Kultur

Die im Querschnitt dreieckige Schmelzofenhalle des Glaswerks Amberg, so der offizielle Name der Fabrik, erinnert an das Mittelschiff einer Basilika. (Foto: Erich Spahn)

10.05.2019

Malochen in schöner Umgebung

Walter Gropius’ letztes Industriebauwerk, die Amberger Glaskathedrale, kann man jetzt auch während der Produktion besichtigen

Das Bauhaus lebt: Wo zum 100-Jahr-Jubiläum Museen und Ausstellungen den Gründer Walter Gropius und die moderne Architektur feiern, macht Amberg die Tore zur Glaskathedrale auf – zum letzten der Gropius-Industriebauten. Vor allem: Der Betrieb läuft dort noch. Erlebnis Glaskathedrale Amberg heißt es ab Juni mit Führungen durch ein faszinierendes Bauwerk im Osten der Stadt: Es ist eine Kathedrale modernen Industriedesigns und Ausdruck der produkt- und mitarbeiterbezogenen Philosophie, die Gropius zusammen mit Philipp Rosenthal in dem Bauauftrag von 1967 realisiert hat, es ist der einzige in der Oberpfalz.

Einige Jahre überlegte und plante man, einen Weg für Besucher ins Innere der Fabrik zu eröffnen und einen Kompromiss zu finden zwischen laufender Produktion von über 20 Millionen Gläsern pro Jahr und dem Zugang für die Öffentlichkeit. Letztlich sei man schon vor der Eröffnung durch das Publikumsinteresse überrollt worden, so Ambergs Oberbürgermeister Michael Cerny diese Woche bei der Eröffnung der neuen Zweigstelle des Stadtmuseums in der legendären Fabrikhalle. Alle „wollen einen Bau bestaunen, auf den die Arbeiter von Anfang an stolz waren“. Wissenschaftsminister Bernd Sibler unterstrich den Rang der Glaskathedrale als „architektonisches Meisterwerk“ – zusammen mit der Wohnbebauung für die Glasarbeiter neben der Fabrik – auf einem Terrain, das nach dem Ersten Weltkrieg seine militärische Nutzung verloren hatte, dem Glasscherbenviertel von Amberg.

Gebaut wurde die Fabrikanlage in den Jahren 1968 bis 1970. Der einstige Assistent von Gropius, Alexander Cvijanovic (inzwischen 95 Jahre alt), war Bauleiter und die Schlüsselfigur für das aktuelle Glaskathedralen-Projekt. Ambergs Kulturreferent Wolfgang Dersch machte sich im Mai 2016 mit zwei Kollegen nach Boston auf, um dem Mann zu begegnen, der zwei Jahre in Amberg gebaut hatte. Gropius hat lange in Boston gelehrt, und auch der Kontakt mit Cvijanovic war nur dort noch möglich. Er wurde der Türöffner zum Archivdirektor des Massachusetts Institute of Technology. Dort konnten die Amberger Emissäre Pläne, Schriftverkehr und die Baudokumentationsmappe zur Amberger Glasfabrik einsehen.

Raffinierte Klimaregelung

Kulturreferent Dersch: „In der Glaskathedrale steckt das komplette Gedankengut des Bauhauses“, nämlich einen Industriebau mit optimalen Bedingungen für die Arbeiter zu erstellen. Bis zu diesem Zeitpunkt waren Glashütten in der Regel ein schwarzer, heißer Moloch gewesen – fortan sollten viel Licht, große Glasflächen zwischen den Gebäudeteilen und Erholungsareale dazukommen. Aber eine Klimaanlage gibt es nicht: Luft strömt durch die seitlichen Türen in das Gebäude, nimmt die Hitze mit nach oben, wo sie entweichen kann. Da sind weder Heizung noch Kühlung vonnöten. An einem Modell der Erlanger Impuls Design GmbH & Co.KG ist im Multimedia-Raum für die Besucher das alles leicht nachzuvollziehen: mit einer Beleuchtung der gerade erklärten Gebäudeteile, mit sichtbaren Strömungsmodellen, mit der Funktionsbeschreibung aller Gebäudeteile. Verschiedene Farben verdeutlichen die Temperaturunterschiede im Gebäude und die natürliche Thermik.

Die Bauzeit konnte einst durch weitgehende Fertigteil-Bauweise mit zwei Jahren bemerkenswert kurz gehalten werden, ohne dass serielle Langeweile aufgetreten wäre. Bemerkenswert sind auch die Kosten: Rosenthal handelte Gropius von 14 auf 12 Millionen Deutsche Mark herunter.

Aus dem Showroom geht der Besucher nun durch einen langen Gang in das riesige Zentralgebäude, wo früher fünf Schmelzöfen standen, jetzt nur noch ein automatisiertes, computergesteuertes Ungetüm. Man geht an den Stapeln fertiger Gläser vorbei, am Verpackungsmaterial und an Säcken mit „Harzer Zinkoxiden“.

Bald Weltkulturerbe?

Innen wie außen macht der Bau einen imposanten, funktional wie ästhetisch großartigen, überwältigenden Eindruck. Aber während bei der Eröffnung stolz schon vom Antrag geredet wird, die Glaskathedrale solle Weltkulturerbe werden (was sie verdient hätte), beschleicht einen doch auch der Gedanke an nötige Reinigungs- und Renovierungsarbeiten, die auf den Eigentümer, später vielleicht einmal auf die Stadt zukommen könnten. Sheila Rosenthal, Philipps Tochter, brachte gleich die Idee eines Fördervereins für das ungewöhnliche Fabrik-Museum-Projekt ins Gespräch. Zunächst aber, auch durch die Vermeidung alles Musealen, überwiegt die uneingeschränkte Faszination durch die Glaskathedrale, die Amberg in die Reihe der Bauhaus-Hauptstädte katapultiert. (Uwe Mitsching)

Information: Buchungen über das Stadtmuseum Amberg: stadtmuseum@amberg.de
www.stadtmuseum.amberg.de

Fotos: Erich Spahn

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