Kultur

2022 fand in Essen die erste KI Biennale statt. Eröffnet wurde sie mit dem Stück "Airman": Man sah eine Choreografie mit Mensch und autonomen Drohnen. (Foto: dpa/Roland Weihrauch)

23.06.2023

Nur noch Reproduktionen

Was Kunstschaffende über künstliche Intelligenz in ihrem Metier denken: Der kreative Prozess wird entwertet

Als Filmkomponist – einer der erfolgreichsten in Deutschland – braucht sich Andreas Weidinger keine Sorgen um seine berufliche Zukunft zu machen. Das hat ihm zumindest ein Experte in einem Interview versichert. Demnach sei es trotz der rasanten Entwicklung von künstlicher Intelligenz „unwahrscheinlich, dass Filmkomponisten in naher Zukunft vollständig durch KI ersetzt werden“. Im Verlauf des Interviews, das Weidinger für die Neuauflage seines Buches Filmmusik (Herbert von Halem Verlag, Köln) geführt hat, erläutert sein Gesprächspartner, dass KI zwar bei einigen Aspekten der Filmkomposition helfen könne. „Aber sie ist noch nicht in der Lage, den nuancierten, emotionalen Ausdruck eines menschlichen Komponisten vollständig zu reproduzieren.“ Daher sei nicht anzunehmen, „dass die Kernrolle des Komponisten als kreativer Künstler und Kollaborateur in naher Zukunft vollständig durch KI ersetzt wird“.

Gespräch mit einem Chatbot

Allein diese Ausführungen konnten Andreas Weidinger nur bedingt beruhigen, zumal sein Gesprächspartner bei dem Thema befangen ist. Denn jenes Interview führte der 53-Jährige aus Krailling bei München mit ChatGPT – mithin jener Chatbot, dessen künstliche Intelligenz derzeit für Furore sorgt. Und für Zukunftsängste, nicht zuletzt bei Kreativschaffenden. Schließlich sind KI-Programme wie ChatGPT, Stable Diffusion, Music LM oder DALL-E inzwischen in der Lage, erstaunlich hochwertige Texte zu schreiben, Fotos zu generieren, Gemälde zu fabrizieren, Musik zu komponieren und Kunstwerke zu gestalten: auf Knopfdruck – und damit schneller und billiger als jeder Mensch.

Zerstört KI die Kunst?

Und so treibt immer mehr Kreativschaffende branchenübergreifend die Sorge um: Bedroht künstliche Intelligenz ihre berufliche Existenz? Und auf gesellschaftlicher Ebene stellt sich gar die Frage: Zerstört KI die Kunst, wie wir sie kennen?

„Viele von uns haben die absolute Sorge, dass sie irgendwann ersetzt werden durch ein Tool“, sagt der Filmkomponist Andreas Weidinger. Und Monika Pfundmeier, eine erfolgreiche und preisgekrönte Schriftstellerin aus München, ist überzeugt: „Wir stehen jetzt an einem entscheidenden Punkt in der Menschheitsgeschichte, an dem wir festlegen müssen, wo es hingeht. Wollen wir uns komplett durch KI ersetzen lassen?“

Derweil konstatiert der Filmkomponist und Musikproduzent Matthias Hornschuh: „Es geht um die Frage, ob wir in der Kunst das Menschliche bewahren wollen. Ich glaube nicht, dass die Kultur sterben wird – aber sie wird sich radikal ändern.“

Matthias Hornschuh ist in der Debatte über die Auswirkungen des technologischen Fortschritts auf die Kunst eine der prägenden Stimmen hierzulande. Der 54-Jährige ist Sprecher der Kreativen bei der Initiative Urheberrecht (IU), in der sich mehr als 40 Verbände und Gewerkschaften zusammengetan haben, um die Interessen von 140 000 Kreativschaffenden zu vertreten, unter anderem aus den Bereichen Film, Fotografie, Komposition, Journalismus und Schauspiel. Erst kürzlich hat die IU in einer weithin beachteten Stellungnahme eine stärkere Regulierung von generativer künstlicher Intelligenz gefordert – also KI, die Inhalte wie Texte, Bilder oder Videos erzeugt. „Grundsätzliches ist bedroht!“, heißt es in dem Papier. „KI-generierte Erzeugnisse greifen unmittelbar ins gesellschaftliche Leben ein.“ Daher brauche es gesetzliche Grenzen – und zwar schnell.

