchen zuhauf gibt. BSZ Dann wird es also insgesamt noch sechs „Hartingers“ geben?
Ritter Ich habe die Serie auf acht Bücher angelegt. BSZ Ist es nicht ein Wagnis, heute als Neuling noch in die Regionalkrimi-szene einzusteigen? Sie haben Ihr erstes Buch 2011 mit 44 Jahren veröffentlicht, quasi als Spätberufener.
Ritter Der Markt mit Regionalkrimis boomt mehr denn je. Als vor 20 Jahren der erste Commissario Brunnetti von Donna Leon erschien, in dem ja die Location eine wesentliche Rolle spielt, habe ich mir gedacht, dass man so etwas auch für Garmisch-Partenkirchen mit seiner phantastischen Landschaft schreiben müsste. Ich hätte mich das mit Mitte 20 damals allerdings nicht getraut. Außerdem musste ich Geld verdienen, um meine junge Familie zu ernähren. BSZ Die Beschreibung der Landschaft ist bei Ihnen oft sehr detailreich, das liest sich wie eine liebevolle Landschaftsmalerei.
Ritter Stimmt, der Ort kommt zuerst, dann die Geschichte. Da geht es nicht nur ums große Alpenpanorama, sondern mitunter eben auch um kleine Gegebenheiten. Ein Leser hat sich bei mir gemeldet und mir gesagt, dass er nicht glauben wollte, dass der Hartinger eine geschilderte Joggingstrecke in der angegebenen Zeit geschafft hat. Er habe das überprüft. Gottseidank bin ich die Strecke vorher selbst gelaufen! BSZ Widerspricht das nicht dem Drive eines „Krimis“?
Ritter Mir wäre für meine beiden Hartinger-Bücher tatsächlich die Bezeichnung „krimineller Heimatroman“ lieber. Ganz im Ganghoferschen Sinne. Oder sehen Sie sich Lion Feuchtwangers Erfolg an. In welche Schublade wollte man dieses Buch einreihen? Da steht schlicht Roman drauf. In ihm geht es auch um Land und Leute, um Bayern als solches. Schade, dass ein Buch von solch epischen Ausmaß heute nicht mehr möglich ist. Ich versuche, eine eigene Form im Feuchtwangerschen Sinne zu finden. Freilich werde ich nie so sein wie Feuchtwanger! Aber die Motivation muss bleiben. BSZ Verstehen Sie sich als Autor oder Schriftsteller?
Ritter Ich traue mich inzwischen, zu sagen, dass ich ein Schriftsteller bin. Ich bin aber kein Genie. Schreiben ist wie ein ordentliches Handwerk. Und da bin ich über die Lehrlingszeit hinaus. Ich denke, mit demnächst sechs Büchern auf dem Markt bin ich gerade Geselle. Zum Meister ist es noch lange hin. BSZ Sie bringen heuer nicht nur einen neuen „Hartinger“, sondern auch einen zweiten Thriller heraus. Was ist der Unterschied zum Krimi?
Ritter Beim Thriller ist das Szenario größer, nicht so lokal. Es spielt dann auch die große Politik rein. Er hat natürlich auch ein ganz anderes Tempo. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Eine Entführung und das anschließende Ultimatum setzen ein schnell ratterndes Räderwerk in Bewegung. Beim Krimi geht es eher um die Frage, wer den Fall löst und was noch alles passiert. Da ist mehr Platz fürs mäandrierende Schreiben, das ich so gerne mache. BSZ Ihre Hauptfigur Hartinger ist kein klassischer Ermittler.
Ritter Stimmt. Als Fotograf und Journalist hat er einen ganz anderen Zugang zu den Mitmenschen und zum Geschehen, in das er ja immer zufällig reingerät. Ich spreche deshalb auch nicht von „Fällen“, sondern von „Verwicklungen“. BSZ Auch amouröse ...
Ritter (lacht) Ach ja, die Dotti. In solchen Geschichten braucht es immer eine starke Frauenfigur. Bei mir ist es die Pathologin Dr. Allgäuer. Allerdings wurde sie mir fast zu stark, ich habe befürchtet, dass sie zuviel Aufmerksamkeit auf sich lenkt. Sie kann von Glück reden, dass sie diese Runde überlebt hat. Ich wollte sie sterben lassen. Aber meine Lektorin hat mich vom Gegenteil überzeugt. BSZ Ihr Verlag schickt Sie zu vielen Lesungen quer durch Deutschland. Sie haben auch schon von einem Tretboot auf dem Ammersee aus gelesen. Der Saal im Münchner Hofbräuhaus nächste Woche ist schon lange ausgebucht ...
Ritter Ehrlich, das hat mich auch überrascht. Ich dachte, dass da vielleicht nur 30 oder 40 Leute kommen. Jetzt sind es 150 und es ist kein Platz mehr frei. Das macht mich stolz. Man darf nicht vergessen, dass in München die Konkurrenz groß ist. Da kommen ja auch die Kollegen aus Amerika und Skandinavien hin, um ihre Bücher vorzustellen. BSZ Also sind Sie erfolgreich?
Ritter Das kommt natürlich auf die Warte an. Meine Bücher haben in recht kurzer Zeit fünfstellige Verkaufszahlen erreicht. Ich bin bei renommierten Verlagen wie Droemer Knaur und Piper. Sehen Sie, es gibt Autoren, die am Anfang wahnsinnig Glück haben, beim Boxen würde man vom Lucky Punch in der ersten oder zweiten Runde sprechen. Andere wie ich müssen über die ganze Distanz gehen, also zwölf Runden. Ob das zwölf Bücher oder zwölf Jahre sein werden, weiß ich nicht. Momentan bin ich wohl bei Runde vier.
(Interview: Karin Dütsch) Termine „Krimifestival/Nachschlag“ bzw. für den „Krimi-Sommer“ und den „Krimi-Herbst“ unter www.krimifestival-muenchen.de

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