Schon Ötzi trug eine Hose aus Ziegenfell. Allerdings war sie lang. Die kurze, krachlederne Hose, die neben dem Dirndl traditionell ihren großen Auftritt hat bei Volksfesten, ist vermutlich den Musketieren zu verdanken. Diese trugen im Frankreich des 16. und 17. Jahrhunderts eine aus Seide geschneiderte Kniehose, eine sogenannte Culotte, die nach den Napoleonischen Kriegen zum Vorbild für die Mode auf dem Land wurde. Der Rückkopplungseffekt auf die als „Salontiroler“ verkleideten Sommerfrischler blieb nicht aus, als im 19. Jahrhundert der Country Style als Modekonstrukt von der Tourismusbranche wie von Trachtenvereinen entdeckt wurde.
Wie wirkmächtig bis heute diese Art kultureller Austausch zwischen Stadt und Land auch ist: Kleider machen Leute. Sie spiegeln Geschlechterrollen, sind Ausdruck der Heimatverbundenheit, zählen zum Kulturgut, gehören zur Populärkultur wie zur Wertschöpfungskette.
Heute Stadtmuseum
Mode und Tracht von der Vergangenheit bis in die Gegenwart abzubilden, ist Sammlungsinhalt der Von Parish Kostümbibliothek, einer ehemals privaten Fachbibliothek, die seit 1970 zum Münchner Stadtmuseum gehört. Zu verdanken ist sie dem Pioniergeist und der Sammelleidenschaft zweier Frauen mit gleichem Namen: Mutter (1881 bis 1966) und Tochter (1907 bis 1998) Hermine von Parish. Beide schufen mit ihrer Kostümbibliothek eine wahre Institution in München.
Neben ihrer opulenten, bis zum Dachgeschoss reichenden Sammlung hinterließ die Tochter der Stadt auch die dazugehörende Immobilie samt Inventar. In der Münchner Architekturlandschaft kommt sie einem Juwel gleich. Gebaut wurde die Villa 1900/01 von der namhaften Münchner Architekten- und Baufirma Gebrüder Rank für den aus Berlin zugereisten Tonkünstler Wilhelm von Schirach, der sein Haus 1916 an Hermine von Parish sen. verkaufte. Erst 1936 bezogen Mutter und Tochter die damals außerhalb der Stadt gelegene frei stehende Villa mit der Adresse Kemnatenstraße 50 in München-Nymphenburg und gründeten dort auch ihre eigene, staatlich anerkannte private Kunstschule.
Architektonisches Juwel
Nach drei Jahren Sanierungspause ist jüngst die Von Parish Kostümbibliothek wieder für die Öffentlichkeit zugänglich. Die Jugendstilarchitektur, im Inneren überformt mit Gemälden von Emanuel Spitzer (Vater von Hermine Parish sen.) und Mobiliar im Stilpluralismus des Historismus, erstrahlt nach eingehender Befunduntersuchung im neuen alten Glanz der rekonstruierten Erstfassung.
Beim Betreten des Hauses empfängt die Besucherinnen und Besucher ein stimmiges Gesamtkunstwerk: Vom schmiedeeisernen Garderobehaken des im Landhausstil nach englischem Vorbild gehaltenen Eingangsbereichs bis zum historischen Kamin und Konzertflügel im repräsentativen grünen Salon mit schweren roten Samtvorhängen vor dunkel gestrichenen Holzkastenfenstern sind Materialgerechtigkeit und Hochwertigkeit vereint. Das Erdgeschoss eignet sich im Übrigen auch für intime Veranstaltungen und Empfänge.
Der Genius Loci entspricht dem Alleinstellungsmerkmal dieser Spezialsammlung zur Geschichte der Mode. Diese umfasst rund 10 000 Bücher, 1600 Zeitschriftentitel, 2000 Zeitschriftenbände, 40 000 Einzelhefte, 43 000 Grafiken und Zeichnungen, 32 000 Fotografien und über 1,5 Millionen Einzelblätter. Vergleichbare Bibliotheken gibt es weltweit rund 20. Deutschlandweit konkurriert mit München nur die Lipperheidesche Kostümbibliothek in Berlin.
„Das, was wir heute sammeln, mag gegenwärtig ein weniger wertvolles Objekt für den täglichen Gebrauch sein, aber schon übermorgen ist es Geschichte, reflektiert das Selbstverständnis einer Epoche und wird somit selbst Sammlungsgut“, so Esther Sünderhauf, Leiterin der sich beständig erweiternden Sammlung. Das Herzstück der Sammlung ist für sie das Bildarchiv, das in chronologischer und systematischer Ordnung neben Einzelabbildungen, Zeitungsartikeln, Bildpostkarten und Schnittmustern auch ephemere Objekte, von Sünderhauf auch „graue Literatur“ genannt, in immenser Breite umfasst: Einladungskarten für Modenschauen, Lookbooks, Werbeprospekte sowie Kaufhauskataloge, darunter ein Exemplar aus der Wiegenzeit der Pariser Kaufhauskataloge von anno 1859 – kurz nachdem Le Bon Marché, das erste Kaufhaus der Welt, eröffnet hatte. (Émile Zola nannte den später von Gustave Eiffel erweiterten Konsumtempel das „Paradies der Damen“ und widmete diesem modernen Palast aus Glas und Eisen einen ganzen Band seines 20-teiligen Romanzyklus Rougon-Macquart.)
Filmleute recherchieren
Das über mehrere Stockwerke verteilte Archiv wird auch in Zukunft Modeschulen, die Designwelt, wissenschaftlich Forschende ebenso wie Expertinnen und Experten der Ausstellungsszene sowie Theater- und Filmleute anziehen. Als Fußnote sei etwa erwähnt, dass Caroline Link für ihren oscarprämierten Film Nirgendwo in Afrika hier ebenso recherchieren ließ wie ihr ehemaliger Lebenspartner Dominik Graf für seinen mit dem Deutschen Filmpreis für das beste Kostüm ausgezeichneten Film Die geliebten Schwestern. (Angelika Irgens-Defregger)
Information: Von Parish Kostümbibliothek, Kemnatenstraße 50, 80639 München. www.muenchner-stadtmuseum.de
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