Leitplanken sind notwendig

Anlass für den Vorstoß ist die geplante Europäische KI-Verordnung, der Artificial Intelligence Act. Mit ihr will die EU die weltweit erste umfangreiche Regulierung von KI erreichen. „Es geht uns nicht darum, irgendetwas zu verbieten“, betont Matthias Hornschuh. „Sondern wir wollen, dass die Politik Leitplanken einzieht, um eine Technologie zu regulieren, die sich schneller entwickelt hat, als es alle gedacht haben.“ Man fürchte „einen Verlust der Kontrolle über solche Systeme“, heißt es in der Stellungnahme der IU. Zudem greife generative KI zu Lernzwecken auf Inhalte von Kunstschaffenden zurück und drohe diese in absehbarer Zeit zu ersetzen. Dies werfe „Fragen nach Verantwortung und Haftung wie auch Vergütung auf, die zu klären sind, bevor der Schaden irreversibel ist“.

Mit ihren Sorgen ist die Initiative Urheberrecht keineswegs alleine. So fordert etwa auch der Deutsche Kulturrat klare Grenzen für KI in der Kunst. „Wir im Kulturbereich sind einer der Bereiche, die am stärksten von der künstlichen Intelligenz betroffen sind“, betonte Geschäftsführer Olaf Zimmermann in einem Interview mit dem WDR. „Alles kann eine KI neu kreieren. Deswegen entsteht da jetzt ein größerer Konkurrenzmarkt, der den Kulturbereich hart treffen wird.“

Auch Schriftstellerin Monika Pfundmeier glaubt, dass es „nicht mehr lange dauern wird, bis KI ganze Bücher in einigermaßen guter Qualität schreibt – auch wenn diese Texte nur Reproduktionen sind“.

Schließlich greifen die Programme auf eine gewaltige Masse von bestehenden Texten zurück, mit denen sie zu Trainingszwecken gefüttert werden. Sollte generative KI, weil sie Werke schneller und günstiger erzeugen kann, irgendwann den Menschen als Kreativschaffenden ablösen, dann drohe „eine ewige Reproduktion“, warnt Pfundmeier. „Wir würden uns selbst die Köpfe, Gedanken und Inspiration abschneiden.“

Urheberrecht anpassen

Zumal durch die massenhafte Generierung von Inhalten durch KI-Programme eine Entwertung der Kunst und des Schaffensprozesses drohe, warnt Andreas Weidinger. „Weil es zum einen immer mehr Werke gibt. Und zum anderen die Notwendigkeit, jemanden für ihre Entstehung zu bezahlen, ein Stück weit entfällt.“

Ein wichtiger Punkt sei dabei die nötige Anpassung des Urheberrechts, „von dem ja viele von uns im Wesentlichen leben“, betont der Filmkomponist. Wenn KI-Programme mit bestehenden Texten, Bildern und Musik trainiert würden, dann müssten deren Urheber auch eine Vergütung erhalten, fordert Weidinger.

Dieser Punkt ist für den Filmkomponisten einer von vier zentralen Aspekten, die eine gesetzliche Regulierung für generative KI zu gewährleisten habe. Im Weiteren fordert er eine Transparenzpflicht: „Es muss unzweideutig klargestellt werden, was ein Mensch und was eine Maschine erstellt hat.“ Zudem brauche es eine Regulierung von künstlicher Intelligenz „entlang ihrer gesamten Entstehungskette“, so Weidinger. Und schließlich müssten die Generierung und die Verbreitung von KI-Inhalten strukturell getrennt werden: „Die großen Anbieter von Suchmaschinen und sozialen Medien dürfen nicht gleichzeitig generative KI-Programme betreiben. Sonst würden diese Big Player noch mehr Macht auf sich vereinen.“

All diese Forderungen finden sich auch in der Stellungnahme der IU wieder – verbunden mit der eindringlichen Warnung: „Das Zeitfenster für eine effektive Regulierung des Markteintritts wird sich bald schließen.“ Wie viel Zeit bleibt? Dies sei „unklar, da die Entwicklung dieser Technologie sehr schnell voranschreitet und sich die Einsatzmöglichkeiten ständig erweitern“, antwortet darauf jener Experte, den auch Andreas Weidinger für sein Buch interviewt hat – nämlich ChatGPT. Eine Regulierung von generativer KI müsse jedoch „so schnell wie möglich voranschreiten“, warnt das Programm, „um die Vorteile der Technologie nutzen zu können, ohne die damit verbundenen Risiken zu ignorieren“. (Patrik Stäbler)

 

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