Kultur

Penibel notierte Nick Koppenhagen über Jahre hinweg seine Stimmungslagen in „Witterungsreporten“. (Foto: Nick Koppenhagen)

23.08.2019

Mathematische Ästhetik

Das Museum für Konkrete Kunst in Ingolstadt zeigt „Gemalte Diagramme“

Diagramme als Verbildlichung von Faktenmaterial sind ein kaum verzichtbares Element zum Erkenntnisgewinn für den Betrachter. Das beginnt bei den Balken- und Kuchen-Diagrammen, wenn es an Wahlabenden um Prozentpunkte und Sitzverteilung geht. Und endet oft in wahren Meisterwerken der Visualisierung von komplexen Zahlen und Zusammenhängen in manchen Zeitungen und Zeitschriften. Bei diesen Diagrammen kann theoretisch auch getrickst und manipuliert werden – was schon bei der Farbgebung beginnt.

Auf jeden Fall sind die Grenzen zwischen Diagrammen und Kunst fließend. Und weil erstere „ein hohes Maß an Abstraktion“ haben, wie der Betrachter gleich zu Beginn der wunderbar verspielten, assoziativen, phantasievollen Ausstellung Gemalte Diagramme belehrt wird, passen sie sehr gut ins Museum für Konkrete Kunst in Ingolstadt. Werke von 30 internationalen Künstlerinnen und Künstlern setzen sich in vielfältiger Art und Weise mit dem Thema auseinander: Mathematik begegnet Ästhetik.

Mit Pinselzeichnungen setzt Nick Koppenhagen Entwicklungen in Zusammenhang, die zumindest auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun haben. Immerhin zeigen die Linien der Kohlenutzung in England, der Pferdegeburten in Deutschland und der Taubenproduktion in Frankreich von 1961 bis 2016 alle nach unten. Derlei Statistikgebräu wird in der Wissenschaft tatsächlich dann und wann ernsthaft angewandt, ist in diesem Zusammenhang reichlich witzig – und schlussendlich wachsen dergestalt Linienlandschaften auf Steinpapier, die auch ohne den ursprünglichen Hintergrund als reines Kunstwerk wirken können.

Koppenhagen beschäftigt sich auch in anderer Weise mit Statistischem: mit Witterungsreporten beispielsweise. Ein Jahr lang hat er seine Stimmungslagen alle drei Stunden mithilfe von Farbskalen und Kürzeln mit Ölkreide auf einem Nesseltuch aufgezeichnet; Sein Stimmungsbarometer ist in Ingolstadt zu sehen, neben einer ganz anderen Versuchsreihe von Jorinde Voigt, die die unterschiedlichen Laufzeiten von bekannten Spielfilmen auf nebeneinanderstehenden Aluminiumstangen aufgezeichnet hat. Christian Cap wiederum demonstriert mit bewegten Wellen in einem abgesonderten Raum, wie die Zunahme der Spekulation auf Lebensmittel Menschen darin untergehen lässt: Es rauscht vor, hinter, überm Betrachter. Es gibt da kein Entkommen.

Informative Zahlenbilder

Die Ausstellung gewährt auch einen Blick zurück auf die Geschichte der Informationsgrafiken bis in die 1910er- und 1920er-Jahre. Da erkennt man beispielsweise das Wahnsinnswachstum New Yorks von 1767 bis 1930 oder die Zunahme des Kraftwagenbestands von 1914 bis 1928, als weltweit 30 Millionen Autos herumfuhren, davon 22,5 Millionen in den USA und 7,5 Millionen im Rest der Welt. Gegenwärtig gibt es allein in Deutschland 57,3 Millionen Kraftfahrzeuge.

Wie auch schon vor 50 Jahren Diagramme Künstler inspirierten, zeigen Werke von Margaret Camilla Leiteritz (1907 bis 1976), in denen Geometrie in bemerkenswerte Kunstwerke verwandelt wird – eine Reise von Euklid zu Paul Klee in einem Bild.

Die Ausstellung bewegt in ihrer Vielfalt: Dreidimensional wird es in einer Installation von Channa Horwitz, die einen Raum mit orangefarbenem Millimeterpapier und schwarzen Balken ausgestattet hat, in dem sich der Besucher bewegen kann wie mitten in einem Diagramm: ein anregender Perspektivenwechsel. Von Jochen Flinzer wiederum ist unter dem Titel Galleria delle Carte Geografiche Kartenmaterial zu sehen, in dessen Hintergrund Beziehungen durch Fäden angedeutet werden, etwa die Reisen des Künstlers in Italien und Indonesien oder die Auswärtsspiele des HSV von 1987 bis 2000 inklusive Spielergebnisse.

Derart spielerisch endet auch der Rundgang: Zuletzt kann der Ausstellungsbesucher selbst mitwirken an wachsenden Diagrammen, vermittels derer Fragen gestellt werden zur persönlichen Museumsnutzung. (Christian Muggenthaler)

Information: Bis 29. September. Museum für Konkrete Kunst, Tränktorstraße 6-8, 85049 Ingolstadt. Di. bis So. 10-17 Uhr. www.mkk-ingolstadt.de

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