Kultur

Primaballerina Lucia Lacarra und ihr Mann Marlon Dino werden nicht mehr in München tanzen. (Foto: Hösl)

03.06.2016

Lust auf Neues

29 von 66 Tänzern verlassen das Staatsballett: Das ist ganz normal beim Chefwechsel

Ein Aufschrei in der Münchner Fan-Gemeinde: Mit dem Abschied von Ballettchef Ivan Liska zum Saisonende verlassen 29 von 66 Tänzern das Ensemble. Ob sein Nachfolger, der Russe Igor Zelensky, im einzelnen die Verträge nicht verlängert hat oder – gängiges Prozedere bei Chefwechsel – ungünstige Konditionen einen (un-)freiwilligen Abschied verursachten, dringt nicht an die Öffentlichkeit. Nicht nur im Ballett ist es ein ungeschriebenes Gesetz, dass ein neuer Direktor seine eigene Crew mitbringt. Die Münchner Intendanten Martin Ku(s)ej und Matthias Lilienthal haben ihr Residenztheater respektive die Kammerspiele in Verwaltung und Ensemble grundlegend erneuert – kein Aufschrei.

Klassiker mit neuen Stars erträglicher

Ganz ehrlich, wünscht man sich als Zuschauer nicht auch mal ein paar neue Solisten? Ballett-Klassiker wie Schwanensee oder Giselle, weil über Jahrzehnte unzählige Male gesehen, sind irgendwann nur noch mit einer neuen, überraschenden Besetzung erträglich. Kleine Fluktuationen der vergangenen Jahre gab es im Ensemble lediglich durch Veränderungswünsche der Tänzer oder ein Karriere-Ende. De facto herrschte seit Konstanze Vernons Staatsballettgründung 1989 bis heute eine im Ballettbetrieb seltene – freilich auch durchaus fruchtbare – Kontinuität. Denn Liska, 20 Jahre Solist in John Neumeiers Hamburg Ballett, war 1998 Vernons Wunsch-Nachfolger. Mit den beiden Vernon-Stützen, dem Klassik-Spezialisten Wolfgang Oberender und der Expertin fürs Moderne, Bettina Wagner-Bergelt, führte Liska die etablierte Repertoire-Politik bruchlos weiter. Immerhin: Vernon verjüngte, wenn auch gestreckt auf zwei Spielzeiten, das Ensemble um die gleiche Anzahl wie Zelensky. Und Stuttgarts berühmter John Cranko entließ 1968 bei seiner zusätzlichen Leitung des Münchner (damals noch) Opernballetts sogar Dreiviertel der Tänzer.

Die Prinzen fehlten

Unter der Trias Li(s)ka-Oberender-Wagner-Bergelt – ihre Repertoire-Verdienste mal beiseite – gab es nicht genügend neue spannende Tänzer. Nicht einmal einen einzigen „danseur noble“ – für die Klassiker doch Grundbedingung. Obwohl die „Prinzen“-Darsteller heutzutage nicht mehr mit der Lupe gesucht werden müssen. Als ehemaliger erster Ballerino des St. Petersburger Mariinsky-Balletts legt Zelensky speziell wert auf Elite-Technik und charismatische Performance. Eine Handvoll interessanter Neuengagements sind versprochen. Geplant ist auch der Austausch mit dem von ihm weiterhin geleiteten Moskauer Stanislawsky-Ballett. Zelensky, der bereits vor zwei Jahren das Münchner Ensemble in Augenschein nahm, sollte seine Absichten so früh kundgetan haben, dass die Tänzer Zeit hatten, sich anders zu orientieren. Einige Mittdreißiger und der heuer 45 gewordene Cyril Pierre streben eine neue Laufbahn an, zum Teil als Pädagoge oder Ballettmeister. Jüngere fanden Engagements unter anderem in Stuttgart und Tokio oder wollen sich der Familie widmen. Münchens Prima Lucia Lacarra – die nach eigener Aussage große, technisch anspruchvolle Klassiker nicht mehr tanzen möchte – und Ehemann Marlon Dino kamen überein, dass ihre Vorstellungen und die des neuen Chefs nicht vereinbar sind. In einer Pressekonferenz gaben sie ihren Abschied und neue Pläne bekannt: Sie werden weiterhin international gastieren und haben feste Gastverträge in Dortmund und Madrid. Tänzer übergangsweise ohne Engagement oder am Karriere-Ende erhalten Beratung und auch finanzielle Unterstützung vom „Transition Zentrum Deutschland der Stiftung Tanz“. Klar ist, dass Tänzer mit naturgemäß kurzer Laufbahn rechtzeitig an Vorsorge und Versicherung denken sollten. (Katrin Stegmeier)

Kommentare (1)

  1. retroballett am 09.06.2016
    "Nicht einmal einen einzigen „danseur noble“ – für die Klassiker doch Grundbedingung."

    Das klingt ja, als wäre das Münchner Staatsballett bisher eine Provinzklitsche gewesen und endlich erlöst uns das russische Prinzchen aus dem Dornröschenschlaf. Weiss die Bayerischen Staatzeitung wovon sie schreibt? Vermutlich nicht.

    Meint die Bayerischen Staatzeitung: Wem die bisherige Regelung, "In Bayern gehört die Frau an den Herd, das ist bei uns ein ungeschriebenes Gesetz", nicht gefällt, der soll doch gefälligst nach Berlin gehen?

    Oder vielleicht doch lieber:
    Was interessieren mich die Verhältnisse in meiner neuen Stadt, denn Doof tanzt vielleicht gut, aber ob das schon zum Direktor reicht? Alles was man vom neuen Ballettdirektor erfährt, er konnte zwar mal tanzen, aber reden kann er nicht, weder auf englisch, noch auf russisch und schon garnicht auf deutsch.
    Ein typischer Elite-Technik Fall für die Sanktionen den geplanten Bayerischen Intergrationsgesetzes: Der erste integrationsunfähige Ballerino! Zurück in die russische Provinz! Sofort!

    Russische Verhältnisse: Bei der Bayerischen Staatzeitung gibt es nicht genügend neue spannende Redakteure und Artikel, also entlassen wir mal schnell die Redaktion. Und Frauen haben sowieso keine eigene Meinung zu haben!
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