Kultur

Cyrano de Bergerac, gesplittet in Einsamkeit A und Einsamkeit B (Florian von Manteuffel, rechts, und Vincent Glander), diskutiert mit sich selbst. (Foto: Birgit Hupfeld)

01.10.2021

Nebensächlicher Riesenzinken

„Cyrano de Bergerac“ im Münchner Marstall: viel Theater über das Theater

Mit der Nase ist das so eine Sache. Bei Pinocchio wächst sie bis ins Endlose, sobald die Holzpuppe schwindelt oder lügt. In der Novelle Die Nase (1836) von Nikolai Gogol, kongenial vertont von Dmitri Schostakowitsch und Ende Oktober als erste Premiere an der Bayerischen Staatsoper zu erleben, macht sie hingegen selbstständig große Karriere. Für Cyrano de Bergerac wiederum bedeutet sie Lust und Frust zugleich.

Auf der einen Seite unterstreicht der übergroße Zinken das ausgeprägte Selbstbewusstsein, das Cyrano als Vordenker der Aufklärung kultiviert. Gleichzeitig aber kratzt das mächtige Riechorgan an dessen Ego: weil es optisch nicht überall auf Gegenliebe stößt. So will es jedenfalls das Versdrama von Edmond Rostand aus dem Jahr 1897 (verfilmt mit Gérard Depardieu, 1990). Bei Antonio Latella und Federico Bellini spielt das aber keine Rolle, denn ihre Bearbeitung, die das Bayerische Staatsschauspiel im Münchner Marstall zeigt, hat im Grunde nichts mit der Vorlage von Rostand zu tun. Wenn überhaupt, sind es die Kostüme von Graziella Pepe, die ein gewisses Zeitkolorit atmen.

Die Angebetete fehlt

Die Bühne von Giuseppe Stellato ist eher karg. Sie rückt „zwei Einsamkeiten“ ins Zentrum. Der Cyrano von Florian von Manteuffel ist die Einsamkeit A, Vincent Glander die Einsamkeit B – nämlich Cyranos Nebenbuhler Christian de Neuvillette. Die schöne Roxane, in die beide gleichermaßen verknallt sind, fehlt in diesem Stück ganz. Dabei ist es ja eigentlich Cyrano de Bergerac, der Christian de Neuvillette seine schönsten Verse leiht und mit denen der schöne, aber ziemlich einfältige, phantasielose Christian die Angehimmelte verzaubert.

Doch die Kreation von Latella und Bellini möchte eben keine Neubearbeitung des Cyrano de Bergerac von Rostand sein, auch wenn zunächst eine falsche Fährte gelegt wird. Gleich zu Beginn steht nämlich der Cyrano von Manteuffel (Einsamkeit A) allein in der leeren Szenerie. In dieser Einsamkeit führt er bizarre, ausufernde Diskurse über Rüsselnasen, Zinken, Nüstern und Riecher. Gegen Ende findet die Aufführung zu diesen Diskursen zurück und greift sie wieder auf. Mit seinem Nebenbuhler Christian (Einsamkeit B) probiert Cyrano allerlei Nasen aus.

Diese Riechorgane in unterschiedlichen Formen und Größen werden in einem Miniatur-Theater hereingefahren. Es gleicht der Bühne des benachbarten Cuvilliéstheater. Eine andere Miniatur-Bühne ähnelt dem Residenztheater. Mit der großen Marstall-Bühne vereinen sich diese Schauplätze zur Bühnen-Trias, die vom Bayerischen Staatsschauspiel bespielt wird. Und genau das ist der springende Punkt: Die Interpretation von Latella und Bellini ist vor allem ein Theater über das Theater. Wie viel Fakt steckt im Fake? Wo beginnt die Fiktion? Wie kann ein nasen- und versloser Cyrano auf einer Bühne überhaupt bestehen?

Freude am Spiel

Das alles kann fraglos zu einer Kopfgeburt mutieren – tut es hier aber nicht. Dafür ist die Darstellungskraft von Manteuffel und Glander viel zu lebendig. Mit schierer Freude am Spiel und sprachlicher Klangaktion, gestisch und mimisch überdies höchst agil, heizt dieses Duo den Marstall ein. Die Dialoge und Monologe sind mitunter in ihrer Absurdität urkomisch.

Trotzdem können auch Manteuffel und Glander nicht verhindern, dass das Projekt im Laufe der Zeit gefühlt an Länge zunimmt. Die Idee ist bald abgenutzt, und in den letzten 25 Minuten gähnt ermüdende Redundanz. In der Kürze läge eben die Würze. (Marco Frei)

 

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