Kultur

Tristan (Stephen Gould) und Isolde (Catherine Foster) im Liebesstrudel. (Foto: Enrico Nawrath)

29.07.2022

Lust und Frust in Schwarz-Weiß

Beim Auftakt der Wagner-Festspiele in Bayreuth mit „Tristan und Isolde“ glänzen Dirigent Markus Poschner und das Orchester

Die Schrift leuchtet rot. „Ewig“ prangt in dicken Lettern im altindischen Sanskrit am linken Bühnenvordergrund. Damit holt Roland Schwab intellektuell ziemlich aus. Immerhin verweist der Regisseur damit nicht nur einfach auf das titelgebende, sich ewiglich liebende Paar Tristan und Isolde der Oper von Richard Wagner. Vielmehr ist es Arthur Schopenhauer, der mit seinen Schriften den Stoff dieses Werkes zentral inspiriert hat. Gleichzeitig hat Schopenhauer den Buddhismus in Deutschland salonfähig gemacht. Auch Wagner hat das interessiert.

Mit dem „Ewig“ im altindischen Sanskrit macht Schwab also ein großes Fass auf – eigentlich. Weil er diese Idee aber nicht konsequent durcherzählt, bleibt es bei einer beliebigen Bebilderung. Das ist generell ein zentrales Problem dieser Neuproduktion von Tristan und Isolde. Mit ihr starteten die diesjährigen Wagner-Festspiele in Bayreuth. Vielleicht hatte Schwab einfach zu wenig Zeit, um seine Ideen in ein konzises Narrativ zu gießen, denn erst vor einem guten halben Jahr kam von Festspielleiterin Katharina Wagner die Anfrage, ob er einen neuen „Tristan“ für Bayreuth inszenieren würde. Das ist ungewöhnlich, weil am kommenden Sonntag (31. Juli) der neue Ring des Nibelungen startet.

Sportliches Programm

Fünf neue Produktionen in einem Festivalsommer – das gab es noch nie. In Zeiten der Pandemie wollte Wagner auf Nummer sicher gehen. Falls der neue „Ring“ coronabedingt abgeblasen werden muss, sollte zumindest eine Neuproduktion zu erleben sein. Eine kluge Entscheidung: Tatsächlich sind im Vorfeld die Corona-Inzidenzen in die Höhe geschnellt. Beim neuen „Ring“ musste der an Corona erkrankte Dirigent Pietari Inkinen von Cornelius Meister ersetzt werden. Dieser sollte wiederum den Eröffnungs-„Tristan“ leiten, was kurzfristig Markus Posch-ner vom Bruckner Orchester Linz übernommen hat. Der neue „Tristan“ ist also eine Notfalllösung – und das merkt man der Inszenierung an.

In seiner Regie setzt Schwab auf die ewige, romantisch überhöhte Liebe zwischen Tristan und Isolde, auch gespiegelt von einem stummen Statistenpaar. Im Vorspiel zum ersten Aufzug ist es jung, am Ende alt. Für die Bühne hat Piero Vinciguerra einen gewölbten Einheitsraum geschaffen, der nach oben hin offen ist. In Videoprojektionen ziehen Wolken vorüber, bis die Sterne funkeln. Das Liebespaar verliert sich entweder in projizierten Liebesstrudeln oder planscht im Wasser, um dabei stets mit den Händen zu fuchteln. Wenn es mörderisch wird, färbt sich das Wasser rot. Auch die Kostüme von Gabriele Rupprecht greifen die Gut-Böse-Zeichnung der Regie auf. Tristan und Isolde tragen Weiß, der sonore Kurwenal (Markus Eiche) sowie der präsente Melot (Olafur Sigurdarson) sind in Schwarz gekleidet. Der Marke (Georg Zeppenfeld) trägt beides. Das alles wirkt arg auf kleineres Stadttheater-Niveau heruntergebrochen.

Sonst aber rückt die Regie allein die Personen in den Fokus. Das kann funktionieren, wenn die Stimmen mitmachen: allen voran das titelgebende Paar. Leider hatte Stephen Gould als Tristan auf der Premiere hörbare Probleme mit der Intonation. Der amerikanische Tenor singt in diesem Bayreuther Sommer auch den Tannhäuser und den Siegfried – womöglich ist das zu viel.
Ganz anders Georg Zeppenfeld, der diesmal vier Wagner-Partien in Bayreuth gestaltet: Sein Bass-Gesang bildete beispielhaft eine zwingende Einheit aus Schöngesang, dramatischer Stringenz und Textverständlichkeit. Letztere war dagegen ein zentrales Problem der dramatisch verdichteten Isolde von Catherine Foster sowie der sehr fein ausgestalteten Brangäne von Ekaterina Gubanova.

Das war keineswegs der Leitung von Markus Poschner geschuldet, im Gegenteil. Sein kurzfristig anberaumtes Debüt in Bayreuth wurde insgesamt ein hellhöriges Erlebnis: Nuancenreich bis ins fragilste Piano sind die dynamischen Staffelungen, klar seziert die Farbgebungen. Nicht zuletzt hat es Posch-ner geschafft, die Tempi großflächiger zu nehmen, ohne sie zerdehnt wirken zu lassen. Dieses kleine Wunder gelang ihm auch dank einer glasklaren Artikulation und entschlackten Phrasierung, die er aus dem Festspielorchester kitzelte.

Neues wagen

Im Freistaat ist Poschner kein Unbekannter. In München geboren, von Jugend an Jazzpianist, hatte er von 2000 bis 2006 das Georgische Kammerorchester in Ingolstadt geleitet. Sein jetziges Debüt in Bayreuth machte auch deutlich, wie wichtig und richtig es ist, den Bayreuther Wagner-Tempel von festgefahrenen Traditionen zu befreien. Das berührt auch eine Personalie: Christian Thielemann. Die Wagnerianer*innen lieben ihn. Er zählt fraglos zu den großen Wagner-Exegeten unserer Zeit. Trotzdem kann der Thielemann-Kult die Perspektive für das Andere verstellen.
Bei der Premiere gab es für Poschner und das Orchester großen Beifall. Auch das Solistenensemble wurde stürmisch gefeiert. Selbst die Regie, in Bayreuth oft Opfer lautstarker Buhs, kam sehr gut an. Die Inszenierung von Schwab tut eben nicht weh, und die Schwarz-Weiß-Malerei verlangt nicht allzu viel Hirn ab. Ob das ausreicht für eine vollwertige Neuproduktion bei einem derart prominenten Festival, steht auf einem anderen Blatt. Die Vorgängerinszenierung von Katharina Wagner war spannender. (Marco Frei)

 

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